IMBA-Forscher Jürgen Knoblich erhält den Wittgenstein-Preis 2009

Der Molekularbiologe wird für seine weitreichenden Erkenntnisse auf dem Gebiet der Stammzellbiologie ausgezeichnet. Mit 1,4 Millionen Euro ist der Wittgenstein-Preis die höchstdotierte wissenschaftliche Auszeichnung Österreichs.

Der in Memmingen, Deutschland, geborene Jürgen Knoblich forscht seit 2004 am IMBA. Sein wissenschaftliches Interesse gilt der Frage, wie sich Zellen teilen. Ein Sonderfall der Zellteilung ist die asymmetrische Zellteilung, die von außerordentlicher Bedeutung in der Stammzellbiologie ist. Gemeinsam mit seinem 18-köpfigen, internationalen Team konnte Jürgen Knoblich die biologischen Prozesse, die an diesem Vorgang beteiligt sind, in allen Einzelheiten aufklären.

Stammzellen teilen sich anders

Die asymmetrische Zellteilung ist ein elementarer Vorgang, der es dem Körper erlaubt, aus einem Reservoir von Stammzellen eine Vielzahl an spezialisierten Zellen zu erzeugen, ohne den Stammzellvorrat zu erschöpfen. Als Folge der Teilung einer Stammzelle entstehen zwei Tochterzellen mit unterschiedlichen Eigenschaften und Schicksalen. Eine der beiden Tochterzellen differenziert sich, um definierte Funktionen in einem bestimmten Gewebe zu übernehmen, die andere bleibt Stammzelle.

Das detaillierte Verständnis dieses Mechanismus und aller beteiligten Moleküle ist höchst bedeutsam. Aus therapeutischen Gründen kann es nämlich von Vorteil sein, die Stammzellpopulation und damit die Regenerationsfähigkeit bestimmter Gewebe zu erhöhen. Eine überschießende Produktion von Stammzellen wird hingegen für die Entstehung bestimmter Tumorerkrankungen verantwortlich gemacht, etwa von Leukämien.

Die genauen Abläufe bei der asymmetrischen Zellteilung waren lange Zeit ein Mysterium. Das Team um Jürgen Knoblich hat das Puzzle in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt gelöst. Als biologisches Modell diente den Forschern dabei die Taufliege Drosophila melanogaster. Die Wissenschaftler können nun erklären, wie Stammzellen ihre Tochterzellen mit unterschiedlichen Eigenschaften ausstatten.

Neue Erkenntnisse für die Tumorbiologie

Dazu müssen bestimmte Faktoren noch vor der Teilung an einem Ende der Mutterzelle konzentriert werden, um dann lediglich von einer der beiden Tochterzellen „geerbt“ zu werden. Diese Faktoren, die bei der Fliege „Numb“ und „Brat“ heissen, sind in ähnlicher Form auch bei Säugetieren aktiv. Das ist deshalb so bedeutsam, weil sich in den Experimenten der Gruppe Knoblich gezeigt hat, dass Abweichungen bei der asymmetrischen Zellteilung Gehirntumore auslösen können. Was für die Fliegen gilt, könnte auch beim Menschen eine wichtige Rolle spielen. Die Erkenntnis, dass Stammzellen eine wichtige Rolle bei der Tumorentstehung spielen, hat das Verständnis der Erkrankung in den letzen Jahren auf eine neue Grundlage gestellt.

Der Beitrag von Jürgen Knoblich zur Stammzellbiologie könnte dazu führen, dass die asymmetrische Zellteilung eines Tages durch therapeutische Eingriffe reguliert werden kann. Das Verhältnis von neu produzierten Stammzellen zu spezialisierten Zellen wäre dann steuerbar, was sowohl für die Tumorbiologie als auch für die Stammzelltherapie neue Aussichten eröffnen würde.

Von der Fliege zum Menschen

„Die Auszeichnung gilt in erster Linie meinem fantastischen Team“, kommentiert Jürgen Knoblich die Neuigkeit. „Die mit dem Preis gewürdigten Forschungsergebnisse sind ein Verdienst der gesamten Arbeitsgruppe, ein Team von durchwegs herausragenden Wissenschaftlern. Dazu kommt, dass wir mit dem IMBA am Campus Vienna Biocenter eine weltweit einzigartige Forschungsstätte haben, in der wir größtmögliche wissenschaftliche Freiheit genießen. Ohne die großzügige Unterstützung durch die Österreichische Akademie der Wissenschaften wäre schließlich unsere Arbeit nicht möglich gewesen.“

Für Jürgen Knoblich eröffnet der Preis die einmalige Chance, seine Forschungsarbeiten auf neue Themenbereiche auszuweiten. In erster Linie sollen die an Fliegen gewonnenen Erkenntnisse auf höhere Organismen wie Mäuse übertragen werden. Längerfristig möchte Knoblich einen systembiologischen Ansatz verfolgen, der einen intensiven Einsatz von Geräten und Rechnerleistung erfordert.

Mit Jürgen Knoblich geht der Wittgensteinpreis heuer zum zweiten Mal an einen IMBA-Forscher. Im Jahr 2005 wurde der Neurobiologe Barry Dickson mit dem begehrten Preis ausgezeichnet. Dickson, der zu diesem Zeitpunkt als Senior Scientist am IMBA forschte, leitet heute das benachbarte Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP).

Über Jürgen Knoblich

Jürgen Knoblich wurde 1963 in Memmingen, Deutschland, geboren. Er studierte Biochemie in Tübingen und London. Nach seiner Promotion 1994 wechselte er nach San Francisco, um im Labor von Yuh Nung Yan Erfahrungen als Postoc zu sammeln. Seit 2004 ist Jürgen Knoblich Senior Scientist und stellvertretender Direktor am Institut für molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Der Wittgenstein-Preis

Der Wittgenstein-Preis ist der höchstdotierte Förderpreis Österreichs. Er wird seit 1996 vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung vergeben und durch den Wissenschaftsfonds FWF abgewickelt. Eine internationale Jury wählt jährlich ein bis zwei SpitzenforscherInnen aus, die herausragende Leistungen in ihrem Fachgebiet erbracht haben und breite Anerkennung in der scientific community genießen. Der Preis, der an keine bestimmte Disziplin gebunden ist, soll den Forschern ein Höchstmaß an Freiheit und Flexibilität gewähren und eine weitere Steigerung ihrer wissenschaftlichen Leistungen ermöglichen.

IMBA

Das IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften kombiniert Grundlagen- und angewandte Forschung auf dem Gebiet der Biomedizin. Interdisziplinär zusammengesetzte Forschergruppen bearbeiten funktionsgenetische Fragen, besonders in Zusammenhang mit der Krankheitsentstehung. Ziel ist es, das erworbene Wissen in die Entwicklung innovativer Ansätze zur Prävention, Diagnose und Therapie von Krankheiten einzubringen.

IMP-IMBA Research Center

Zwischen dem Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP), das 1988 von Boehringer Ingelheim gegründet wurde, und dem seit 2003 operativen Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) wurde eine enge Forschungskooperation vereinbart. Unter dem Namen „IMP-IMBA Research Center“ greifen die beiden Institute auf eine gemeinsame Infrastruktur im wissenschaftlichen und administrativen Bereich zu. Die beiden Institute beschäftigen insgesamt etwa 400 Mitarbeiter aus 30 Nationen und sind Mitglied des Campus Vienna Biocenter.

Kontakt:
Dr. Heidemarie Hurtl,
IMBA Communications
Tel. +43 1 79730-3625
Mobil: +43 (0)664 8247910
heidemarie.hurtl@imba.oeaw.ac.at
Wissenschaftlicher Kontakt:
Dr. Jürgen Knoblich
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