Großhirnrinde auf Knopfdruck falten

Die Teams um Dr. Federico Calegari vom DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden – Exzellenzcluster der TU Dresden (CRTD) und Dr. Víctor Borrell vom Instituto de Neurociencias de Alicante und der Universidad Miguel Hernández haben einen Mechanismus entdeckt, der den Prozess der Faltung in Gang setzt und auch wieder stoppt. Die Falten vergrößern die Gehirnoberfläche, damit automatisch die Anzahl der dort sitzenden Nervenzellen. Die Ergebnisse sind im „The EMBO Journal“ veröffentlicht worden (DOI: 10.1038/emboj.2013.96).

Wie sich im erwachsenen Mausgehirn das Potential an vermehrbaren Stammzellen erhöhen lässt, zeigte Federico Calegari bereits vor zwei Jahren. Gemeinsam mit Benedetta Artegiani hatte der Dresdner Stammzellforscher ein patentiertes Verfahren entwickelt, die Teilung von neuronalen Stammzellen im Gehirn gezielt zu beschleunigen und zu vermehren. Dafür erhöhten die Wissenschaftler die speziellen Proteinkomplexe CdK4 und cyclinD1. Sobald diese Proteingaben eingestellt wurden, hörten die Stammzellen auf, sich weiter zu teilen und bildeten Nervenzellen.

Das Mausgehirn unterscheidet sich in seiner Form von dem des Menschen. Das menschliche Gehirn ist an der Oberfläche mit vielen Falten, Furchen und Fissuren versehen, die Oberfläche von kleineren Säugetieren wie Mäusen hingegen ist eher glatt. Ein gefalteter Cortex bedeutet eine größere Oberfläche an genau dem Ort des Gehirns, an dem viele neuronale Stammzellen und Vorläufer der Nervenzellen sitzen, was letztlich auch die Anzahl an Nervenzellen erhöht.

Experimente am CRTD in Dresden zeigten, dass sich mit der Gabe der speziellen Proteinkomplexe während der Embryonalentwicklung der Mäuse zwar die Größe der ausgewachsenen Gehirne aufgrund der größeren Gehirnmasse mitsamt den Neuronen stark erhöhen ließ, jedoch kam es zu keiner Auffaltung des Cortex. Wie ist es im Laufe der Evolution dazu gekommen, dass sich beim Menschen Gehirnfaltungen ausgebildet haben? Könnte beispielsweise ein glattes Kleinsäugetiergehirn so manipuliert werden, das es Falten ausprägt, in denen mehr neuronale Stammzellen vorhanden sind als zuvor? Diese Frage beschäftigt Forscher weltweit.

In den vergangenen Jahren haben verschiedene Forschergruppen entdeckt, dass die Großhirnrinde aus mehreren Schichten besteht, in denen unterschiedliche neurale Vorläuferzellen mit verschiedenen Funktionen sitzen. Wieland Huttner vom Max-Planck-Institut für Molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) Dresden entdeckte 2010 in der äußeren Keimzone des Gehirns (Subventrikularzone) neue Stammzelltypen. Diese Vorläuferzellen der weiteren Schicht behalten über einen langen, dünnen Zellfortsatz Kontakt zur Basalmembran an der äußeren Oberfläche des sich entwickelnden Gehirns. Die Zellen besitzen Stammzelleigenschaften und können sich wiederholt teilen, somit neue Nervenzellen produzieren.

Genau diese Gehirnschicht ist im Gehirn von Mäusen nicht vorhanden, jedoch in Frettchen, an denen Dr. Víctor Borrell vom Instituto de Neurociencias de Alicante und der Universidad Miguel Hernández forscht. Frettchen besitzen im Gegensatz zu Mäusen bereits eine sehr gering ausgeprägt gefaltete Gehirnform. Die in Dresden entwickelten Verfahren hat Borrell in der publizierte Studie nun an Frettchen untersucht.

Um die Ausdehnung des Cortex massiv zu erhöhen, entwickelte die Arbeitsgruppe von Federico Calegari vorab eine Technik, die Konzentration der speziellen Proteinkomplexe CdK4 und cyclinD1 zu steigern. „Zu Beginn dachten wir, dass beim Mausgehirn eine Ausdehnung des Cortex in die Breite erzeugt werden müsste“, erläutert der Dresdner Stammzellforscher das Vorgehen. Das erwies sich jedoch als falsche Arbeitshypothese. Calegari weiter: „Wir mussten also eine größere Streckung der Cortexoberfläche in der Längsausdehnung erreichen, um die Wölbung zu erzielen. Die Experimente an Frettchen, die wir dann gemeinsam mit den spanischen Kollegen durchführten, zeigten uns, dass wir hier den richtigen Ansatz gefunden hatten.“

Bei den Frettchen konnten mit Injektionen der speziellen Proteinkomplexe gezielt die Vorläuferzellen in der gewünschten Gehirnschicht aktiviert werden, so dass diese sich massiv teilten, neue neuronale Stammzellen produzierten. Wie bereits bei den Mausversuchen am CRTD wirkte der bekannte Mechanismus auch beim Frettchen als eine Art Kippschalter, mit dem gezielt die Produktion von Stammzellen, deren Ausdifferenzierung in Neuronen gezielt an- und abgeschaltet werden konnte. Federico Calegari fasst das Ergebnis zusammen: „Mit der gezielten Manipulation der in den Mäusen nicht vorkommenden neuralen Vorläuferzellen haben wir jetzt nicht nur eine größere Gehirnmasse produziert, sondern auch gezielt die Auffaltung des Cortex wie beim menschlichen Gehirn. Und die Tiere leben alle anscheinend normal mit dem manipulierten Gehirn weiter.“

Mit ihren Forschungsergebnissen hat das deutsch-spanische Forscherteam einen wichtigen Beitrag geleistet, den Ablauf und die Grundlagen der Gehirnentwicklung bei Säugetieren und die evolutionäre Ausbildung von Gehirnfaltungen besser zu verstehen. Doch bedeutet ein größeres Gehirn mitsamt Faltungen und Furchen auch an erhöhtes Maß an kognitiven Fähigkeiten, damit letztlich der Intelligenz? „In unseren nächsten Forschungsprojekten werden wir uns mit dieser Frage beschäftigen“, so Calegari. „Vielleicht wird dieses Verfahren, neuronale Stammzellen zu vermehren, einmal dazu beitragen, neue Therapien bei Erkrankungen oder Verletzungen des zentralen Nervensystems zu entwickeln.“

Publikation:
Miki Nonaka-Kinoshita1, Isabel Reillo2, Benedetta Artegiani1, Maria Àngeles Martínez-Martínez2, Mark Nelson3, Víctor Borrell2 & Federico Calegari1: Regulation of Cerebral Cortex Size and Folding by Expansion of Basal Progenitors. The EMBO Journal, DOI: 10.1038/emboj.2013.96
1CRTD-DFG Research Center for Regenerative Therapies Dresden, Technische Universität Dresden, Dresden, Germany
2Instituto de Neurociencias, CSIC & Universidad Miguel Hernández, Alicante, Spain
3Echelon Biosciences, Salt Lake City, USA

Pressekontakt
Birte Urban-Eicheler
Pressesprecherin CRTD/DFG-Forschungszentrum für Regenerative Therapien Dresden – Exzellenzcluster an der TU Dresden
Tel.: 0351/ 458-82065
E-Mail: birte.urban@crt-dresden.de
http://www.crt-dresden.de

Das 2006 gegründete Zentrum für Regenerative Therapien Dresden (CRTD) der Technischen Universität konnte sich in der dritten Runde der Exzellenzinitiative erneut als Exzellenzcluster und DFG-Forschungszentrum durchsetzen. Es wird von dem Entwicklungs- und Neurobiologen Prof. Dr. Michael Brand geleitet. Ziel des CRTD ist es, das Selbstheilungspotential des Körpers zu erforschen und völlig neuartige, regenerative Therapien für bisher unheilbare Krankheiten zu entwickeln. Die Forschungsschwerpunkte des Zentrums konzentrieren sich auf Hämatologie und Immunologie, Diabetes, neurodegenerative Erkrankungen sowie Knochenersatz. Zurzeit arbeiten vier Professoren und neun Forschungsgruppenleiter am CRTD, die in einem interdisziplinären Netzwerk von über 90 Mitgliedern sieben verschiedener Institutionen Dresdens eingebunden sind. Zusätzlich unterstützen 18 Partner aus der Wirtschaft das Netzwerk. Dabei erlauben die Synergien im Netzwerk eine schnelle Übertragung von Ergebnissen aus der Grundlagenforschung in klinische Anwendungen.

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Birte Urban-Eicheler idw

Weitere Informationen:

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