Förderschulen: Hoher Finanzbedarf, wenig Perspektiven für Schüler

2,6 Milliarden Euro pro Jahr geben die deutschen Bundesländer für zusätzliche Lehrkräfte an Förderschulen aus. Trotzdem bleiben 77 Prozent der Förderschüler ohne Hauptschulabschluss. Nur wenige von ihnen schaffen den Sprung zurück auf eine allgemeine Schule.

Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung. Die Untersuchung belegt zugleich anhand von internationalen und nationalen Studien: Je länger ein Schüler eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen besucht, desto ungünstiger entwickeln sich seine Leistungen. Allein in diesen Förderbereich gehen jährlich 800 Millionen Euro.

Laut der Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm erzielen hingegen Kinder mit besonderem Förderbedarf beim Lernen, die gemeinsam mit Kindern ohne Förderbedarf lernen und leben, im Vergleich deutlich bessere Lern- und Entwicklungsfortschritte. Und auch die Kinder ohne Förderbedarf profitieren vom gemeinsamen Unterricht, indem sie höhere soziale Kompetenzen entwickeln – ohne dass sich ihre fachbezogenen Schulleistungen von den Leistungen in anderen Klassen unterscheiden.

„Alle Kinder brauchen für ihre Entwicklung und die Entfaltung ihres Potenzials Kontakt zu anderen Kindern und gleichaltrigen Vorbildern – egal ob sie Lernschwierigkeiten haben oder keine“, schließt Dr. Jörg Dräger, für Bildung zuständiges Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung: „Ein weitgehend inklusives Schulsystem mit einer bestmöglichen Förderung für jedes einzelne Kind sollte daher das Leitbild für die Bildungspolitik sein.“

Im internationalen Vergleich beschreitet Deutschland mit seinem hoch differenzierten Förderschulsystem einen Sonderweg. Während in Ländern wie Italien, Spanien oder in Skandinavien fast alle Kinder mit Förderbedarf in allgemeinen Schulen unterrichtet werden, erhalten in Deutschland nur 15 Prozent einen solchen inklusiven Unterricht. Mit der im März 2009 in Kraft getretenen UN-Behindertenrechtskonvention hat sich Deutschland bereits verpflichtet, den Weg hin zu einem inklusiven Schulsystem zu beschreiten.

Einige Bundesländer übernehmen in diesem Prozess eine Vorreiterrolle. In Bremen beispielsweise besuchen bereits rund die Hälfte der Kinder und Jugendlichen mit Förderbedarf den gemeinsamen Unterricht. In Baden-Württemberg sind es hingegen wenig mehr als ein Viertel und in Niedersachsen bisher sogar nur knapp fünf Prozent. Vor dem Hintergrund dieser sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen ist es verständlich, dass eine Einigung auf eine gemeinsame bildungspolitische Linie in der Kultusministerkonferenz sehr schwierig ist. Dort wird bereits seit dem Frühjahr 2008 an einer Fortschreibung der „Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung“ gearbeitet.

Nach Auffassung der Bertelsmann Stiftung muss das Ziel dabei lauten: Soviel Inklusion wie möglich. In der Diskussion zur UN-Behindertenrechtskonvention hieß es, 80 bis 90 Prozent der Kinder mit einem besonderen Förderbedarf sollten Regelschulen besuchen. „Ein solcher Umbau des Schulsystems kann jedoch nicht von heute auf morgen erfolgen – Schulen und Lehrer müssen dafür vorbereitet und ausgebildet sein, Kinder mit Förderbedarf aufzunehmen“, so Dräger.

Notwendig sei ein Prozess, der alle Beteiligten – Schüler, Eltern, Lehrkräfte und Schulleitungen – mitnimmt und ihnen gerecht wird: „Ein Großteil der 2,6 Milliarden Euro sollte in diesen Umbau investiert werden – sonst geben wir weiter Jahr für Jahr viel Geld für einen Sonderweg aus, der für zu viele Kinder in einer Sackgasse endet.“

Rückfragen an: Anette Stein, Telefon: 0 52 41 / 81-81 274
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Andreas Henke idw

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