Falter mit Migrationshintergrund

Einem internationalen Autorenkollektiv ist es jetzt durch die Hilfe hunderter Naturbeobachter gelungen, bisher unbekannte Details der Wanderungsbewegung des Distelfalters (Vanessa cardui) zu enthüllen.<br>Foto: Erk Dallmeyer<br>

Europas bekanntester Wanderfalter legt in einer Saison bis zu 15.000 Kilometer zurück. Das ist fast das Doppelte der Entfernung, die der berühmte Monarchfalter (Danaus plexippus) in Nordamerika schafft. Die Strecke von Westafrika bis nach Skandinavien überwinden die Distelfalter in Etappen, da sie sich innerhalb kürzester Zeit vermehren können.

Richtung Norden braucht die Art für diesen Weg bis zu vier Generationen, zurück nach Süden dagegen nur zwei. Das berichtet ein internationales Forscherteam im Fachblatt Ecography.

Saisonale Wanderungen von Insekten sind ein schon länger bekanntes, aber bislang wenig erforschtes Phänomen. Die Zurücklegung weiter Strecken ermöglicht es bestimmten Arten, nur zeitweilig verfügbare Ressourcen optimal zu nutzen. Bekannte Beispiele sind der Amerikanische Monarchfalter (Danaus plexippus) oder die Afrikanische Wüstenheuschrecke (Schistocerca gregaria), die in der Lage sind, Strecken von mehreren tausend Kilometern Länge zurückzulegen. Aber auch in Europa gibt es zahlreiche wandernde Arten, darunter viele Tagfalter und Schwebfliegen. Im Gegensatz zum mittlerweile gut erforschten Vogelzug ist bislang wenig über die Wanderbewegungen von Insekten bekannt. Das lag vor allem daran, dass die für die Analysen notwendigen Daten praktisch kaum zu beschaffen waren.

Jetzt ist es einem internationalen Autorenkollektiv gelungen, bisher unbekannte Details der Wanderungsbewegung des Distelfalters (Vanessa cardui) zu enthüllen. „Unsere Ergebnisse zeigen die sehr erfolgreiche Strategie, die diese Insekten entwickelt haben, und helfen, solche Wanderbewegungen über große Entfernungen in den gemäßigten Regionen weltweit besser zu verstehen“, fasst Dr. Constantí Stefanescu vom Naturkundemuseum im katalonischen Granollers zusammen, der die Studie initiiert hat.

An der Studie waren Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) sowie deren Kooperationspartner science4you und die Gesellschaft für Schmetterlingsschutz (GfS) maßgeblich beteiligt. Anhand einer kombinierten Analyse von Daten aus meist ehrenamtlich durchgeführten Erfassungsprogrammen und Radardaten konnten die Bewegungen dieser bekannten und weit verbreiteten Art anhand der Aufsehen erregenden Massenwanderung im Jahre 2009 nachvollzogen werden. „Der Migrationszyklus ist durch eine umfassende Wanderungsbewegung charakterisiert, die im Frühling in den afrikanischen Überwinterungsgebieten beginnt und bis in die nördlichsten Regionen Europas reicht.

Im Verlauf des Spätsommers und des Herbstes erfolgt eine ebenso lange Rückwanderung, bei der individuelle Falter mehrere tausend Kilometer zurücklegen können. Im Zuge eines solchen Zyklus reproduzieren sich die Falter mehrfach, so dass insgesamt bis zu sechs Generationen an diesem Prozess beteiligt sind“, erläutert Dr. Martin Musche vom UFZ. Die explosive Vermehrung der Art, wie sie 2009 geschah, hängt wahrscheinlich mit umfangreichen Niederschlägen zusammen, die zum richtigen Zeitpunkt die Vegetation in den Trockengebieten Afrikas haben wachsen lassen und so den Raupen ausreichend Nahrung boten und damit die Massenbewegung nach Norden auslösten.

Durch den Einsatz eines Radars konnten britische Wissenschaftler erstmals die Anzahl der ein- und auswandernden Falter bestimmen: Im Frühjahr 2009 überquerten etwa 11 Millionen Distelfalter den Ärmelkanal Richtung Norden, im Herbst verließen dann etwa 26 Millionen die britischen Inseln südwärts. Mithilfe dieser neuartigen Radaruntersuchungen konnte auch nachgewiesen werden, dass die Falter in Höhen von bis zu 1000 Metern unterwegs sind und gezielt bestimmte Luftströmungen für ihre Wanderung ausnutzen.

Aufgrund dieser Verhaltensweise waren bisher vor allem Details der Rückwanderung unbekannt, da sie den Augen der Beobachter am Boden entgangen waren. Die spektakuläre Wanderung des Distelfalters kann als ein Modell für die Erforschung anderer migrierender Insektenarten in den gemäßigten Regionen der Erde dienen, unter denen sich zahlreiche Arten befinden, die als Landwirtschaftsschädlinge oder Überträger von Krankheiten ökonomisch ins Gewicht fallen.

„Diese Studie wurde vor allem durch das Engagement vieler ehrenamtlicher Mitarbeiter ermöglicht, die sich in ganz Europa im Rahmen verschiedener Erfassungsprogramme aktiv an wissenschaftlichen Projekten beteiligen“, betont Gernot Neuwirth vom Naturschutzbund Österreich. So konnten aus Deutschland große Datensätze aus dem Tagfalter-Monitoring (www.tagfalter-monitoring.de) und der Erfassungsplattform www.falterfunde.de sowie aus Österreich von der Plattform www.naturbeobachtung.at genutzt werden. „Insgesamt sind Meldungen von über 1300 freiwilligen Zählern ausgewertet worden“, berichtet Norbert Hirneisen von science4you. Ohne dieses Engagement könnten solche Einsichten nicht gewonnen werden – folglich kann der Wert solcher „Citizen Science“-Aktivitäten nicht hoch genug geschätzt werden.

Publikation:
Stefanescu, C., Páramo, F., Åkesson, S., Alarcón, M., Ávila, A., Brereton, T., Carnicer, J., Cassar, L.F., Fox, R., Heliola, J., Hill, J.K., Hirneisen, N., Kjellén, N., Kühn, E., Kuussaari, M., Leskinen, M., Liechti, F., Musche, M., Regan, E., Reynolds, D., Roy, D.B., Ryrholm, N., Schmaljohann, H., Settele, J., Thomas, C.D., van Swaay, C. & Chapman, J. (2012): Multi-generational long-distance migration of insects: studying the painted lady butterfly in the Western Palaearctic. Ecography 35: 001–014, 2012

http://dx.doi.org/10.1111/j.1600-0587.2012.07738.x

Die Untersuchungen wurden gefördert vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) innerhalb des Forschungsprojektes CLIMIT sowie dem britischen Natural Environment Research Council (NERC), dem britischen Department for Environment, Food and Rural Affairs (Defra), der französischen Agence Nationale de la Recherche (ANR) sowie Formas und der Umweltagentur aus Schweden innerhalb des BiodivERsA-Eranet-Programms.

Weitere Informationen:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ):
Dr. Martin Musche, Elisabeth Kühn
Telefon: +49 (0345)-558-5310, – 5263
http://www.ufz.de/index.php?en=15805
http://www.ufz.de/index.php?de=10387
und
science4you:
Norbert Hirneisen
Telefon: +49 (0228)-6194930
http://www.science4you.org/
und
NATURSCHUTZBUND Österreich:
Gernot Neuwirth
Tel. +43 (0662)-642909-20
gernot.neuwirth@naturschutzbund.at
oder über
Tilo Arnhold (UFZ-Pressestelle)
Telefon: +49 (0341)-235-1635
http://www.ufz.de/index.php?de=640
Weiterführende Links:
Citizen-Science-Portale:
Tagfalter-Monitoring Deutschland (TMD):
http://www.tagfalter-monitoring.de/
science4you:
http://www.science4you.org/
naturbeobachtung.at:
http://www.naturbeobachtung.at/
Vereine:
Gesellschaft für Schmetterlingsschutz e.V. (GfS):
http://www.ufz.de/european-butterflies/index.php?de=17421
Butterfly Conservation Europe (BCE):
http://www.bc-europe.org/
Pressemitteilungen:
Pressemitteilung von BCUK & CEH vom 18. Oktober 2012 (auf englisch):
http://www.butterfly-conservation.org/article/9/307/painted_lady_migration_secrets_revealed_.html

http://www.ceh.ac.uk/news/news_archive/painted-lady-migration-secrets-revealed_2012_53.html

Massenwanderung des Distelfalters – ein seltenes Phänomen (UFZ- Pressemitteilung vom 20. Mai 2009):

http://www.ufz.de/index.php?de=18135

Im Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) erforschen Wissenschaftler die Ursachen und Folgen der weit reichenden Veränderungen der Umwelt. Sie befassen sich mit Wasserressourcen, biologischer Vielfalt, den Folgen des Klimawandels und Anpassungsmöglichkeiten, Umwelt- und Biotechnologien, Bioenergie, dem Verhalten von Chemikalien in der Umwelt, ihrer Wirkung auf die Gesundheit, Modellierung und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen. Ihr Leitmotiv: Unsere Forschung dient der nachhaltigen Nutzung natürlicher Ressourcen und hilft, diese Lebensgrundlagen unter dem Einfluss des globalen Wandels langfristig zu sichern. Das UFZ beschäftigt an den Standorten Leipzig, Halle und Magdeburg 1000 Mitarbeiter. Es wird vom Bund sowie von Sachsen und Sachsen-Anhalt finanziert.

http://www.ufz.de/

Die Helmholtz-Gemeinschaft leistet Beiträge zur Lösung großer und drängender Fragen von Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft durch wissenschaftliche Spitzenleistungen in sechs Forschungsbereichen: Energie, Erde und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur der Materie, Verkehr und Weltraum. Die Helmholtz-Gemeinschaft ist mit über 33.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 18 Forschungszentren und einem Jahresbudget von rund 3,4 Milliarden Euro die größte Wissenschaftsorganisation Deutschlands. Ihre Arbeit steht in der Tradition des Naturforschers Hermann von Helmholtz (1821-1894).

http://www.helmholtz.de

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Tilo Arnhold UFZ News

Weitere Informationen:

http://www.ufz.de/index.php?de=30909

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