Eurozone braucht besseres Frühwarnsystem, um weitere Beinahe-Pleiten zu verhindern

Um die Gefahr zu mildern, braucht die EU eine Instanz, welche die Entwicklung der Leistungsbilanzen intensiv beobachtet und Fehlentwicklungen klar benennt. Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung in einer neuen Analyse, die heute als IMK Report veröffentlicht wird.*

Die Forscher unterstützen die Absicht der EU-Kommission, aktiver zu werden. Entscheidend sei aber die richtige Ausgestaltung, betonen sie: „Wenn sich die europäische Ebene beispielsweise jetzt darauf beschränken würde, alle Mitgliedsstaaten zum zeitgleichen Einstieg in einen strengen Sparkurs anzuhalten, wäre das schädlich“, sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, der Wissenschaftliche Direktor des IMK. „Die Krise zeigt uns: Wir haben zwar seit einem guten Jahrzehnt eine Währungsunion, aber viele Konsequenzen dieser engen Verzahnung wurden bislang noch nicht genug beachtet.“

So sei es nicht ausreichend, sich zur Früherkennung von Problemen nur auf die Staatsfinanzen zu konzentrieren, betont der Ökonom. „Und es reicht auch nicht, nur die Länder mit Defiziten in den Leistungs- oder Zahlungsbilanzen im Auge zu behalten. Denn es gibt eine enge Beziehung zwischen den Defiziten der einen und den Überschüssen der anderen.“ Die Euro-Länder mit Überschüssen – allen voran Deutschland – sollten ihre einseitige Orientierung auf Wachstum durch Exportüberschüsse aufgeben. „Wir brauchen einen Mechanismus, der chronischen Überschussländern deutlich macht: Es ist auch für sie günstiger, ihre Binnennachfrage zu stärken und damit die Rolle der Konjunkturlokomotive zu übernehmen, als schwächeren Staaten dauernd aus der Krise zu helfen“, sagt Horn. So könne eine „Win-Win-Situation“ zwischen bisherigen Defizit- und Überschussländern entstehen und die Währungsunion stabilisiert werden.

Die Forscher untersuchen, wie es zur aktuellen Zerreißprobe für die Währungsunion kam – und warum die existierenden Stabilitätsregeln sie nicht verhindern konnten. Dabei verweisen sie auf einen „Geburtsfehler“ der Währungsunion: Lediglich die Defizite der öffentlichen Haushalte werden als eine Gefahr für den Euro gesehen. Dies stellt jedoch auf Dauer eine gefährliche Verengung der ökonomischen Zusammenhänge dar. Denn Krisen der Zahlungsbilanz – die alle Verflechtungen mit dem Ausland abbildet – können in den Mitgliedstaaten auch auftreten, wenn der private Sektor überschuldet ist.

Seit Beginn der Währungsunion verzeichnen Länder wie Griechenland, Spanien oder Portugal deutliche Leistungsbilanzdefizite und einen fortschreitenden Verlust ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit, zeigt die IMK-Analyse. Das machte sie für Krisen anfälliger, zumal die klassische Gegenstrategie – eine Abwertung der nationalen Währung – für Euro-Staaten ausscheidet. Aufgrund der aktuellen Krise ist nun gerade in diesen Staaten die Staatsverschuldung stark gestiegen.

Um Belastungen für den Zusammenhalt der Euroländer frühzeitig zu erkennen, ist eine den Nationalstaaten übergeordnete Instanz nötig, schreiben die Wirtschaftsforscher. Ob es sich bei dieser um einen Europäischen Währungsfonds, eine mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattete EU-Kommission oder um eine Arbeitsgruppe der Finanzminister handelt, sei dabei zweitrangig. Bislang fehlt eine Regelung, wie mit Zahlungsbilanzkrisen umgegangen werden könnte.

Die neu zu gründende Instanz sollte die Fehlentwicklungen in der Zahlungsbilanz zwischen Nationalstaaten im öffentlichen wie im privaten Sektor frühzeitig erkennen und Vorschläge zu ihrer Beseitigung machen. „Dabei wird es zwangsläufig um fiskalpolitische Maßnahmen gehen, die je nach Erfordernis die jeweilige Binnennachfrage eines Mitgliedslandes stimulieren oder bremsen“, schreiben die Forscher. Das gelte auch für die gegenwärtige Situation: Zwar sei die über Jahre verhältnismäßig schwache Lohnentwicklung in Deutschland ein wesentlicher Faktor bei der Entstehung der problematischen Ungleichgewichte gewesen. Lohnerhöhungen seien aber für sich genommen nicht geeignet, einen für die Überwindung der Krise und der innereuropäischen Ungleichgewichte erforderlichen Aufschwung herbeizuführen. Aktuell sei auch nicht mit einem starken Impuls aus der Weltwirtschaft oder einem eigenständigen Anspringen der Binnennachfrage zu rechnen. „Insofern ist ein weiterer und ausreichend dimensionierter fiskalischer Anstoß in den Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen und relativ geringen Haushaltsdefiziten der einzige gangbare Weg aus der Krise.“ Zu diesen Ländern zählt das IMK vor allem Deutschland, aber auch die Niederlande und Österreich.

Bei größeren Problemen der Defizitländer sollte die neue europäische Instanz Soforthilfen beschließen können. Diese sollten allerdings mit entsprechenden Auflagen verbunden sein, empfiehlt das IMK. Erfüllen die Defizitstaaten sie nicht, könnte die EU weitere Unterstützungskredite verweigern, selbst wenn das Land dadurch zahlungsunfähig wird. Überschussländer müssten sich stärker an der Soforthilfe beteiligen – über die Anteile hinaus, die sie wegen ihrer wirtschaftlichen Position in der Währungsunion übernehmen müssen. Auch hierdurch könnten sie dazu angeregt werden, auf die Stabilität gefährdende Überschüsse zu verzichten.

*Gustav Horn, Silke Tober, Till van Treeck, Achim Truger: Euroraum vor der Zerreißprobe?, IMK Report 48 April 2010: http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_48_2010.pdf

Kontakt in der Hans-Böckler-Stiftung

Prof. Dr. Gustav A. Horn
Wissenschaftlicher Direktor IMK
Tel.: 0211-7778-331
E-Mail: Gustav-Horn@boeckler.de
Dr. Silke Tober, IMK
Tel.: 0211-7778-336
E-Mail: Silke-Tober@boeckler.de
Dr. Till van Treeck, IMK
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