Epigenetik bestimmt Entwicklung und Funktion von Herz- und Skelettmuskeln

Raupe und Schmetterling – zwei völlig unterschiedliche Organismen, die jedoch die gleiche Erbinformation besitzen. Auch im menschlichen Organismus entwickeln sich die Zellen trotz identischer Erbinformation zu so unterschiedlichen Geweben wie Muskeln, Knochen oder Nerven. Dies gelingt, indem der Organismus in jeder Zelle jeweils nur bestimmte Abschnitte seines Erbguts (DNA) aktiviert.

Die Aktivierung erfolgt nicht durch die DNA selbst, sondern durch chemische „Schalter“, die sich von außen an die DNA anheften und sie dadurch an- oder ausschalten können. Neben seiner DNA vererbt ein Organismus auch diese Schalter an seine Nachkommen weiter. Die Analyse der vererbbaren Eigenschaften, über die Gene an- oder ausgeschaltet werden können, sind Thema der Epigenetik.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik haben jetzt gemeinsam mit Kollegen vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin-Buch ein neues Schlüsselprotein (DPF3) der epigenetischen Regulation im Herz- und Skelettmuskel gefunden. In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Genes & Development beschreiben die Forscher unter der Leitung von Silke Sperling die Bedeutung von DPF3 für die Entwicklung und Funktion von Herz- und Skelettmuskel (Lange, M.et al. Genes & Development 2008; 22: 2370-2384, doi:10.1101/gad.471408).

Im inaktivierten Zustand ist die DNA einer Zelle hochkondensiert um bestimmte Proteine, die Histone gewickelt. Durch chemische Modifaktion der Histone wird dieser Verbund zunächst gelockert und anschließend mithilfe weiterer Proteine, die gemeinsam den sogenannten Chromatin-Remodeling-Komplex bilden, vollständig aufgelöst. Dadurch wird die DNA frei zugänglich und die Übersetzung der genetischen Information in Eiweissmoleküle kann ungehindert stattfinden. Das jetzt von den Berliner Wissenschaftlern beschriebene Schlüsselprotein DPF3 erkennt spezifische Histon-Modifikationen und verknüpft diese mit dem Chromatin-Remodeling-Komplex.

Bereits 2003 fanden Sperling und ihre Kollegen Hinweise auf die zentrale Funktion von DPF3 bei der Regulation der Entwicklung von Herzmuskelzellen. In einer groß angelegten Studie untersuchten die Wissenschaftler, welche Gene bei verschiedenen angeborenen Herzerkrankungen des Menschen aktiv sind. In hypertrophierten, d.h., durch erhöhte Beanspruchung übermäßig ausgebildeten Herzmuskeln von Patienten mit Morbus Fallot fanden sie eine verstärkte Aktivität von DPF 3. Durch weitergehende Untersuchungen an Maus und Zebrafisch konnten die Forscher jetzt zeigen, dass ein Fehlen von DPF3 die Entwicklung des Herzens wesentlich beeinflusst und seine Kontraktilität (Pumpfunktion) erheblich reduziert.

Dieser Effekt ist auf die veränderte Regulation entscheidender Gene des muskulären Zytoskelettes zurück zu führen. „Ungewöhnlich an DPF 3 ist vor allem, dass das Protein unterschiedliche Modifikationen der Histone erkennen kann“, erläutert Sperling ihre Arbeit. „Histone können an einem Ende unterschiedliche chemische Anhänge (Modifikationen) aufweisen, die je nach Art Einfluss auf die Zugänglichkeit der DNA und damit auf die Genregulation haben. Nach bisherigem Stand der Forschung konnte eine dieser Modifikationen, die Acetylierung, nur von einer bestimmten Gruppe von Proteinen, den Bromodomänen erkannt werden. DPF 3 besitzt eine Struktur (PHD-Finger), die bislang für die Erkennung von Histon-Methylierungen bekannt war. Wir konnten jedoch nachweisen, dass die PHD-Finger auch Acetylierungen erkennen können.“

Beim Menschen existieren ca. 120 verschiedene Proteine mit PHD-Fingern. Die Wissenschaftler gehen daher davon aus, dass in Zukunft weitere Proteine mit ähnlichen Funktionen wie DPF3 gefunden werden.

Originalveröffentlichung:
Lange, M., B. Kaynak, U.B. Forster, M. Toenjes, J.J. Fischer, C. Grimm, J. Schlesinger, S. Just, I. Dunkel, T. Krueger, S. Mebus, H. Lehrach, R. Lurz, J. Gobom, W. Rottbauer, S. Abdelilah-Seyfried, and S. Sperling, Regulation of muscle development by DPF3, a novel histone acetylation and methylation reader of the BAF chromatin remodeling complex. Genes & Development, Sep 1, 2008; 22 (17): 2370-2384, doi:10.1101/gad.471408
Kontakt (Pressestelle):
Dr. Patricia Marquardt
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