Entfernung der Gaumenmandeln im Kindesalter – Operationen sind nicht immer notwendig

Ob eine Operation immer notwendig und ob dann eine vollständige Entfernung oder nur eine Verkleinerung der Gaumenmandeln erforderlich ist, muss der behandelnde HNO-Arzt individuell entscheiden. Denn insbesondere bei einer Komplettentfernung drohen Komplikationen wie Nachblutungen, die auch lebensbedrohlich sein können. Auf der Pressekonferenz am 7. Mai 2013, anlässlich der 84. Jahresversammlung der DGHNO KHC, diskutieren Experten über dieses Thema.

„Blutungskomplikationen nach einer Tonsillektomie, der vollständigen Entfernung der Gaumenmandeln, die im OP versorgt werden müssen, ereignen sich bei etwa fünf Prozent aller Patienten“ erklärt Professor Dr. med. Jochen Windfuhr, Chefarzt der Klinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde der Kliniken Maria Hilf in Mönchengladbach. „Diese können sich zu jedem Zeitpunkt und bei jedem Patienten zu einer lebensbedrohlichen Komplikation entwickeln.“ Unter den Risikofaktoren für das Auftreten und die Intensität postoperativer Blutungen werden immer wieder Operationstechnik, aber auch Patientenalter, Patientengeschlecht und Narkoseform genannt. „Dies hat uns aber bisher nicht geholfen vorherzusagen, wer von unseren Patienten bluten wird. Bei kleinen Kindern ist die Situation außerdem komplizierter, denn sie tolerieren nur geringere Mengen an Blutverlust. Dabei sind es nicht immer Massenblutungen, die wir fürchten. Auch bei so genannten Sickerblutungen können große Blutmengen unbemerkt verschluckt werden und dann zum schwallartigen Bluterbrechen und/oder Kollaps des Herz-Kreislaufsystems führen“, so Windfuhr. Deswegen sei besonders bei jungen Patienten eine lückenlose postoperative Betreuung auch nach Entlassung aus der stationären Versorgung bis zum vollständigen Verheilen der Wunden besonders wichtig. „Eltern müssen wissen, was zu tun ist, wenn ihr Kind blutet“, ergänzt Windfuhr.

Die wissenschaftliche Beurteilung, ob die Mandeln überhaupt entfernt werden müssen, wird inzwischen wesentlich strenger beurteilt und hat zu einem erheblichen Rückgang der Operationshäufigkeit geführt: „Internationale Leitlinien und folglich immer mehr Ärzte orientieren sich an den Ergebnissen einer Studie aus den USA aus dem Jahre 1984, die den Nutzen einer Mandelentfernung für Patienten im Alter bis zu 15 Jahren untersuchte und bis heute Berücksichtigung bei den Leitlinien findet“, so Windfuhr. Eine Indikation zur Tonsillektomie im Kindesalter besteht nach dieser Studie erst ab einer bestimmten Anzahl an wiederkehrenden Mandelentzündungen. In aktuellen Leitlinien wird aber auch darauf hingewiesen, dass die individuellen Umstände des Patienten berücksichtigt werden müssen. Liegen beispielsweise multiple Antibiotika-Allergien vor, die eine Entzündungstherapie unmöglich machen, ist die Indikationsstellung gerechtfertigt. Aber auch bei anderen Krankheitsbildern, wie Mandelabszessen oder einem PFAPA-Syndrom, eine seltene Fiebererkrankung, ist die Mandelentfernung hilfreich.“ Für die Entscheidungsfindung sei ein ausführliches Gespräch mit den Eltern unerlässlich. „Ergeben sich hier Unsicherheiten, tauschen sich die Ärzte untereinander aus“, erklärt Windfuhr.
Die Einstellung zur Gaumenmandelentfernung bei Kindern hat sich in den letzten zehn Jahren sehr gewandelt: War früher noch die vollständige Entfernung der Gaumenmandeln als Routinetherapie bei den verschiedensten Krankheitsbildern anerkannt, so werden seit Ende der 1990er Jahre zunehmend Teilentfernungen, Tonsillotomien, vorgenommen. Bei dieser Technik erhält der Operateur die Tonsillenkapsel und schont die größeren zuführenden Gefäße. Dadurch ist das Blutungsrisiko deutlich geringer und der Patient hat weniger und kurzfristiger Schmerzen. „Wenn die Mandeln zu groß sind, führt dies gerade bei unseren kleinen Patienten zu einer Verengung der Atemwege. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Schlafqualität bei den betroffenen Kindern, die deswegen von der Verkleinerung der Gaumenmandeln deutlich profitieren“, führt Windfuhr aus.

Auf der Pressekonferenz der 84. Jahrestagung am 7. Mai 2013 informiert Professor Dr. med. Jochen Windfuhr über neueste Erkenntnisse in der Behandlung von Mandelentzündungen, aktuelle Therapieempfehlungen und wann auf eine Operation verzichtet werden kann. Am 11. Mai findet darüber hinaus auf dem Kongress ein Streitgespräch unter Ärzten statt, die sich über die besten Behandlungsmethoden austauschen. Weitere Informationen zur 84. Jahresversammlung finden Interessierte unter www.hno.org.
Terminhinweise:
84. Jahresversammlung der Deutschen Gesellschaft für
Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e.V. (DGHNO KHC)
Termin: 8. Bis 12. Mai 2013
Ort: Nürnberg Convention Center (NCC Ost)

Kongress-Pressekonferenz
Termin: Dienstag, 7. Mai 2013, 11.00 bis 12.00 Uhr
Ort: Maritim Hotel Nürnberg, Raum Martin Behaim, Frauentorgraben 11, 90443 Nürnberg
Informationen: http://idw-online.de/pages/de/event43018

Streitgespräch
Tonsillektomie – Quo vadis?
Termin: 11. Mai, 10.30 bis 12.00 Uhr
Ort: Saal Tokio, Nürnberg Convention Center (NCC Ost)

13. HNO-Pflegetag: „Psychosoziale Aspekte in der Pflege“
Termin: 10. Mai 2013
Ort: Nürnberg Convention Center (NCC Ost)

Tag der Praxis: „Stolpersteine bei Elektiveingriffen“
Termin: 11. Mai 2013
Ort: Nürnberg Convention Center (NCC Ost)

Ihr Kontakt für Rückfragen:

Pressestelle der 84. Jahresversammlung der DGHNO KHC:
Christina Seddig
Postfach 30 11 20
70451 Stuttgart
Telefon: 0711 8931-442
Telefax: 0711-8931-167
E-Mail: seddig@medizinkommunikation.org

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idw

Weitere Informationen:

http://www.hno.org

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