Endoprothetik mit minimalem Blutverlust

Prof. Andreas Roth (2.v.r.) während einer Operation. Der leitende UKL-Chirurg und sein Team der Endoprothetik setzen auf neueste Verfahren, die wesentlich seltener zu hohem Blutverlust bei Patient:innen führen.
(c) Stefan Straube / UKL

Blutungsarm Endoprothesen einsetzen – diesem Ziel hat sich die Orthopädie am Universitätsklinikum Leipzig (UKL) sehr erfolgreich verschrieben. Nach verschiedenen Umstellungen der Abläufe während und nach der Operation können die Chirurgen um Prof. Andreas Roth nicht nur den teilweise hohen Blutverlust beim Einsetzen einer Knie- oder Hüftprothese und Folgeprobleme wie Infektionen vermeiden, sondern so auch den Patient:innen schneller wieder auf die Beine helfen.

Hinter Prof. Andreas Roth und seinem Team liegen vier Jahre voller Umstellungen. So lange hat es gedauert, bis aus der ersten Anpassung der Abläufe im Operationssaal der Orthopäden im Universitätsklinikum Leipzig die heute fast blutverlustfreie Endoprothetik geworden ist. Jahre, in denen viele Fachrichtungen zusammengearbeitet haben und Neuerungen schrittweise eingeführt wurden. Das Ergebnis: „Wir brauchen heute kaum noch Transfusionen, um den Blutverlust bei einer Hüft- oder Knieprothesen-Operation wieder aufzufangen“, beschreibt Prof. Roth, Leiter des Bereichs Endoprothetik/ Orthopädie. Dabei galt und gilt sein Fach als eher „blutige“ Chirurgie, bei der es im Gegensatz zu anderen eben nicht minimal-invasiv zugeht, das eine oder andere Gefäß betroffen ist und so manche Blutkonserve benötigt wird. „Endoprothetische Operationen waren oft mit einem beträchtlichen Blutverlust verbunden und führten dazu, dass bis zu 46 Prozent der Patient:innen während oder nach der Operation eine Bluttransfusion benötigten“, erläutert der erfahrene Orthopäde.

Dr. Christina Pempe im Gespräch mit einem Patienten. Die Fachärztin für Orthopädie / Unfallchirurgie hat den Prozess zur Etablierung des Verfahrens von Anfang an begleitet.
Dr. Christina Pempe im Gespräch mit einem Patienten. Die Fachärztin für Orthopädie / Unfallchirurgie hat den Prozess zur Etablierung des Verfahrens von Anfang an begleitet. Foto: Stefan Straube / UKL

Für die Patient:innen bedeutet das eine längere Erholungszeit nach dem Eingriff, denn auch der Kreislauf muss erst wieder auf die Beine kommen. „Zudem hat sich über die üblichen Drainagen zur Kontrolle, ob es vielleicht doch noch blutet, der Flüssigkeitsverlust oft auch in den folgenden Tagen fortgesetzt“, beschreibt Roth. Moderne Chirurgie, davon ist er überzeugt, sollte hier andere Lösungen suchen. Und er wurde fündig: Zum einen bei Verfahren zur subtilen Blutstillung während der Operation, die von den plastischen Chirurgen am UKL eingesetzt werden. „Dabei werden die Gefäße während des Eingriffs mit speziellen Methoden direkt verschlossen“, erklärt Roth. Dadurch dauere die Operation zwar bis zu 15 Minuten länger, aber „im Nachgang gibt es sehr viel weniger Hämatome, Schwellungen oder auch Infektionen im Operationsgebiet“. Roth lernte von den Kolleg:innen und stellte seine Technik bei den Patient:innen, wo dies möglich war, um. Andere Operateure folgten, so dass heute die überwiegende Mehrheit der Endoprothesen am UKL mit minimalem Blutverlust eingesetzt wird. Die Folge: Nur noch bei minimalen drei Prozent der endoprothetischen Operationen wird eine Bluttransfusion benötigt!

Blutwert- und Gerinnungskontrolle

Um das zu ermöglichen, mussten allerdings auch viele weitere Faktoren vor, während und nach der Operation wie die Kontrolle der Blutwerte, der Gerinnung, Anpassungen der Narkose bis hin zur Schmerzbehandlung verändert werden. So wird während der Operation Tranexamsäure (TXA) eingesetzt, ein spezielles Mittel, dass die Gerinnungsneigung kurzzeitig steigert und so Blutungen verhindert. „Dabei wird das individuelle Risiko der Patienten sorgfältig abgewogen und unter anderem auch entschieden, ob wir das Mittel systemisch oder nur lokal direkt am zu operierenden Gelenk einsetzen“, erläutert Privatdozent Dr. Christian Pfrepper. Der Gerinnungsspezialist hat die Orthopäden bei ihrem Vorhaben unterstützt und die Voraussetzungen geprüft, unter denen die dafür nicht explizit zugelassene medikamentöse Blutstillung zum Einsatz kommen kann. „Wir haben dann festgestellt, dass wir auf diese Weise sowohl eine hohe Patientensicherheit gewährleisten als auch effektiv Blutungen verhindern können.“ Die Risikoprüfung vorab fällt den Anästhesisten zu, die auch beurteilen, welche Narkose zum Einsatz kommen kann – Vollnarkose oder nur Teilnarkose des zu operierenden Beins. Zum Konzept gehört auch, die Nachwirkungen der Narkose so zu steuern, dass die Patienten schnell aufstehen und in Bewegung kommen können. „Das hat alles Vor- und Nachteile“, sagt der Anästhesist Prof. Robert Werdehausen, „deshalb wägen wir genau ab, was für den Einzelnen am besten ist.“ Denn wirksam ist das Maßnahmenpaket auf jeden Fall.

Transfusionsfrequenz von nur noch drei Prozent

So wirksam, dass derzeit nur noch bei bestimmten Risikopatienten vorsorglich Blutpräparate vor der Operation vorbereitet und bereitgestellt werden – statt für jeden, wie das vorher der Fall war. Bei bis zu 400 Operationen im Jahr macht das einen großen Unterschied. „Wir konnten die internen Richtlinien dazu anpassen, weil wir mit unserem Verfahren die Transfusionshäufigkeit bei endoprothetischen Operationen auf drei Prozent gesenkt haben“, erklärt Orthopädin Dr. Christina Pempe.
Sie hat den Prozess von Anfang an begleitet und versucht ihn, weiter voranzutreiben: Auch vor der Operation kann dafür gesorgt werden, dass Transfusionen überflüssig werden. „Der Hämoglobinwert HB gibt uns dafür wichtige Hinweise.“ Bei einer Blutarmut, also einer Anämie, steigt trotz aller Maßnahmen das Risiko für Transfusionen, haben Auswertungen gezeigt. Also prüfen die UKL-Orthopäd:innen bereits in der Sprechstunde vor der Operation die Blutwerte und den HB-Wert. „Ist dieser zu niedrig, bitten wir die Hausärzte, bis zur OP die damit verbundene Anämie der Patient:innen zu behandeln“, erklärt Pempe. Klappt das, trägt auch dieser Baustein dazu bei, perfekte Bedingungen für das Gelingen der aufwändigen Implantation der Kunstgelenke zu schaffen.

Verzicht auf Drainagen

„Inzwischen nutzen wir das neue Verfahren zunehmend auch für die komplizierteren Operationen zum Wechsel einer Endoprothese“, so Dr. Christina Pempe weiter. Denn die Abläufe haben sich gut eingespielt – auch die nach dem Eingriff. Denn eine weitere Neuerung ist der Verzicht auf Drainagen, also die Ableitung von Flüssigkeit aus dem Gewebe über einen Katheter. „Da wir die Gefäße verschließen, benötigen wir diesen Schlauch unter der Haut nicht mehr“, beschreibt Prof. Andreas Roth. Dieser sollte bisher Schwellungen verhindern, aber auch eine Kontrolle möglicher Nachblutungen sicherstellen. Das wird nicht mehr gebraucht, dafür sorgt die Blutstillung während der Operation. Gleichzeitig können so Entzündungen vollständig vermieden werden. „Dadurch verhindern wir auch, dass sich Prothesen wieder lockern“, sagt der Orthopäde.

So verändern die Umstellungen bei der Operation auch die Routinen auf der Station: Drainagenkontrollen und -wechsel entfallen, dafür bekommen die Patient:innen eine spezielle Kühlung in der Nachbetreuung, stehen viel schneller auf, um wieder in Bewegung zu kommen, und verlassen auch früher das Krankenhaus.
„Das war ein nicht immer leichter gemeinsamer Lernprozess voller Umstellungen“, blickt Roth zurück, „der vermutlich auch nur in einem Klinikum wie dem unseren, wo so viele Expert:innen zusammenkommen, möglich war.“ Profitiert haben seine Patient:innen. „Wenn ich diese nach der Operation besuche, bin ich immer wieder selbst überrascht, wie gut es ihnen geht und wie schnell sie wieder beweglich sind.“

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