Datenflut aus dem Blut

Blutplättchen, in der Fachsprache „Thrombozyten“ genannt, sind die kleinsten bekannten Zellen im menschlichen Organismus. Gerade mal zwei bis fünf Tausendstel eines Millimeters groß übernehmen sie im Körper doch eine zentrale Aufgabe:

Kommt es zu einer Verletzung an einem Blutgefäß, sammeln sich die Plättchen an der undichten Stelle, ballen sich zusammen und stillen so die Blutung. Ein wichtiger Mechanismus fürs Überleben. Gefährlich wird es hingegen, wenn die Thrombozyten sich ohne erkennbaren Anlass zu einem Gerinnsel zusammenlagern: Dann können Gefäße verstopfen; es drohen Herzinfarkt oder Schlaganfall.

2,5 Millionen Euro für die kommenden drei Jahre

Wie die Blutgerinnung funktioniert, ist noch immer nicht bis ins letzte Detail geklärt. Licht ins Dunkel bringen soll ein großes Forschungs-Verbundprojekt, das jetzt vom Bundesforschungsministerium ins Leben gerufen wurde.

Wissenschaftler an sechs Standorten und aus unterschiedlichen Fachrichtungen, aus Uni und der Industrie, werden darin gemeinsam arbeiten. Dafür erhalten sie in den nächsten drei Jahren 2,5 Millionen Euro. Der Name des Projekts: „Sara – Systembiologie der humanen Plättchen-ADP-Rezeptor-Antagonisten“.

„Auch wenn die Thrombozyten so überaus klein sind, arbeiten in ihnen doch Tausende von Proteinen zusammen und sorgen so für ihr Funktionieren“, sagt Dr. Jörg Geiger. Geiger ist Wissenschaftlicher Angestellter am Institut für Klinische Biochemie und Pathobiochemie der Universität Würzburg (Professor Ulrich Walter). Im Forschungsverbund leitet er ein Teilprojekt, das den medizinischen und biochemischen Schwerpunkt bildet.

Genaues Verständnis der Abläufe in der Zelle

Ausgangspunkt seiner Arbeit ist die Beobachtung, dass zwei Stoffe – das ADP und ein Prostaglandin – unterschiedliche Rezeptoren in der Zellwand der Thrombozyten aktivieren, die ihrerseits über verschiedene Zwischenstufen die Aggregation der Thrombozyten hemmen oder stimulieren. „Über diesen Prozess wissen wir zwar schon einiges; viele Fragen sind aber noch offen“, sagt Geiger. Die Antworten soll das Verbundprojekt liefern – was mit einem enormen Aufwand verbunden sein wird.

„Wenn wir die unterschiedlichen Regelkreise verstehen wollen, müssen wir zuvor die daran beteiligten Proteine der Thrombozyten kennen“, sagt Geiger. Das ist der Punkt, an dem ein Ex-Würzburger ins Spiel kommt: Albert Sickmann, bis vor kurzem Arbeitsgruppenleiter am hiesigen Rudolf-Virchow-Zentrum, jetzt Professor an der Universität Dortmund. Sickmanns Spezialität ist es, mit Hilfe der Massenspektrometrie genaue Aussagen über die Zusammensetzung des zu untersuchenden Materials zu liefern. Mit Hilfe dieser Technik ist es möglich, beteiligte Proteine des Thrombozyten und deren Veränderungen, etwa bei Gerinnungsvorgängen, direkt zu messen und damit weiteres Licht in diese komplexen Vorgänge zu bringen.

Bioinformatiker basteln am Netzwerk der Signalketten

Geiger und seine Mitarbeiter liefern die Proben; Sickmann untersucht sie – und dann? „Dann bricht eine immense Datenflut mit einem hohen Grad an Komplexität über uns herein, die der Weiterverarbeitung bedarf“, erklärt Jörg Geiger. Eine Aufgabe, der sich der nächste Würzburger Forscher annehmen wird: Thomas Dandekar, Inhaber des Lehrstuhls für Bioinformatik am Biozentrum. Die Bioinformatiker sollen mit ihren Formeln, Algorithmen und PCs „das Signalnetzwerk der Thrombozyten-Aktivierung und -Hemmung“ erstellen.

Sind alle Proteine und Signalwege identifiziert, erwarten die Wissenschaftler deutliche Fortschritte für die Medizin: „Wenn der Prozess bekannt ist, finden wir vielleicht diagnostische Marker, die Aussagen über mögliche Risiken zulassen“, sagt Geiger. Während ein Schlaganfall oder ein Herzinfarkt heute in der Regel plötzlich und überraschend auftreten, könnte dann eine einfache Untersuchung des Blutes frühzeitig Auskunft darüber geben, ob eine bestimmte Person gefährdet ist.

Hoffnung auf eine bessere Therapie

Auch für die Therapie erwartet Geiger deutliche Verbesserungen: „Heute wissen wir, dass ein bestimmter Prozentsatz der Patienten nicht oder nur schlecht auf die gängigen Medikamente anspricht“, sagt der Wissenschaftler. Eine exakte Erklärung dafür fehlt – genauso wie die Möglichkeit, vorherzusehen, in welche Gruppe ein bestimmter Patient fallen wird. Das könnte sich ändern mit dem Wissen, das der Forschungsverbund in den kommenden Jahren gewinnen will.

Weitere Beteiligte sind:

* Die Würzburger Firma vasopharm, ein von Professor Ulrich Walter 1998 mitgegründetes Unternehmen. Dort sollen neue Testverfahren entwickelt werden.

* Das Universitätsklinikum Mainz. Dort läuft die „Prevent-it – Gutenberg-Herz-Studie“ mit 17.000 Teilnehmern.

* Das Universitätsklinikum Hamburg mit dem Teilprojekt „SH2 Domain Profiling“

* Die Universität Freiburg mit dem Teilprojekt „Modeling of signaling pathways“

* Die Universität Tübingen mit dem Teilprojekt „Computational proteomics“

Leiter des Forschungsverbunds Sara ist Albert Sickmann; sein Stellvertreter ist Ulrich Walter.

Kontakt: Dr. Jörg Geiger, T: (0931) 31 83 17 3; E-Mail: j.geiger@klin-biochem.uni-wuerzburg.de

Media Contact

Robert Emmerich idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-wuerzburg.de/

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