Chemie 2010 – Der Branchentreff für Industrie, Politik und Wissenschaft

Finanzmanagement bei Lanxess, Development-Strategie bei Merck, Deutschland als Forschungs- und Innovationsstandort, Bedeutung der Chemie-Distributeure sowie Fragen zur Personalstrategie waren die Themen des 2. Tag der 11. Handelsblatt Jahrestagung für die Chemische Industrie (19. Mai 2010).

Finanzmanagement in der Krise bei Lanxess
Matthias Zachert, Finanzvorstand der Lanxess AG und vom US-Magazin „Institutional Investor” 2010 zum besten CFO der europäischen Chemie-Branche gewählt, berichtete über das Finanzmanagement während der Wirtschaftskrise. Drei tragende Säulen hätten dazu geführt, dass Lanxess besser als die meisten anderen Chemie-Unternehmen durch die Krise gekommen sei: Kostenmanagement (in den vergangenen drei Jahren wurden 360 Millionen Euro Kosten gesenkt), Stabilisierung der Profitabilität (Preis vor Menge, da absehbar war, dass Rohstoffpreise bald wieder steigen würden) und Finanzmanagement. Letzteres teilte Zachert in vier wesentliche Faktoren auf. Kommunikation, insbesondere gegenüber den Investoren, Controlling (Kundenmonitoring und wöchentliches Reporting), Bilanzierung (wie zum Beispiel Anpassung der Wechselkursrisiken durch geringere Geschäftsvolumina) und Liquidität durch ein striktes Forderungsmanagement. Zu diesem Maßnahmenpaket gehörte auch die deutliche Senkung der Dividende, denn: „Lieber die Dividende frühzeitig einmal deutlich senken als mehrmals. Dies unterstützt die Glaubwürdigkeit eines guten Finanzmanagements“, so Zachert.
Development-Strategie bei Merck
Dr. Bernd Reckmann, Chemie-Chef der Merck KGaA, erläuterte die Business Development Strategie des kombinierten Pharma- und Chemie-Herstellers aus Darmstadt. Es bleibe beim Dualismus aus Chemie und Pharma, denn die unterschiedlichen Geschäftszyklen glichen konjunkturelle Risiken aus. Mit Blick auf seine Chemie-Sparte und auf das sehr erfolgreiche LED-Geschäft stellte Reckmann fest: „Wir bei Merck sehen uns als Materiallieferant und möchten nicht weiter in die Geschäftsprozesse unserer Kunden eindringen.“ Allerdings räumte er ein, dass es zunehmend schwieriger werde zu prognostizieren, wann neue Technologien den Durchbruch schafften. Am Beispiel der LEDs: vor Jahren gab es noch 15 LED-Technologie-Anbieter, jetzt nur noch drei. Einige hätten auf die falsche Technologie gesetzt, andere hatten schlichtweg nicht genug Geduld. Merck investiere circa sieben Prozent des Umsatzes in F&E und verfolge verschiedene F&E-Strategien. Neben dem klassischen „push-Ansatz“ verfolge Merck auch einen „customer-driven-Ansatz“ („emprove“). Zudem beteilige sich Merck an verschiedenen Themen-Clustern und cross-divisionalen Partnerships („innospire“). Eine Venture fund-Strategie wie in der Pharma-Sparte ist für Reckmann nicht sinnvoll, allerdings könne man durchaus aus der F&E-Aufgabenteilung bei der Pharmaforschung lernen, so Reckmann.
Altana-CTO: bei F&E-Projekten steht der Netzwerk-Gedanke im Vordergrund
Dr. Georg Wießmeier, CTO bei Altana präsentierte einen anderen Strategieansatz im Innovationsmanagement. Durch die Holdingstruktur bei Altana würde dort grundsätzlich der Netzwerkgedanke bei F&E-Projekten im Vordergrund stehen. Der Holding obliege es aus der Gruppenaufstellung einen gesamtheitlichen Mehrwert zu erzielen. Dies tut Altana, die auch gut sechs Prozent ihres Umsatzes in die Forschung investieren, durch verschiedene Managementansätze: neben der Erforschung neuer Produkte würden viel Kapazitäten in die Erforschung neuer Technologien und Prozesse investiert, da sich die Firmen der Altana-Gruppe nicht so sehr als Materiallieferanten sähen, sondern eher als Solution-provider. Ziel sei es vor allem die Commoditisierung der angebotenen Spezialchemikalien zu vermeiden. Zudem sei Altana auch rückwärtsintegriert, zum Beispiel durch Beteiligungen an Rohstofflieferanten, um früh in der Wertschöpfungskette Weichen stellen zu können.
Bedeutung von Chemie-Distributeuren
In der anschließenden Diskussion mit den Teilnehmern kam die Bedeutung und Beteiligung von Chemie-Distributeuren zur Sprache. Diese wurde von den drei Referenten unterschiedlich bewertet. Zachert verwies auf die eigene Distributionsfirma, die Lanxess zur Verfügung stünde und auch genutzt würde. Externen Distributeuren räumte er am ehesten zur Erschließung neuer Märkte eine realistische Chance ein. Reckmann und Wießmeier betonten die Wichtigkeit von Distributeuren besonders bei der Organisation und Betreuung von B- und C-Kunden. Innovationskunden würden von Merck aber persönlich betreut, damit Informationen zu Produkten und Anwendungen ungefiltert ins Unternehmen zurück flössen, betonte Reckmann.
Sind deutsche Forschungsinstitute noch wettbewerbsfähig?
Über die Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung diskutierten im Anschluss Reckmann und Wießmeier mit Prof. Dr. Horst Hippler, dem Präsidenten der KIT sowie MinDir Dr. Huthmacher, Abteilungsleiter im BMBF. Prof. Dr. Michael Dröscher, Präsident der GDCh und Moderator dieser Podiumsdiskussion, stellte die Frage, ob deutsche Forschungsinstitute überhaupt noch wettbewerbsfähig seien, wenn deutsche Chemie-Unternehmen Forschungsaufträge nach Harvard vergäben. Prof. Hippler entgegnete darauf, dass deutsche Forschungsketten – also Institute und Unternehmen – an globaler Wettbewerbsfähigkeit verloren hätten. Dies sei auf mehrere Faktoren zurück zu führen. Zum einen würde in Deutschland zwar viel geforscht, aber zu wenig produziert, wie im Bereich Consumer Electronics oder Photovoltaik. Dröscher zitierte aus dem European Innovation Scoreboard 2009. laut dem Deutschland in der Summe aller 29 Innovationsindikatoren an dritter Stelle in der EU hinter Schweden und Finnland platziert ist. Auf den ersten Blick schneide Deutschland zwar nicht schlecht ab, bei Human Resources liege Deutschland mit Platz 19 und bei Finance and Support mit Platz 18 jedoch unter dem EU-Schnitt. Positiv sei der Platz 7 bei Investments sowie Platz 5 bei Patenten und Platz 2 bei den Innovatoren. Dröscher wies aber darauf hin, dass die EU nicht allein der Maßstab sei, wichtig sei auch der Blick über Europa hinaus: „Gegenüber den USA und Japan hängt die EU als Ganzes deutlich zurück, der Vorsprung gegenüber den BRIC-Ländern schrumpft, insbesondere gegenüber China“, stellte Dröscher fest.
SWOT-Analyse für Nordrhein-Westfalen
Eine SWOT-Analyse für den Chemiestandort Nordrhein-Westfalen, mit über 30 Prozent der Chemieumsatz sicher recht repräsentativ für Deutschland, so Dröscher brachte folgendeErgebnisse: Stärken seien vor allem die Ballung von Unternehmen der gesamten chemischen Wertschöpfung sowie der für die chemische Industrie wichtigen industriellen Abnehmerbranchen. Eine leistungsfähige Infrastruktur, großes Mitarbeiterpotenzial, gute Wissenschaftslandschaft sowie eine hohe Inventionskraft seien weitere Vorteile

Als Schwachpunkte wurde ein überproportional hoher Anteil an Grundstoffchemie und Pharma vermerkt, ebenso wie ein Innovationsstau, Lücken in den Wertschöpfungsketten, hohe Energiekosten sowie ein enges Nebeneinander von Industrie und Bevölkerung. Bei den Chancen sei es vor allem wichtig, im Bereich F&E Schwerpunkte zu bilden, die Qualität der chemierelevanter Ausbildungsgänge zu erhöhen und durch Vernetzung Innovationen zu beschleunigen. Der zunehmende Wettbewerb mit anderen europäischen Standorten stelle eine Bedrohung dar, ebenso wie die Abwanderung im Investitionszyklus, abnehmende Industrieakzeptanz und ein Mangel an Fachkräften.

Bildungsstandort Deutschland in Gefahr
Zum anderen gelinge es nicht ausreichend, ausländische Spitzenforscher an den Standort Deutschland zu holen. MinDir Huthmacher pflichtete dem bei. Es könne aber nicht sein, dass der Bund in Bildung investiere, die Länder aber genau dort sparen wollten – er zielte damit auf die jüngsten Äußerungen von Hessens Ministerpräsident Koch. Mittlerweile sei der überbordende Bildungsförderalismus nicht mehr förderlich, sondern wettbewerbshemmend. „Wir müssen hier zu neuen Strukturen kommen“, so Huthmacher, der auch auf die in Deutschland immer noch eine weit verbreitete Technikablehnung hinwies. Auch die Industrie müsse früher kommunizieren und Akzeptanz schaffen, damit aufwändige und kostspielige Regulation entfallen, denn „Die Unstetigkeit von politischen Entscheidungen mit langen Entscheidungswegen aber oft kurzatmigen Reaktionen sind Gift für Innovationsprozesse.“ Reckmann stimmte dem zu und erinnerte daran, dass der VCI bereits viel unternähme, um das Image der Chemie in Deutschland zu verbessern. Dies trage auch Früchte, wie repräsentative Umfragen in der Bevölkerung ergäben. Kritisch merkte er in Richtung BMBF an, dass die Forschungsförderung in Deutschland zwar gut aber viel zu kompliziert sei. Gerade KMU seien mit der Komplexität der Anträge und Genehmigungsverfahren überfordert. Huthmacher versprach, dass die steuerliche F&E-Förderung kommen werde, derzeit würden die Details geregelt.
Personalstrategien in der chemischen Industrie
In der zweiten großen Podiumsdiskussion standen Human Resources und Personalstrategien im Mittelpunkt. Dr. Zaby (ehem. Mitglied des Vorstandes der Bayer AG) diskutierte mit Prof. Dr. Yvonne Haffner (Soziologin an der TU Darmstadt), Gerhard Kronisch (Hauptgeschäftsführer des VAA), Dr. Georg Oenbrink (Senior Vice President, Evonik Degussa) sowie Dr. Wilhelm Sittenthaler (Mitglied des Vorstandes sowie Arbeitsdirektor der Wacker Chemie AG) und eröffnete die Runde mit Ergebnissen der neuesten Gallup-Studie (http://bit.ly/cyvsBO) derzufolge 67 Prozent der Beschäftigten Dienst nach Vorschrift machten und 20 Prozent bereits innerlich gekündigt hätten. Prof. Haffner verwies auf eine Studie ihres Instituts speziell für die Chemie-Industrie: (http://bit.ly/bBhsUh) Die meisten Führungskräfte beklagten, dass ihre Vorgesetzten sie nicht richtig einschätzten. Dies führe dazu, dass subjektiv gesehen gleich gute Mitarbeiter unterschiedlich stark gefördert würden und schüre ein latentes Ungerechtigkeitsgefühl in den Abteilungen. Den Untersuchungen Haffners zu Folge sei nachgewiesen, dass in Chemie-Unternehmen bevorzugt die Personen befördert würden, die eine große Zeitpräsenz bewiesen. Generell nähme der Anspruch der Zeitverwendung auf die Mitarbeiter in der Industrie zu. Erwartet werde Erreichbarkeit rund um die Uhr auch im Urlaub, Weiterbildungsangebote am Wochenende usw.

Dr. Oenbrink meinte hingegen, dass die Prozesse der Mitarbeiterbewertung prinzipiell gut und zielführend seien, aber die Umsetzung in die Praxis oft mangelhaft sei. Gerade in Zeiten der Krise konzentrierten sich viele Führungskräfte auf das Kerngeschäft und vernachlässigten die Kommunikation mit dem Mitarbeiter. Bei der Wacker Chemie hätte man diese Problematik frühzeitig erkannt, berichtete Dr. Sittenthaler. Dort habe man Bottom-up-feedback eingeführt und zwar auf globaler Ebene. Kronisch bestätigte die Ergebnisse der Gallup-Studie. Deutsche Unternehmen schnitten laut neuester VAA-Befragung am schlechtesten im Bereich Personalentwicklung ab. (http://bit.ly/doU80a) Dabei zeige sich, dass Bewerber Unternehmen sehr stark nach dem eigenen Wertbewusstsein aussuchten. Der Informationsstand über die Chemiefirmen sei – auch Dank der digitalen Medien – viel höher als früher, dies gelte auch für interne Prozesse, die transparenter seien als noch vor zehn Jahren. Das sei vielen Unternehmen nicht klar. Daher würden auch intransparente Prozesse, wie Top-down Bonus-Zielprogramme als besonders ungerecht und demotivierend empfunden. Prof. Haffner stimmte dem zu. Nach ihren Untersuchungen spielte für die Mitarbeitermotivation gar nicht die absolute Höhe eines Gehaltes die entscheidende Rolle, sondern die Art der Gehaltsfindung sowie die Gehaltsgerechtigkeit.

Bezug nehmend auf das Interview mit Vassiliadis fragte Zaby, ob die Vertreter der Podiumsdiskussion die Mitbestimmung noch als zeitgemäß empfänden. Das deutsche Modell wurde in großer Einigkeit als positiv bewertet. Kronisch: “Die deutsche Industrie hat die Krise auch aufgrund der Mitbestimmung so gut überstanden, schauen Sie nur mal nach Frankreich. In diesem Zusammenhang bedauern wir sehr, dass mit Umstellen auf die SE der Aufsichtratssitz leitender Angestellte jetzt bröckelt“. Sittenthaler stimmte dem im Prinzip zu, merkte aber an, dass viele Tarif-Strukturen vor 10-15 Jahren festgelegt wurden, die jetzt nicht mehr zeitgemäß seien.

Auf Zabys Frage, warum „Diversity“ nicht funktionieren und offensichtlich auch nicht die Förderung von Frauen, antwortete Haffner: „An Motivationsunterschieden liegt es nicht. Zu Beginn seien Frauen und Männer gleich motiviert, auch Karriere zu machen, aber die Struktur des Arbeitslebens in Deutschland selektiere eben bestimmte Charaktere“. Diversity heiße auch nicht, lediglich Mitarbeiter verschiedener Ethnien einzustellen, sondern eine komplett andere Auffassung der Arbeitsstrukturen zu akzeptieren, wie die Abkehr vom klassischen Rollenmodell und vom Anspruch der Allverfügbarkeit der Arbeitskraft. Gerade dies seien Frauen eben weniger bereit zu akzeptieren und verlören daher den Wettbewerb um Führungspositionen. Oenbrink ergänzte, dass Chemie-Unternehmen gerade in Deutschland viel zu wenig täten, um die Mitarbeiter oder High potential-Bewerber außerhalb des Unternehmens zu unterstützen, zum Beispiel bei der Wohnungssuche oder bei der Vermittlung eines Arbeitsplatzes des Lebenspartners, in den USA sei dies längst Gang und Gäbe bestätigte Sittenthaler. Dies sei umso riskanter, da jetzt schon abzusehen sei, dass es mittelfristig nicht mehr genug qualifizierte Bewerber für ingenieurs- und naturwissenschaftliche Berufsgänge mehr geben werde. Auch hier spiele die geringe Beliebtheit der MINT-Fächer schon in der Schule eine unrühmliche Rolle, bedauerten alle Teilnehmer der Jahrestagung.

Der Termin für die nächste Handelsblatt Jahrestagung Chemie: 18. und 19. Mai 2011, Köln

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Vanessa van der Mark Euroforum Deutschland SE

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