Biomedizinische Mikrosysteme im Einsatz für die Gesundheit – Point of Care Testing (POCT): SmartHEALTH

Idealerweise soll eine solche Diagnose mittels kostengünstiger, kleiner und portabler Analysegeräte wahlweise im Krankenhaus, beim Fach- oder Hausarzt oder sogar vom Patienten selbst durchgeführt werden können und das Ergebnis innerhalb weniger Minuten vorliegen. Voraussetzung dafür ist, dass die Analysegeräte einfach zu bedienen sind und vor der eigentlichen Messung keine aufwändige Probenaufbereitung – wie beispielsweise Zentrifugieren von Blut – erforderlich ist. Für solche einfach durchführbaren Schnelltests hat sich der Begriff »Point of Care Testing (POCT)« eingebürgert.

Am Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT) im saarländischen St. Ingbert nutzt man Synergien zwischen den vorhandenen Expertisen auf den Gebieten Mikro(bio)sensorik, Biochiptechnologie und Biotelemetrie, um kundenspezifische Entwicklungen kompletter Analysesysteme voranzutreiben. Ein langjähriges Know-how sowie zahlreiche Technologien für eine biochipkompatible Aufbau- und Verbindungstechnik ermöglichen die Integration von Biochips in komplette Analysesysteme, so genannte Lab-On-Chip-Systeme. Die IBMT-Kompetenzen umfassen das Kapseln von Biochips sowie die Integration gekapselter Biochips in Analysekartuschen. Sowohl beim Kapseln als auch bei der Integration stellt die Realisierung von geeigneten miniaturisierten Schnittstellen für die elektrische, fluidische und mechanische Kontaktierung des Biochips sowie der Kartusche eine besondere Herausforderung dar. Elektrische und fluidische Bereiche des Biochips müssen dabei auf engstem Raum zuverlässig voneinander getrennt werden.

Im Rahmen eines Verbundprojekts der Europäischen Union zum Point of Care Testing (POCT) »SmartHEALTH«, koordiniert von Professor Calum McNeil, Universität Newcastle upon Tyne, war das Fraunhofer IBMT neben anderen Partnern an der Entwicklung und Systemintegration der zentralen Biosensors (CDR-Biochip = Circular Disk Resonator) beteiligt.

Ein Lösungsansatz für die im Projekt eingesetzten POCT-Geräte sah vor, die Schritte der Probenaufbereitung und Messung in einer Flüssigkeitskartusche zu implementieren. Die Kartusche ist ein Einwegartikel und wird zur Durchführung einer Diagnose in ein POCT-Analysegerät eingeführt, welches alle auf der Kartusche ablaufenden Schritte steuert und letztlich das Untersuchungsergebnis auf einem Display darstellt. Das Herzstück der Analysekartusche ist ein Biochip.

Das Projekt »SmartHEALTH« fokussiert auf die drei Krebsarten: Brust-, Gebärmutterhals- und Darmkrebs sowie auf Proteine, DNA und mRNA als Biomarker. Für die Markerdetektion stehen innerhalb des Projekts drei verschiedene Biochips zur Verfügung. Die höchste Sensitivität wird von einem von der Universität Newcastle entwickelten Resonator-Biosensor (CDR-Sensor = Circular Disk Resonator – Biosensor) erwartet. Dieser ist in Silizium-Mikromechanik gefertigt und hat Kantenabmessungen von lediglich 2 mm x 2 mm x 0,5 mm. Eine in der Chipmitte angeordnete hauchdünne Siliziummembran mit 200 µm Durchmesser, welche teilweise mit Fängermolekülen belegt ist und in resonante Schwingungen versetzt wird, stellt das eigentliche Messelement des Biochips dar. Zum elektrischen Anregen der resonanten Schwingung und dem Auslesen des Sensorsignals verfügt der Chip über 20 Bondpads, welche im Randbereich des Chips angeordnet sind und elektrisch kontaktiert werden müssen.

Obwohl Techniken zur elektrischen Chipkontaktierung aus der Mikroelektronik hinreichend bekannt und ausgereift sind, stellt die Aufbau- und Verbindungstechnik, wie sie für einen Biochip benötigt wird, ganz besondere Anforderungen an die verwendbaren Materialien und Prozesse. Ein grundlegender Unterschied zu reinen Mikroelektronikchips liegt darin, dass bei Biochips ein Materialtransfer nötig ist, d. h. die zu detektierenden Krebsmarker müssen zur Membran des CDR-Sensors gelangen und mit den auf der Membran immobilisierten Fängermolekülen eine Bindung eingehen. Während also der sensitive Bereich des Biochips mit der Probenflüssigkeit in Kontakt kommen muss, müssen die elektrischen Bereiche, beispielsweise die Bondpads, gekapselt sein, um jeglichen Kontakt mit der Probenflüssigkeit zu vermeiden. Im Falle des CDR-Sensors befinden sich sowohl die sensitive Siliziummembran als auch die Bondpads auf der Chipoberseite. Der geringe Abstand zwischen der Membran und den Bondpads (weniger als 700 µm) macht die elektrische Kontaktierung der Bondpads sowie deren Kapselung, bei gleichzeitigem Aussparen des Membranbereichs, zu einer besonderen Herausforderung.

Das Fraunhofer IBMT zeichnet im Rahmen des Projekts verantwortlich für die Kapselung des CDR-Biochips sowie dessen Integration in das Analysegerät. Dabei sind der Biochip sowie gegebenenfalls eine Vorverstärkerelektronik in eine Einwegkartusche zu integrieren. Elektrische und fluidische Bereiche des Biochips müssen auf engstem Raum zuverlässig voneinander getrennt werden. Die Kartusche muss sowohl eine elektrische als auch eine fluidische Schnittstelle zum Analysegerät zur Verfügung stellen.

Kapselung des Biochips
Die Integration des Biochips in die Kartusche wird mit einem an die Chip-on-Board-Technik angelehnten Verfahren realisiert. Um eine mechanisch robuste elektrische Verbindung zu erhalten, welche zudem extrem flach ist, verwendet das Fraunhofer IBMT für die elektrische Kontaktierung nicht das Drahtbondverfahren, sondern das eigens am Institut entwickelte und patentierte »MicroFlex«-Verfahren. Dabei kommen keine Bonddrähte, sondern in zweilagige Polyimidfolien integrierte Dünnfilmleiterbahnen zum Einsatz. Die gesamte Folie hat eine Dicke von nur 10 µm. Die Enden der Leiterbahnen sind offen und können mit einem handelsüblichen Ball-Wedge-Bonder mit den Bondpads des Biochips sowie den Pads einer Elektronikplatine verbunden werden. Diese Verbindung ähnelt dem mechanischen Nieten, wobei die »Balls« der Bonddrähte als Niet dienen und die Bonddrähte nach dem Setzen der Balls abgerissen werden. Im Gegensatz zur herkömmlichen Chip-on-Board-Technik werden die Chips in Vertiefungen in der Elektronikplatine geklebt, so dass die Chipoberfläche mit der Platinenoberfläche eben abschließt. Durchkontaktierungen in der Platine führen die elektrischen Kontakte zur Platinenrückseite. Anstatt eines üblichen Glob-Tops wird die gesamte Platinenoberseite inklusive Biochipoberfläche mit einer 0,5 mm dicken Epoxidschicht vergossen, welche alle elektrischen Bereiche vor der Probenflüssigkeit schützt. Lediglich der Membranbereich des Biochips ist von der Vergussschicht ausgespart. Um Letzteres zu erreichen, wurde eine maßgeschneiderte Gussform angefertigt. Während des Vergießens liegt eine Silikondichtlippe um die Membran und dichtet gegen den Siliziumchip ab.
Schnittstellenrealisierung
Die Realisierung der fluidischen Schnittstelle zwischen Biochip und Kartusche wurde komfortabel gelöst. Unter Verwendung eines geeigneten doppelseitigen Klebebands wird die oben beschriebene beschichtete Platine gegen die Kartusche geklebt. Dabei besteht ungehinderter fluidischer Kontakt zwischen der auf der Kartusche angeordneten Reaktionskammer und der Biochipmembran, während die elektrischen Bereiche der Platine und des Biochips durch den Verguss vor der Probenflüssigkeit geschützt sind. Den Klebeprozess führte Projektpartner MiniFAB Ltd. (Australien) durch, der auch die Einwegkartusche hergestellt hatte.

Die Realisierung der elektrischen Schnittstelle trägt der Anforderung Rechnung, dass die Kartusche ein Einwegartikel ist, welcher nur für eine einzige Analyse verwendet wird. Eine permanente elektrische Verbindung zwischen Kartusche und Analysegerät, wie beispielsweise eine Lötverbindung, scheidet daher aus. Ungeeignet sind auch Verbindungsmethoden, welche teurere Komponenten auf der Kartusche voraussetzen, wie beispielsweise elektrische Stecker. Die Methode der Wahl sind Federkontaktstifte, die sich im Analysegerät befinden. Nach dem Einschieben in das Analysegerät ist die Kartusche stets so positioniert, dass die Federkontaktstifte mit den Anschlusspads auf der Rückseite der Biochipplatine in Kontakt sind. Auf diese Art und Weise können alle 48 elektrischen Kontakte zwischen Biochip und Analysegerät realisiert werden. Die Federkontaktstifte sind dabei in zwei Reihen angeordnet, mit einem Pitch von 0,8 mm.

Geräteintelligenz und Kommunikation
Die SmartHEALTH-Systemplattform ermöglicht die gleichzeitige Messung und Auswertung von mehreren Analyten auf einem Gerät auf der Basis von Nukleinsäuren und Proteinen am Point-of-Care und kann verschiedene biologische Probentypen verarbeiten. Die Ergebnisse werden mit Hilfe von biostatistischen Verfahren wie Bayes’schen Netze, Neuronalen Netze und »Support Vector Machines« interpretiert. Die intelligenten Geräte identifizieren ihre Anwender und den Patienten wahlweise über integrierte Fingerprint-Leser, Gesundheitskarten wie die eGK oder durch Kennworteingabe. Sie unterstützen unterschiedlichste Point-of-Care-Szenarien in der Primärversorgung und zuhause und können mit Barcode und RFID-Etiketten umgehen. Sie kommunizieren auf medizinischen Standards basierend drahtlos mit Patientenakten des jeweiligen Labor-, Krankenhaus- und Online-Informationssystems unter Wahrung des Datenschutzes. Ferner entwickelte das IBMT unter dem Namen »Semantic Medical Device Space« ein zukunftsweisendes Gerätekommunikationskonzept auf der Basis von Technologien des semantischen Webs, das die Krebsanalysesysteme ad-hoc mit anderen medizinischen Messgeräten Daten austauschen lässt.

Die Kompetenzen des Fraunhofer IBMT im Bereich »Lab-On-Chip« sind jedoch nicht auf das Kapseln und die Bereitstellung der nötigen Schnittstellen beschränkt. Die IBMT-interne Zusammenarbeit verschiedener Arbeitsgruppen erlaubt die kundenspezifische Entwicklung kompletter Analysesysteme.

Ansprechpartner
Dr. Thomas Velten
Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik (IBMT)
Abteilung Biomedizinische Mikrosysteme
Telefon: +49 (0) 6894/980-301
thomas.velten@ibmt.fraunhofer.de

Media Contact

Annette Maurer idw

Weitere Informationen:

http://www.ibmt.fraunhofer.de

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