Amseln im Rampenlicht

Städte werden von vielen Tierarten bewohnt. Die Amsel (Turdus merula) gehört zu den erfolgreichsten Vogelarten, die Städte erfolgreich besiedelt haben.<br><br>Christian Ziegler<br>

Straßenlaternen, Ampeln, und Wohnbeleuchtung lassen unsere Nächte immer heller werden. Schon seit längerem wird vermutet, dass das nächtliche Kunstlicht der Städte Pflanzen, Tiere und Menschen beeinflussen kann. Studien, die diesen Einfluss direkt testen, gibt es jedoch nur wenige.

Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Radolfzell haben nun untersucht, wie sich die nächtliche Stadtbeleuchtung auf Amseln (Turdus merula) auswirkt. Tiere, die nachts geringen Lichtstärken, vergleichbar mit Lichtintensitäten in Städten, ausgesetzt sind, sind demnach eine früher bereit zur Fortpflanzung: Ihr Testosteronspiegel steigt und ihre Hoden reifen früher im Jahr. Außerdem beginnen sie früher zu singen und zu mausern. Die allgegenwärtige Lichtverschmutzung der Städte kann somit den jahreszeitlichen Rhythmus von Stadttieren deutlich beeinflussen.

Für viele Tierarten ist die jahreszeitliche Veränderung der Tageslänge eines der wichtigsten Umweltsignale für die Steuerung tageszeitlicher (z.B. Schlaf-Wach-Zyklen) und saisonaler Rhythmen (z.B. Brutzeit). Der Mensch nutzt seit langem dies beispielsweise in der Landwirtschaft aus: In Legebatterien lässt sich die Eiproduktion durch Veränderung der Tageslänge mit Hilfe von künstlicher Beleuchtung steigern.

Tiere, die in Städten leben, sind nun nicht nur natürlichen Lichtbedingungen ausgesetzt, sondern erfahren zudem durch das Kunstlicht teilweise extreme Lichtverhältnisse. Welchen Einfluss aber hat das künstliche Licht auf die tages- und jahreszeitliche Organisation dieser Stadttiere? Um diese Frage beantworten zu können, muss man zuerst aber wissen, welche Lichtintensitäten Tiere in der Nacht wirklich ausgesetzt sind. Die Wissenschaftler um Jesko Partecke vom Max-Planck-Institut für Ornithologie rüsteten deshalb mehrere Stadtamseln mit Lichtsensoren aus und maßen, welchen Beleuchtungsstärken die Vögel durchschnittlich in der Nacht ausgesetzt waren. „Die Intensitäten waren mit 0,2 Lux sehr gering – nur ein Dreißigstel dessen, was eine typische Straßenlampe ausstrahlt“, sagt der Wissenschaftler.

Doch selbst so geringe Werte reichen aus, um die Keimdrüsen männlicher Amseln früher reifen zu lassen. Die Wissenschaftler setzten gefangene Stadt- und Waldamseln über einen Zeitraum von zehn Monaten nachts einer Beleuchtungsstärke von 0,3 Lux aus. „Die Resultate waren erstaunlich: Die Hoden der Vögel wuchsen im Durchschnitt fast einen Monat früher, als bei Tieren, die nachts in Dunkelheit schliefen“, erklärt Partecke. Als weiteren Indikator für die Fortpflanzungsbereitschaft der Tiere maßen die Wissenschaftler den Testosteronwert im Blut der Vögel. Dieser stieg früher an, wenn die Vögel nachts Licht ausgesetzt waren. Auch die Gesangsaktivität kam durch das niedrige Nachtlicht aus dem Rhythmus. Die Tiere begannen rund eine Stunde früher mit ihrem Gesang. „All dies weist darauf hin, dass die Tiere, jahreszeitlich gesehen, früher fortpflanzungsbereit sind“, erklärt Partecke. Aber die Tiere mit Nachtlicht zeigten nicht nur ein verfrühtes Fortpflanzungsverhalten sondern sie mauserten gegen Ende der Brutzeit viel früher als die Vögel mit dunklen Nächten. „Diese Ergebnisse zeigen deutlich, dass das Kunstlicht, welches wir in Städten vorfinden, die jahreszeitliche Organisation von Wildtieren drastisch verändern kann.

Die Forscher wissen noch nicht genau, woher die frühzeitige Fortpflanzungsbereitschaft kommt. Einerseits könnte das nächtliche Kunstlicht den Tieren eine längere Tageslänge vorspielen. Andererseits könnten die Vögel durch die Beleuchtung auch nachts auf Nahrungssuche gehen und die zusätzliche Energie in die Fortpflanzung stecken. Das Licht könnte aber auch den Stoffwechsel der Tiere beeinflussen und der veränderte Stoffwechsel für ein früheres Keimdrüsenwachstum sorgen. Vögel sind nämlich tagsüber aktiver, wenn sie nachts Licht ausgesetzt sind.

Ebenso ist noch unklar, ob das frühere Brüten den Stadtamseln einen Vorteil bietet oder ob sie lediglich eine ungewollte Begleiterscheinung der Beleuchtung ist. „Amseln in der Stadt könnten durch das Kunstlicht früher im Jahr brüten und dadurch mehr Junge im Jahr hervorbringen“, erklärt Partecke. „Allerdings nur, wenn die Nestlinge dann auch genügend geeignetes Futter zur Verfügung hätten.“ Ansonsten könnte sich die frühe Fortpflanzungsfähigkeit für die Amseln als evolutionärer Nachteil herausstellen. Als nächstes wollen die Wissenschaftler deshalb in Freilandstudien untersuchen, welche Auswirkungen auf die Fitness die nächtliche Beleuchtung in Städten mit sich bringt.
Ansprechpartner
Dr. Jesko Partecke,
Max-Planck-Institut für Ornithologie, Teilinstitut Radolfzell, Radolfzell
Telefon: +49 7735 1501-67
E-Mail: partecke@­orn.mpg.de
Davide Dominoni,
Max-Planck-Institut für Ornithologie, Teilinstitut Radolfzell, Radolfzell
Telefon: +49 7732 1501-26
E-Mail: ddominoni@­orn.mpg.de
Dr. Harald Rösch,
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Telefon: +49 89 2108-1756
E-Mail: roesch@­gv.mpg.de
Originalpublikation
DaviDominoni, Michael Quetting & Jesko Partecke
Artificial light at night advances avian reproductive physiology
Proceedings of the Royal Society Series B, 13.02.2013

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Dr. Jesko Partecke Max-Planck-Institut

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