Keine Belege für positive Beschäftigungseffekte

Rund zehn Millionen Beschäftigte wären ohne Absicherung durch das Kündigungsschutzgesetz, wenn das Gesetz künftig erst in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten gelten würde.

Durch eine Verlängerung der individuellen Wartezeit auf zwei Jahre verlören darüber hinaus längerfristig auch in größeren Betrieben rund die Hälfte der Gekündigten den Schutz durch das Kündigungsschutzgesetz. Das zeigen Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Zugleich belegen verschiedene empirische Untersuchungen, dass eine Schwächung des Kündigungsschutzes kaum Beschäftigungseffekte bringen dürfte.

Derzeit gilt der Kündigungsschutz erst in Betrieben mit mehr als 10 Beschäftigten. Stiege dieser Schwellenwert auf 20, fielen laut dem aktuellen Betriebspanel des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zusätzlich mehr als 300.000 Betriebe mit knapp vier Millionen Beschäftigten aus dem Geltungsbereich des Gesetzes heraus. Allein dadurch stünden insgesamt zehn Millionen Beschäftigte im Falle einer ungerechtfertigten Kündigung ohne Schutz nach dem Kündigungsschutzgesetz da – knapp 30 Prozent aller Beschäftigten, ergibt die WSI-Auswertung.

Doch die Vorstellungen mancher Kündigungsschutz-Gegner gehen weiter: Sie wollen auch noch die Wartezeit für die Anwendbarkeit des Gesetzes anheben: Statt wie bisher nach sechs Monaten Betriebszugehörigkeit wären Arbeitnehmer dann erst nach zwei Jahren durch das Gesetz geschützt. Das würde zusätzlich etliche Millionen Beschäftigte schlechter stellen. Eine aktuelle Befragung des WSI zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen zeigt, dass in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten 53 Prozent aller Gekündigten zuvor kürzer als zwei Jahre beschäftigt waren. Sie fielen nach diesen Plänen dann auch noch aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes heraus – wegen nicht erfüllter Wartezeit.

Die Konsequenzen wären weitreichend, auch wenn eine Einschränkung des Kündigungsschutzes gewissermaßen schleichend eingeführt würde und nur für Neueinstellungen gilt. Denn der deutsche Arbeitsmarkt verzeichnet über das Jahr eine starke Fluktuation. Nach IAB-Berechnungen sind in Deutschland zwischen 1998 und 2008 jedes Jahr im Durchschnitt rund 7,7 Millionen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse beendet und neu begonnen worden. Würde eine längere Wartezeit eingeführt, bliebe jeder Neueinsteiger für zwei Jahre ohne Kündigungsschutz.

„In und nach der aktuellen Wirtschaftskrise würde sich eine Einschränkung des Kündigungsschutzes drastisch auswirken. Das ist widersinnig, weil sich in dieser Krise klar zeigt, welchen Wert das Arbeitsrecht hat: Es ist ein wichtiger gesellschaftlicher Stabilitätsfaktor, denn es gibt Millionen Menschen das Gefühl von Berechenbarkeit“, sagt Heide Pfarr, Professorin für Arbeitsrecht und Wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Wer den Kündigungsschutz einschränkt, setzt diese Stabilität aufs Spiel – ohne viel dafür zu bekommen.“

Forschungsprojekte des WSI und an Hochschulen bestätigen das. Sie haben auf breiter empirischer Basis untersucht, wie sich der Kündigungsschutz auswirkt:

-Wenn Arbeitgeber Arbeitsverhältnisse beenden, läuft das für sie zumeist relativ konfliktarm und ohne hohe Kosten ab. Vom Arbeitgeber Gekündigte klagen nur selten: 2000 lag die Klagequote bei elf, 2007 bei zwölf Prozent.

-Auch Abfindungen fließen nicht sehr häufig: Insgesamt nur zehn Prozent aller Personen, deren Arbeitsverhältnis endete, bekamen eine Abfindung. Unter allen vom Arbeitgeber Gekündigten waren es lediglich 16 Prozent.

-Personaler haben mit dem Kündigungsschutz weniger Probleme, als Kritiker und manche standardisierte Umfrage nahe legen, ergab eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie der Universität Hamburg. Für über 90 Prozent der Befragten spielt die wirtschaftliche Lage des Unternehmens eine wichtige Rolle. Weniger als ein Drittel der Personaler sieht das Arbeitsrecht als wichtiges Kriterium. Daher hatten auch nur gut 16 Prozent der Befragten in den drei Jahren vor der Befragung auf Neueinstellungen verzichtet. 14 Prozent hatten sie zeitlich verschoben.

Auch mit der „Abfindungsoption“, die von manchen Gegnern des Kündigungsschutzes favorisiert wird, hat sich das WSI schon beschäftigt. Sie setzt voraus, dass sich Bewerber und Personalabteilung vorab darauf einigen, ob im Fall einer Kündigung der Kündigungsschutz greifen oder eine Abfindung fließen soll. „Die meisten Beschäftigten dürften aber wenig Chancen haben, sich frei zu entscheiden“, sagt Heide Pfarr. Denn Stellenbewerber können nur sehr selten Einfluss auf die inhaltliche Gestaltung ihrer Arbeitsverträge nehmen, zeigt eine WSI-Untersuchung.

Infografiken zum Download im neuen Böckler Impuls 15/2009:
http://www.boeckler.de/32014_97624.html#link
Alle Forschungsergebnisse zum Thema in der Böckler-Box Kündigungsschutz unter:
http://www.boeckler-boxen.de/2195.htm
Ansprechpartner in der Hans-Böckler-Stiftung
Prof. Dr. Heide Pfarr
Wissenschaftliche Direktorin WSI
Tel.: 0211-7778-187
E-Mail: Heide-Pfarr@boeckler.de
Rainer Jung
Leiter Pressestelle
Tel.: 0211-7778-150
E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de

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