Vom Gerber zum Baumarktverkäufer: Hoffnung für ältere Erwerbslose durch Berufsprofiling

Einmal Bäcker – immer Bäcker: In der herkömmlichen Arbeitsvermittlung spielt die berufliche Biografie die entscheidende Rolle. Ganz anders funktioniert ein am Hohenheimer Lehrstuhl für Psychologie entwickeltes Verfahren.

In den neuen psychologischen Tests von Prof. Dr. Heinz Schuler und Dr. Patrick Mussel rückt die Person selbst in den Fokus der Betrachtung. Das Ergebnis: Ein neues berufliches Profil, das auch Licht auf bisher unbekannte persönliche Fertigkeiten wirft und neue Chancen für ältere Erwerbslose am Arbeitsmarkt eröffnet.

Das Verfahren hat den ersten Praxistest in Leipzig mit 1.200 Langzeitarbeitslosen bereits erfolgreich bestanden und zeigt: Gerade ältere Erwerbslose haben einige besonders geschätzte Persönlichkeitsmerkmale. Entwickelt wurde das Verfahren in Zusammenarbeit mit einer Stuttgarter Unternehmensberatung.

Der Computermonitor zeigt ein kleines rotes Männchen auf einem durchsichtigen Würfel mit einem Ball in der Mitte. Gitternetze unterteilen jede Würfelfläche in 4 Quadrate. Die Frage: „Wenn das Männchen zwei Gitterzellen nach rechts geht, befindet es sich dann vor, neben oder unter dem Ball?“

Konkret testet die Frage des Computer-Tests das räumliche Vorstellungsvermögen. Sie ist nur eine von vielen Fragen aus knapp 30 Bereichen, in denen unter anderem Fachkenntnisse (Englisch, Technik und Naturwissenschaften), aber auch persönliche Interessen und Verhalten in Kundensituationen abgefragt werden. Leistungstests unter Zeitdruck gehören ebenfalls dazu. Ein umfangreicher Test: Im Schnitt mussten die Teilnehmer sich dreieinhalb Stunden Zeit nehmen.

Unterstützung der beruflichen Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen
„Mit dem als Berufsprofiling bezeichneten Diagnosepaket können berufliche Alternativen für arbeitslose Personen identifiziert werden“, sagt Prof. Dr. Heinz Schuler. „Damit lassen sich Arbeitsvermittlungen viel zielgerichteter einleiten. Die Person selbst rückt in den Fokus, indem ihre berufsrelevanten Fähigkeiten, Kenntnisse und Eigenschaften erhoben und als Profil mit bisher ca. 500 Berufen und Tätigkeiten verglichen werden. Hierdurch vervielfachen sich die individuellen Berufsperspektiven und damit auch die Chancen auf eine erfolgreiche Vermittlung.“

In der Arbeitsmarktregion Leipzig wurde das Berufsprofiling an 1.196 langzeitarbeitslosen Personen im Alter von 50 oder mehr Lebensjahren bereits erfolgreich eingesetzt: So vermittelten die Diagnose-Experten beispielsweise ein seit Jahren arbeitsloser 50-jähriger Gerber erfolgreich als Baumarktverkäufer. Prof. Schuler: „Er wusste nicht, dass er für etwas anderes geeignet ist. Aber der Test zeigte, dass er gut mit Menschen umgehen kann und als Bastler über einiges technisches Geschick verfügte. Mit seiner neuen Tätigkeit ist er zufrieden.“

Kein Einzelfall: „Der Praxistest ermittelte für alle der Untersuchten aufschlussreiche Profile. Wir glauben an eine nachhaltige Vermittlung am Arbeitsmarkt. Bei konsequenter Nutzung dieser Technologie können sowohl die Vermittlungswahrscheinlichkeit als auch die Vermittlungsgeschwindigkeit für ältere Erwerbslose wesentlich erhöht werden“, sagt Dr. Patrick Mussel.

Begleitforschung offenbart besonderes Potential bei Älteren
Außerdem zeigen die Datenanalysen: Ältere Erwerbslose liegen zwar in mehreren kognitiven Merkmalen (Problemlösefähigkeit, Flexibilität, Bearbeitungsgeschwindigkeit, Gedächtnisleistungen) unterhalb des repräsentativen Bevölkerungsdurchschnitts. Allerdings zeigte sich auch, dass sich die Zielgruppe hinsichtlich einiger wichtiger Persönlichkeitsmerkmale wie Integrität, Gewissenhaftigkeit, Kunden- und Serviceorientierung sowie Leistungsmotivation positiv von der Allgemeinbevölkerung abhebt. Gerade diese Merkmale erfahren eine besondere Wertschätzung in Betrieben.

„Das ist besonders bedeutsam für die berufliche Wiedereingliederung“, erklärt Dr. Patrick Mussel. „An einer Stichprobe von Personen untersuchen wir, welchen Effekt einzelne Persönlichkeits- und Fähigkeitsmerkmale des Berufsprofilings für den beruflichen Wiedereinstieg haben: Insbesondere eine hohe Ausprägung beruflicher Leistungsmotivation, sozialer Kompetenzen sowie Kunden- und Serviceorientierung weisen deutliche Effektstärken für eine erfolgreiche berufliche Wiedereingliederung auf.“

Unterstützt wurden die Hohenheimer bei ihren Untersuchungen durch die Leipziger Wirtschaftsförderungsgesellschaft PUUL GmbH. Die Förderung übernahm das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit. Die wissenschaftliche Begleitforschung wurde in der aktuellen Ausgabe der „Zeitschrift für Personalpsychologie“ veröffentlicht.

Media Contact

Florian Klebs idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-hohenheim.de

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