Chinesische Übernahmen als Chance für deutsche Firmen

Doch anders als vielfach angenommen, zogen die meisten neuen Eigentümer das Wissen nicht ab. Vielmehr kam es zu einer produktiven Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung. Das hat eine Studie der Technischen Universität München (TUM) und der Munich Innovation Group ermittelt. Demnach wollen die chinesischen Unternehmen auf diese Weise ihr Produktportfolio erweitern, ihre Position auf dem heimischen Markt verbessern und in Europa langfristig Fuß fassen.

Sany kauft den deutschen Mittelständler Putzmeister, Technologieführer bei Betonpumpen, und wächst zum Weltmarktführer bei Baumaschinen. Lenovo übernimmt den Elektrokonzern Medion. Weichai Power steigt bei Kion ein, einem der weltgrößten Gabelstaplerproduzenten. Die Liste chinesischer Unternehmen, die in jüngerer Vergangenheit deutsche Firmen übernommen oder Anteile gekauft haben, ließe sich noch lange fortsetzen. Begünstigt durch die Wirtschafts- und Finanzkrise stiegen sie vor allem bei mittelständischen Technologie- und Marktführern ein.

Welche Strategien die Chinesen dabei verfolgten, war bislang nur schwer absehbar. Wissenschaftler der TU München und Analysten der Munich Innovation Group haben nun die Vorgehensweise 50 chinesischer Unternehmen in der Studie „China investiert“ untersucht. Dabei betrachteten sie vor allem die Branchen Elektronik, Maschinenbau und regenerative Energien sowie international tätige Mischkonzerne. Da die Unternehmen selbst nur wenige Informationen veröffentlichen, werteten die Forscher vor allem Wirtschaftsdatenbanken, Handelsregistereinträge und Patentanmeldungen aus. Letztere erlauben zahlreiche Rückschlüsse: Beispielsweise lässt sich aus der geographischen Verteilung der Schutzrechtsanmeldungen auf die Zielmärkte schließen. Und melden die chinesische Mutter und die deutsche Tochter gemeinsam ein Patent an, kann man von einer gemeinsamen Entwicklungsarbeit ausgehen.

Die Forscher stellten fest, dass die Strategie der Übernahmen und Beteiligungen über alle untersuchten Branchen hinweg sehr ähnlich ist:

Zugang zu deutscher Hochtechnologie
Die untersuchten chinesischen Unternehmen sind auf der Suche nach wertvollem Intellectual Property, also unter Rechtsschutz stehendem geistigen Eigentum. Doch in den wenigsten Fällen ziehen die neuen Eigentümer das Know-how einfach nach Asien ab. Stattdessen stärkten mehr als 75 Prozent die deutschen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen. In vielen Fällen bleibt das deutsche Management im Unternehmen.
Erweiterung des eigenen Produktportfolios
Mit dem Zukauf erweiterte rund die Hälfte der Firmen ihr Produktportfolio um neue Technologien. Ein weiterer Grund für Übernahmen kann die Erweiterung der Wertschöpfungskette sein, indem vor- oder nachgelagerte Entwicklungs- und Produktionsstufen in die Unternehmen integriert werden.

Sicherung der Marktposition
Mit dem verbesserten Produktportfolio wollen die Unternehmen, vor allem im Maschinenbau und der Elektronikindustrie, ihre Stellung auf dem heimischen Markt verbessern. Aber auch der deutsche und europäische Markt werden in Angriff genommen, indem die neuen Eigentümer mit ihren Neuerwerbungen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten ausbauen, neue Vertriebsstandorte gründen und das Kunden- und Logistiknetz erweitern.

Strategische Brückenköpfe in Europa
Einigen chinesischen Unternehmen geht es weniger um den Transfer geistigen Eigentums oder den Ausbau des Europageschäfts. Vielmehr wollen sie die Möglichkeit nutzen, den europäischen und auch den US-amerikanischen Markt zu beobachten und zu verstehen. Darüber hinaus versuchen manche, mittels der deutschen Standorte Zoll- und Einfuhrbestimmungen in die EU zu umgehen.

„Die Übernahme durch ein chinesisches Unternehmen ist nicht per se eine Gefahr“, resümiert Prof. Isabell Welpe vom Lehrstuhl für Strategie und Organisation der TUM. „In vielen Fällen war es für das übernommene deutsche Unternehmen eine echte Chance, mit dem starken finanziellen Hintergrund der Investoren Arbeitsplätze und Produktionskapazitäten zu retten, Technologien weiter zu entwickeln sowie den asiatischen Markt zu erschließen.“

Vorgängerstudie „Chinese Champions“:
Im vergangenen Jahr haben die Forscher chinesische Marktführer analysiert. Das Ergebnis der Studie: Chinesische Unternehmen investieren massiv in Forschung und Entwicklung. Gleichzeitig setzen sie verstärkt auf Internationalisierung und sichern ihre Erfindungen durch eine wachsende Zahl von Patentanmeldungen ab.
Kontakt:
Dr. Philipp Sandner
Technische Universität München
Lehrstuhl für Strategie und Organisation
T: +49 89 289 24818
E: philipp.sandner@tum.de

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Dr. Ulrich Marsch Technische Universität München

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