Gemeinschaftsdiagnose Herbst 2007: Aufschwung legt Pause ein

Die durch die Immobilienkrise in den USA ausgelösten Probleme an den Finanzmärkten haben zu einer Neueinschätzung von Kreditrisiken geführt.

Vielfach wird befürchtet, dies könnte die Finanzierungskosten für Unternehmen erhöhen und die realwirtschaftlichen Aktivitäten belasten. Optimistisch stimmt allerdings, dass die Dynamik der Weltkonjunktur seit geraumer Zeit hoch ist. In den Schwellenländern hat sich die ohnehin bereits sehr kräftige Expansion im Verlauf des Jahres 2007 sogar beschleunigt, vor allem im asiatischen Raum und hier insbesondere in China. Hingegen steigt die Produktion in den Industrieländern seit einiger Zeit nur noch in moderatem Tempo.

In den USA hatte sich die Konjunktur bereits zur Jahresmitte 2006, ausgehend von einem Rückgang der Bautätigkeit, spürbar verlangsamt. Im Euroraum und in Japan, wo das reale Bruttoinlandsprodukt noch bis in das laufende Jahr hinein kräftig ausgeweitet worden war, schwächte sich die konjunkturelle Grundtendenz ab.

Ausgangspunkt der Turbulenzen an den Finanzmärkten war eine Zuspitzung der Immobilienkrise in den USA. Dadurch ist die Volatilität an den Finanzmärkten spürbar gestiegen. Es kam zu einer „Flucht in Sicherheiten“, die zu Kursgewinnen bei Staatstiteln und auch Anleihen erstklassiger Schuldner aus dem Unternehmenssektor führte. Für viele andere Vermögenstitel haben sich die Risikozuschläge erhöht, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß. Dies hat zusammen mit höheren Kosten der Liquiditätssicherung der Banken zu einer Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen der Unternehmen geführt.

Auf die akuten Funktionsstörungen am Interbankenmarkt haben die US-Notenbank und die EZB zunächst reagiert, indem sie vorübergehend zusätzliche Liquidität bereitstellten. Im weiteren Verlauf verzichtete die EZB auf eine angekündigte Zinserhöhung, und die Federal Reserve senkte ihren Leitzins. Angesichts der Probleme am Immobilienmarkt wird die amerikanische Notenbank bis zum Frühjahr 2008 die Zinsen noch weiter senken. Die EZB wird die Leitzinsen wohl zunächst konstant lassen und ihn erst nach der Jahresmitte 2008 anheben.

Die Weltkonjunktur wird im Prognosezeitraum merklich an Schwung verlieren. Ursache hierfür sind weniger die aktuellen Probleme an den Finanzmärkten, von denen die Institute erwarten, dass sie in den kommenden Wochen und Monaten abklingen. Bedeutsamer ist, dass die Korrektur am Immobilienmarkt in den USA ausgeprägter ist als bislang prognostiziert. Im Euroraum kommt hinzu, dass die Aufwertung des Euro dämpfend wirkt und die Geldpolitik nicht mehr expansiv ausgerichtet ist. Auch in Großbritannien, ebenso wie in Japan, verlangsamt sich das Expansionstempo im kommenden Jahr, ohne dass von einem Abschwung gesprochen werden kann. Mit der schwächeren Konjunktur in den Industrieländern dürfte eine Verlangsamung des Produktionsanstiegs in den Schwellenländern einhergehen.

Der weltweite Produktionsanstieg wird sich im Jahr 2007 auf 2,9 % belaufen und 2008 auf 2,7 %. Davon sind rund 0,6 Prozentpunkte allein auf den Zuwachs in China zurückzuführen. Der Welthandel nimmt in diesem und im kommenden Jahr nur noch in moderatem Tempo mit Raten von 5,3 bzw. 5,8 % zu.

Das wohl größte Risiko für die konjunkturelle Entwicklung der Weltwirtschaft geht von der Immobilienkrise in den USA aus. Sie könnte sich deutlich länger hinziehen und damit die US- Konjunktur merklicher schwächen als in dieser Prognose unterstellt. Verstärkt werden könnten die Folgen rezessiver Tendenzen in den USA für den Euroraum dadurch, dass der Euro gegenüber dem Dollar aufwertet. Angesichts eines solchen Krisenszenarios sind derzeit andere Risiken in den Hintergrund getreten. Allerdings ist es nicht ausgemacht, dass die Weltwirtschaft einen Ölpreisschock auch in einer Phase geringerer wirtschaftlicher Dynamik gut verkraftet. Indes gibt es auch Aufwärtsrisiken. Sollte sich die Situation am US-Immobilienmarkt bald stabilisieren oder bliebe die Korrektur auf die Wohnungsbauinvestitionen beschränkt, könnte sich die Konjunktur in den USA rasch wieder beleben.

Die deutsche Wirtschaft befindet sich nach wie vor in einem kräftigen Aufschwung. Allerdings wird die Konjunktur im laufenden Jahr durch mehrere Faktoren belastet. Die restriktive Finanzpolitik dämpft die Inlandsnachfrage, insbesondere den privaten Konsum erheblich. Hinzu kommen der erneute Anstieg des Ölpreises und die Aufwertung des Euro. Zudem bewirken die jüngsten Turbulenzen an den Finanzmärkten voraussichtlich einen weiteren Dämpfer für die Konjunktur. All dies trifft die deutsche Wirtschaft jedoch nicht in einer labilen Situation. Vielmehr haben sich die Fundamentalbedingungen spürbar gebessert. Spannungen, die in früheren Zyklen einen Abschwung oder gar eine Rezession ausgelöst haben, zeichnen sich bislang nicht ab, weder von Seiten der Löhne, als auch bei der Inflation. Daher ist eine ausgesprochen restriktive Geldpolitik unwahrscheinlich. Vor diesem Hintergrund wird die Expansion sich im Prognosezeitraum zwar verlangsamen. Der Aufschwung geht aber nicht zu Ende, sondern legt nur eine Pause ein.

Im ersten Halbjahr 2007 hat sich die Konjunktur gegenüber dem Vorjahr abgeschwächt. Ausschlaggebend war die Anhebung der Mehrwertsteuer. Sie dämpfte die Inlandsnachfrage, insbesondere die privaten Konsumausgaben beträchtlich, zumal Anschaffungen in das Jahr 2006 vorgezogen worden waren. Erst im zweiten Quartal weiteten die Verbraucher ihre Käufe wieder leicht aus. Auch die Wohnungsbauinvestitionen sanken nach der Steueranhebung erheblich. Gleichzeitig wurden die Exporte kaum noch ausgeweitet, weil die Industrieproduktion im Ausland etwas schwächer wuchs. Alles in allem nahm das reale Bruttoinlandsprodukt im Durchschnitt des ersten Halbjahrs 2007 mit einer laufenden Jahresrate von knapp 2 ½ % zu. Die Lage auf dem Arbeitsmarkt verbesserte sich dabei bis zuletzt, wenn auch nicht mehr so rasch wie im Winterhalbjahr. Die registrierte Arbeitslosigkeit bildete sich seit dem Frühjahr langsamer zurück; dennoch war die saisonbereinigte Arbeitslosenquote zuletzt mit 8,8 % um immerhin einen Prozentpunkt niedriger als am Ende des Vorjahres. Der Preisauftrieb hatte sich nach dem Schub durch die Mehrwertsteuererhöhung zunächst etwas beruhigt. In jüngster Zeit verteuerten sich jedoch insbesondere Energieprodukte und Nahrungsmittel deutlich, so dass die Inflationsrate im September 2,4 % betrug.

Trotz der konjunkturellen Abschwächung sind die Auftriebskräfte weiterhin intakt. Eine Reihe von Indikatoren, wie die kräftig gestiegen Käufe von Ausrüstungsgütern, die weiterhin zunehmende Nachfrage nach Industriegütern und der hohe Auftragsbestand sprechen dafür, dass die Konjunktur wieder Fahrt aufgenommen hat. Daran dürften auch die Finanzmarktturbulenzen vorerst nichts ändern. Kräftig expandiert im weiteren Verlauf dieses Jahres die Inlandsnachfrage, insbesondere die Ausrüstungsinvestitionen. Sie profitieren auch davon, dass Projekte im Hinblick auf die Verschlechterung der Abschreibungsregeln zu Beginn des Jahres 2008 vorgezogen werden. Zudem wird der private Konsum voraussichtlich stärker aufwärts gerichtet sein, da sich die Arbeitsmarktlage weiterhin verbessert und die verfügbaren Einkommen spürbar zunehmen. Die Impulse aus dem Ausland dürften sich etwas verstärken, da die Inlandsnachfrage im übrigen Euroraum sich beschleunigt. Alles in allem dürfte das reale Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2007 um 2,6 % steigen.

Im kommenden Jahr wird die gesamtwirtschaftliche Produktion in moderatem Tempo zunehmen. Vom Außenhandel ist ein geringerer Wachstumsbeitrag zu erwarten, da die Weltwirtschaft verlangsamt expandiert als in den Vorjahren und die Aufwertung des Euro den Exportanstieg bremst. Die Inlandsnachfrage wird die wesentliche Stütze der Konjunktur sein. Insbesondere werden die privaten Konsumausgaben spürbar expandieren, da die verfügbaren Einkommen deutlich zunehmen und die Finanzpolitik nicht mehr dämpft. Dagegen verlieren die Unternehmensinvestitionen wohl an Schwung. Zum einen ist dies ein Reflex auf das Vorziehen der Käufe in das Jahr 2007, zum anderen verschlechtern sich die Finanzierungsbedingungen etwas. Neben den zurückliegenden Zinsanhebungen der EZB ist hierfür maßgeblich, dass die Märkten als Folge der jüngsten Turbulenzen künftig wohl eine höhere Risikoprämie verlangen. Beeinträchtigt werden die Finanzierungsbedingungen auch durch rascher steigende Arbeitskosten. Für das Jahr 2008 ist mit einem Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts um 2,2% zu rechnen. Die Verlaufsrate verringert sich dabei auf 1,5 %, nach 2,3 % in diesem Jahr.

Die Arbeitslosigkeit dürfte im Verlauf von 2008 langsamer sinken als im Jahr 2007; sie dürfte sich im Jahresdurchschnitt 2008 auf reichlich 3,4 Millionen belaufen, nach knapp 3,8 Millionen in diesem Jahr. Der Preisauftrieb wird mit einer Rate von 2,0 % ähnlich hoch sein wie im Jahr 2007. Zwar wird die Inflationsrate dadurch gedrückt, dass die Anhebung der Mehrwertsteuer bereits vollständig überwälzt wurde; die anhaltend günstige Konjunktur vergrößert jedoch den Spielraum für Preisanhebungen, und der Ölpreis wird im Jahresdurchschnitt höher sein als 2007.

Abwärtsrisiken ergeben sich vor allem aus der Immobilienkrise in den USA und den dadurch ausgelösten Turbulenzen an den Finanzmärkten. Die vorliegende Prognose unterstellt einen glimpflichen Ausgang, wofür auch spricht, dass sich die Lage an den Finanz- und Devisenmärkten zuletzt entspannt hat. Neuerliche Überraschungen wie z.B. zusätzliche Verluste bei Haushalten und Unternehmen und daraus resultierende negative Reaktionen der Finanzmärkte sind jedoch nicht auszuschließen. Diese würden die Expansion in Deutschland spürbar dämpfen.

Obwohl sich die binnenwirtschaftlichen Wachstumsbedingungen in den vergangenen Jahren verbessert haben, ist die Wirtschaftspolitik weiter gefordert. Sie kann zyklische Verlangsamungen zwar nicht verhindern, hat es aber in der Hand, das trendmäßige Wachstum zu stärken.

Die Finanzpolitik sollte dazu ihren Konsolidierungskurs fortsetzen und dabei die qualitative Konsolidierung, also die Stärkung der investiven Ausgaben, forcieren. Dies kann ihr gelingen, wenn sie den Ausgabenanstieg weiterhin begrenzt. Die Institute schlagen vor, dass die konjunkturunabhängigen Staatsausgaben um 2 % je Jahr zunehmen und damit langsamer als das nominale Bruttoinlandsprodukt, dessen jährlichen Anstieg sie auf 3 % veranschlagen. So entstünde ein Haushaltüberschuss von überschlägig 10 Mrd. Euro je Jahr. Dieser kann für einen Abbau des noch verbleibenden strukturellen Defizits, aber auch für mehr investive Ausgaben oder Steuersenkungen verwendet werden. Der budgetäre Spielraum könnte erweitert werden, wenn der Subventionsabbau fortgesetzt würde. Die konjunkturabhängigen Ausgaben insbesondere für die Arbeitsmarktpolitik könnten um den langfristigen Ausgabenpfad schwanken, damit die automatischen Stabilisatoren wirken. Allerdings ist derzeit nicht zu erkennen, dass der notwendige Konsolidierungskurs fortgesetzt wird. Vielmehr werden die konsumtiven Staatsausgaben im kommenden Jahr wieder verstärkt steigen. Die prognostizierte Verbesserung des Budgetsaldos von 0,1 % in Relation zum Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr auf 0,3 % im Jahr 2008 ist überwiegend auf die gute Konjunktur zurückzuführen.

In der Arbeitsmarktpolitik findet der Reformkurs der vergangenen Jahre keine Fortsetzung, obwohl die strukturelle Arbeitslosigkeit immer noch hoch ist. Vielmehr wird derzeit eher über ein Zurückdrehen bei den bisherigen Reformen diskutiert. Erforderlich sind aber Maßnahmen, die insbesondere im Niedriglohnbereich die Anreize für Arbeit erhöhen und die dauerhafte Integration in den Arbeitsmarkt verbessern. Dies würde dazu beitragen, dass sich der beschäftigungsorientierte Kurs der Lohnfindung fortsetzen würde.

Die Geldpolitik steht vor einer schwierigen Abwägung zwischen weiter bestehenden Inflationsrisiken einerseits, der immer noch anhaltenden Verunsicherung der Finanzmärkte und höheren Risiken für die Konjunktur andererseits. Ersteres würde dafür sprechen, dass sie die geldpolitischen Zügel anzieht, letzteres für eine abwartende Geldpolitik. Die Institute erwarten, dass die EZB ihren Leitzins fürs Erste unverändert lässt. Um steigenden Inflationserwartungen entgegen zu treten, dürfte sie aber ihre schon für den September 2007 angekündigte Zinsanhebung in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres nachholen.

Der Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose gehören an:

ifo Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München
in Kooperation mit:
KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich
Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel
Institut für Wirtschaftsforschung Halle
in Kooperation mit:
Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung in der Hans-Böckler-Stiftung und

Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung

Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung
bei der Mittelfristprognose in Kooperation mit:
Institut für Höhere Studien Wien

Media Contact

Joachim Schmidt idw

Weitere Informationen:

http://www.rwi-essen.de

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