Geschäftsverhandlungen im internationalen Vergleich: Wiener Charme zahlt sich aus

Weit überlegen zeigte sich der Wiener Charme in einem internationalen Experiment, bei dem 141 Studierende der Universitäten Hohenheim, Wien und Tel Aviv über einen fiktiven Geschäftsabschluss verhandelten. Deutsche und Israeli waren vor allem dann zu Kompromissen bereit, wenn sich auch der Geschäftspartner beweglich zeigte.

Ziel des Experimentes ist die Weiterentwicklung eines speziellen Softwaretools, das elektronische Verhandlungen ohne persönliche Treffen erlaubt: Alle fiktiven Verhandlungen wurden auf englisch über das Programm Negoisst des Lehrstuhls Wirtschaftsinformatik I von Prof. Dr. Mareike Schoop durchgeführt.

Bei den fiktiven Verhandlungen schlüpften die Teilnehmer in die Rolle eines Reiseveranstalters bzw. Hotelbesitzers, die beispielsweise über Anzahl und Preise für Hotelzimmer, über Verpflegungsoptionen, Betreuungsangebot, Transportmittel, etc. verhandelten. Mit Hilfe des Softwaretools Negoisst wurden nicht nur die vielschichtigen Verhandlungen durchgeführt, sondern auch alle Inhalte dokumentiert und in juristische Verträge umgearbeitet.

„Die besten Ergebnisse hatten Geschäftspartner, die nicht versuchten, sich eigennützig das größte Stück vom Kuchen zu sichern. Erfolgreich waren diejenigen, denen es gelang, den Kuchen kreativ zu vergrößern, so dass beide etwas davon haben“, bilanziert Prof. Dr. Schoop nach den ersten Inhaltsanalysen. Im Schnitt sei dies den Österreichern am besten gelungen: „Einerseits zeigten sich die Teilnehmer aus Wien sehr rational und reagierten Argumenten gegenüber am meisten aufgeschlossen. Andererseits setzten sie beim Verhandeln den berühmten Wiener Charme ein.“ Dabei half ihnen sicher, dass Israeli und Deutsche stark von einem guten Gesprächsklima abhängig waren: „Hohenheimer und Tel Aviver legten viel Wert auf Gegenseitigkeit: Sie waren vor allem dann bereit, Kompromisse zu machen, wenn auch ihr Partner dazu bereit war.“ Gesamt gesehen erreichten beide allerdings nur rund 70 Prozent der österreichischen Erfolgsquote.

Für die Forscher sind solche nationalen Eigenheiten nicht nur kulturpolitisch, sondern auch software-ergonomisch von großer Bedeutung: „Ziel unseres Forschungsprojektes ist es, ein Softwaretool ständig weiterzuentwickeln, das Raum lässt für individuelle Verhandlungsstile“, erklärt Prof. Dr. Schoop. Das Verhandlungsprogramm Negoisst integriert deshalb neben handfester Informatik auch die Ergebnisse großer Kommunikationstheoretiker wie John Searle oder Jürgen Habermas. „So haben wir Wege gefunden, auch Zwischentöne elektronisch zu übermitteln. Das System erlaubt sogar, dass die Verhandlungspartner eine Auszeit nehmen und einen virtuellen Kaffee trinken – denn dabei werden oft die besten Ergebnisse erzielt.“

Seitens der Wirtschaft besteht an solchen Lösungen großer Bedarf: „Rund 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland nutzen E-Mail für Geschäftsangebote, mehr als die Hälfte wickeln komplette Verhandlungen per E-Mail ab“, zitiert Prof. Dr. Schoop eine Umfrage der Universität Hohenheim. Doch der Erfolg ist mäßig: „42 Prozent der Befragten geben an, dass häufig bis sehr häufig kostspielige Nachverhandlungen notwendig sind“, sagt Prof. Dr. Schoop.

Hintergrund

Prof. Dr. Mareike Schoop vom Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik I hat die internationalen elektronischen Verhandlungsexperimente nach ihrer Berufung mit nach Hohenheim gebracht. „Bislang haben wir unsere Studierenden mit Partnern aus den USA, Kanada, Österreich, Polen und Taiwan verhandeln lassen. 2006 gab es das Experiment Zürich-Hohenheim, als nächstes planen wir ein Experiment mit Studierenden aus Hohenheim, Wien und Canberra in Australien“, meint Prof. Dr. Schoop. Neben dem Trainingseffekt für Studierende erforschen die Wissenschaftler die Kommunikationsqualität in elektronischen Verhandlungen, insbesondere im internationalen Zusammenhang. Die Ergebnisse des Verhandlungsexperiments fließen in die Weiterentwicklung des Hohenheimer Verhandlungssystems Negoisst ein. Negoisst ist für elektronische Verhandlungen in allen Bereichen einsetzbar und ist in der Praxis bereits erfolgreich getestet worden.

Methodik

Nach Verhandlungsabschluss wurden die verhandelten Verträge mit einer Nutzenfunktion aggregiert und die Ergebnisse der Teilnehmer so vergleichbar gemacht. Im internationalen Vergleich holten die Wiener Studierenden durchschnittlich am meisten heraus (60,1 Punkte). Es folgen Hohenheim (46,6 Punkte) und Tel Aviv (44,5 Punkte). Zur Weiterentwicklung des Negoisst-Softwaretools wurden mehrerer Varianten zur Informationsvisualisierung (hier der Angebotsentwicklung) zufällig Teilnehmern zugeordnet und die sich eventuell daraus ergebenden Unterschiede werden nun im Detail analysiert. Dazu wurde ein Teil der Teilnehmer mit einem Eye-Tracking-System beobachtet, während diese Angebote lasen oder schrieben.

Media Contact

Florian Klebs idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-hohenheim.de/

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