Vom "Teuro" zum Euro

Kaum ein wirtschaftspolitisches Ereignis hat die Bevölkerung in Deutschland und in der Europäischen Union bisher so bewegt, wie der Abschied von Mark, Peseta, Lira und all der anderen nationalen Währungen.

60 Prozent der Deutschen trauern der D-Mark auch fünf Jahre nach der Bargeldeinführung des Euro hinterher. Bei Beträgen über 100 Euro rechnen heute noch fast Dreiviertel der Menschen in die vertraute Währung um. Und: Mehr als 14 Milliarden D-Mark waren Ende Oktober noch im Umlauf. Was nüchtern gesehen nur das Zahlungsmittel im Warenverkehr eines Landes ist, scheint enorme Emotionen freizusetzen. Die Deutsche Mark war eben nicht nur wirtschaftspolitisch ein Stabilitätsfaktor.

Auch psychologisch bot sie als Währung über fünf Jahrzehnte einen Orientierungsrahmen, in dem alle Dinge ihren festgeschriebenen Wert hatten. Weil sie erfolgreich war und stabil und weil sie den Pfad für den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach 1945 geebnet hat, kam der D-Mark lange Zeit auch eine Ersatzfunktion zu: als Symbol nationalen Stolzes.

Mit dem Euro verband man zunächst kein Gefühl, jedenfalls kein ausgesprochen positives. Alles musste neu gelernt werden. Kinokarten kosten plötzlich sechs Euro oder 6,50 Euro, während der Film früher ab elf Mark zu sehen war. Der Friseurbesuch wurde teurer, Restaurants verließen viele mit dem Gefühl, mehr auf den Tisch gelegt zu haben als zu D-Mark-Zeiten. Das Unbehagen gegenüber dem Euro ist freilich nur bedingt gerechtfertigt: Lebensmittel, die in den täglichen Warenkorb passen, sind tatsächlich teurer geworden. Deutlich günstiger sind heute Fernseher, PC-Monitore oder Staubsauger – Elektrogeräte also, die man in der Regel nicht täglich kauft. Während manche Anbieter die Euro-Einführung zum Anlass für eine Neukalkulation genutzt und die Preise heraufgesetzt haben, sind die meisten Beträge Studien zufolge aber exakt umgestellt worden.

Dass es sich eher um eine „gefühlte“ Teuerung handelt als um eine reale, scheint den Ruf des Euro nicht zu verbessern. „Selektive Fehlerkorrektur“ nennen das Wirtschafts- und Sozialpsychologen: Wer sowieso negative Auswirkungen durch den Euro erwartet hatte, nimmt diese besonders stark wahr. In den Hintergrund treten Fakten wie der extrem kalte Winter 2001/2002 mit hohen Rohölpreisen oder die Steuererhöhungen auf Energie, Tabakwaren und Versicherungen, die mitverantwortlich für die gestiegene Preise Anfang 2002 waren.

Unter Experten gilt die Euro-Einführung unbestritten als einmaliges historisches Experiment und als Erfolgsgeschichte. „Absolut gelungen“, urteilt Helge Berger, Professor für Geldtheorie und Geldpolitik an der Freien Universität Berlin. Dabei habe vor allem die Preisstabilität des Euro manche Beobachter positiv überrascht: „Deutschland kam mit der Bundesbank aus einem sehr erfolgreichen Notenbanksystem, die Erwartungen waren also hoch“, erklärt der Ökonom. Der Euro als Nachfolger vor allem der Deutschen Mark erlangte rasch nach seiner Einführung den Status einer Weltwährung. Inzwischen haben zwölf von 25 europäischen Ländern die Gemeinschaftswährung eingeführt, Slowenien kommt Anfang 2007 als 13. Nation dazu. Mit 314 Millionen Einwohnern ist das Eurogebiet bevölkerungsreicher als die USA. Für einen derart großen Wirtschaftsraum – dessen Regierungen ihre nationale Souveränität weitgehend behalten – eine gemeinsame Geld- und Währungspolitik zu organisieren, ist ehrgeizig. „One size fits all“ bleibt somit sowohl Maßgabe des Europäischen Vertrags von Maastricht als auch Herausforderung für die Zukunft.

Helge Berger beobachtet bei seinen wissenschaftlichen Untersuchungen zur Euroeinführung besonders die Organisationsstruktur der Europäischen Zentralbank (EZB) und die Wahrnehmung der EZB in der Öffentlichkeit. Als eine organisatorische Schwachstelle gilt die Regel „One country, one vote“. Jedes Mitgliedsland, unabhängig von seiner Wirtschaftskraft, hat bei Abstimmungen im Zentralbankrat der EZB eine Stimme – was wirtschaftliche Schwergewichte wie Deutschland, Frankreich, Spanien oder Italien auf die gleiche Stufe stellt wie etwa Irland oder Portugal. Ein Problem, so Helge Berger, das die Europäische Zentralbank dringend lösen müsse.

Kritisch begleitet werden die Entwicklung in der Eurozone und die Aktivitäten der Europäischen Zentralbank auch von den nationalen Medien der Euro-Länder. So hat Helge Berger in einer gemeinsamen Studie mit Marcel Fratzscher von der EZB und Michael Ehrmann, EZB-Mitarbeiter und Lehrbeauftragter an der Freien Universität, festgestellt: „Die nationale Presse berichtet ausführlicher über die EZB, wenn die Wirtschaftsentwicklung im eigenen Land von der im Euro-Gebiet abweicht.“ Darüber hinaus wird mehr und kritischer berichtet, wenn die Zentralbank ihr Inflationsziel von „unter, aber nahe zwei Prozent“ verfehlt. Hier mischen sich nationale und europäische Perspektiven.

Hat die Einführung des Euro aber letztlich den Handel innerhalb Europas gefördert? Tatsächlich ist der Handel innerhalb des Euro-Gebiets seit 1999 deutlich angestiegen. Allerdings dürfe man Ursache und Wirkung nicht verwechseln, erklärt Helge Berger: „Die Länder, die hier zu einer Währungsunion zusammengefunden haben, treiben seit 50 Jahren erfolgreich miteinander Handel.“ In einer Studie mit Volker Nitsch, Juniorprofessor am Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Freien Universität, erklärt Berger: „Die Einführung des Euro als gemeinsamer Währung in einem gewissermaßen natürlichen Wirtschaftsraum ist deswegen nur die Konsequenz einer historischen Entwicklung.“ Was auch bedeutet, dass die Länder, die jetzt und in Zukunft zur Euro-Zone hinzu stoßen, nicht automatisch mit einem vergleichbaren wirtschaftlichen Erfolg rechnen dürfen.

Von Christine Boldt

Weitere Informationen erteilen Ihnen:
– Prof. Dr. Helge Berger, Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsgeschichte der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-54037 oder 838-56633, E-Mail: hberger@wiwiss.fu-berlin.de

– Prof. Dr. Volker Nitsch, Institut für Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsgeschichte der Freien Universität Berlin, Telefon: 030 / 838-56280 oder 838-54903, E-Mail: volker.nitsch@wiwiss.fu-berlin.de

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