Vorschlag für die Gesundheitsreform: Vereinte Krankenversicherung stellt Versorgungsmodell vor

  • Grund- und Wahlleistungen mit Selbstbeteiligung der Versicherten
  • GKV-Aufwendungen um 20 Prozent reduzierbar
  • Mehr Deregulierung, Wettbewerb und Transparenz gefordert

Die zur Allianz Gruppe gehörende Vereinte Krankenversicherung AG, München, hat erstmals ein wissenschaftlich begleitetes, ganzheitliches und europataugliches Modell für ein künftiges Gesundheitswesen vorgelegt. Nach ihrem bereits veröffentlichten Finanzierungsmodell, in dem sie eine komplett kapitalgedeckte und damit demografieresistente Finanzierung der Krankenversicherung vorschlägt, hat die Vereinte Krankenversicherung auf ihrer Gesundheitspressekonferenz in Berlin nun ihre Vorschläge für Veränderungen auf der Versorgungsseite vorgestellt. Denn, so Vorstandsvorsitzender Dr. Ulrich Rumm, eine Gesundheitsreform müsse zwei grundsätzliche Fragen beantworten, nämlich wie die Krankenversicherung angesichts der demografischen Entwicklung auch in Zukunft sicher finanziert werden kann und wie die eingebrachten Mittel so effizient wie möglich im Interesse der Gesundheit der Menschen und der Finanzierbarkeit des medizinischen Fortschritts eingesetzt werden können. Rumm: „Damit sprechen wir uns für ein marktwirtschaftlich organisiertes Gesundheitswesen aus, das deutlich auf Eigenverantwortung setzt.“

Mehr Deregulierung und damit mehr Gestaltungsfreiheiten für Patienten, Leistungserbringer und Krankenversicherer und mehr Transparenz für alle Beteiligten lauten folgerichtig die zentralen Forderungen des Unternehmens für ein zukünftiges Gesundheitswesen. Im neuen marktwirtschaftlichen Krankenversicherungssystem stünden nur noch privatwirtschaftliche Versicherer im Wettbewerb. Als Konsequenz aus den theoretischen Überlegungen seines Versorgungsmodells konzentriert sich der Krankenversicherer der Allianz im Rahmen seines Gesundheits- und Leistungsmanagements aktuell auf das sogenannte Fallmanagement (Krankenhausbegleitung z.B. von Schlaganfall-Patienten), auf Arzneimittelmanagement und auf die Optimierung der Rechnungsprüfung, insbesondere der computergestützten.

Bei dem mit Professor Dr. Günter Neubauer von der Universität der Bundeswehr München und Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik gemeinsam erarbeiteten Versorgungsmodell geht es neben dem Versicherungsmarkt (Finanzierungsmodell) um die Entwicklung eines völlig neuen Leistungsmarktes und eines Marktes für Versorgungsverträge (Versorgungsmodell). Neubauer: „Es gilt das Verhältnis zwischen dem Staat und den einzelnen Akteuren im Gesundheitswesen neu zu regeln.“

Stärkung der Patientenrolle

Nach dem neuen Modell soll im Leistungsbereich künftig zwischen Grund- und Wahlleistungen unterschieden werden. Kriterien für die Aufteilung sind nach Neubauer die medizinische Priorität der zu erbringenden Leistungen, die sowohl die medizinische Dringlichkeit als auch die Lebensqualität der Patienten berücksichtigt, und die ökonomische Gestaltbarkeit. Hinzu kommt das Kriterium der sozialen Belastbarkeit. Zunächst sind alle Leistungen, die keine Krankenversicherungsleistungen – beispielsweise Sterbegeld oder Mutterschutz – darstellen, auszugliedern.

Eine besondere Rolle kommt im neuen System dem Versicherten selbst zu: Die Bevölkerung soll in Bezug auf ihre Gesundheit mehr Eigenverantwortung übernehmen. Das trifft neben der selbst zu beeinflussenden Lebensweise auch auf die Entscheidung über Art, Umfang und Niveau der Leistung im Krankheitsfall zu – so über die Wahl von Hausarzt- oder integrierten Netzwerkmodellen. Neubauer will dem nachfrageorientierten Kostenanstieg durch Bagatellfälle außerdem durch Einführung einer obligatorischen Selbstbeteiligung im ambulanten Bereich in Höhe von etwa 100 Euro pro Jahr und erwachsenem Versicherten begegnen. Optional ist eine Ausdehnung der obligatorischen Selbstbehalte durch eine freiwillige Erhöhung. Aus sozialen Erwägungen sieht der Volkswirtschaftler eine absolute Obergrenze für die Selbstbehalte bei 1.000 Euro im Jahr vor bzw. wenn der Selbstbehalt ein Prozent des nachgewiesenen steuerpflichtigen Einkommens überschreitet.

Die Aufsplittung in Grundleistungen – also in diagnostische und medizinische Verfahren, die medizinisch dringlich sind und für die eine medizinische Wirksamkeit nachgewiesen ist – und in Wahlleistungen, die dem täglichen Lebensbedarf zuzuordnen sind bzw. für die keine medizinische Evidenz vorliegt – dazu gehören Brillen, Hör- oder Gehhilfen bzw. die Akupunktur – führt nach Neubauers Einschätzung zu einer erheblichen Reduzierung des heutigen Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im künftigen Grundleistungskatalog. Darüber hinaus rechnet er vor, dass bei einem heutigen durchschnittlichen Beitragssatz in der GKV von 13,6 Prozent die Ausgliederung des Zahnbereichs und der versicherungsfremden Leistungen sowie bei Berücksichtigung einer Selbstbeteiligung von 100 Euro zu einer Reduzierung der GKV-Aufwendungen um 20 Prozent bzw. zu einer Absenkung des Beitragssatzes um 2,6 Prozentpunkte führen würde. 2,6 Prozentpunkte entsprechen über 23 Milliarden Euro.

Schließlich soll im Sinne effizienter Lösungen sowohl im Grund- als auch im Wahlleistungsbereich Vertragsfreiheit zwischen den Leistungserbringern und den Krankenversicherungsunternehmen gelten. Als Voraussetzung dafür spricht sich Neubauer für eine Reihe weiterer Deregulierungen u.a. für die volle Niederlassungsfreiheit von Ärzten aus. „Damit erhalten Krankenversicherungsunternehmen, ebenso wie Leistungserbringer“, so Neubauer, „Gestaltungsfreiräume für Case und Disease Management, Netzbildung, Vernetzung und andere Formen von Coordinated Care bzw. Managed Care“. Durch Selbstbeteiligungen, Zusatzversicherungen für Wahlleistungen und durch die Entscheidung für bestimmte Leistungserbringer oder Hausarztmodelle bekomme auch der Versicherte/Patient Mitwirkungsmöglichkeiten, die die Akteure zu wirtschaftlichem Handeln zwingen und von denen der Kunde beispielsweise über Beitragsnachlässe profitiert.

Grundfreiheiten von Maastricht im Gesundheitswesen durchsetzen

Der Wissenschaftler machte darüber hinaus deutlich, dass das von ihm und von der Vereinten Krankenversicherung vorgestellte Gesamtmodell für den europaweiten Wettbewerb offen ist. Nach seinen Prognosen würden sich alle Teilmärkte – der Versicherungs- und Leistungsmarkt sowie der Markt für Versorgungsverträge – in einem gemeinsamen Europa integrieren. Neubauer sprach sich deshalb für die konsequente Umsetzung der vier Grundfreiheiten von Maastricht, dem freien Waren-, Dienstleistungs-, Personen- und Kapitalverkehr, auch im Gesundheitswesen der Mitgliedsländer der Europäischen Union aus.

Vereinte-Vorstandsmitglied Wilfried Johannßen berichtete über Erfahrungen des Krankenversicherers im Bereich Gesundheits- und Leistungsmanagement, das unter der Überschrift „Sicherung einer hochwertigen medizinischen Betreuung zu bezahlbaren Beiträgen“ steht. So führt die Vereinte Krankenversicherung Gesundheitsprogramme für Asthma, Diabetes und Hautkrebsprävention durch, die auf die Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und gleichzeitig auf Ausgabensenkung zielen. An dem Haut-Check-Pilotprogramm – zu intensive Sonnenstrahlung ist einer der Hauptgründe für Hautkrebs – nahmen über 1.500 Kunden teil. Ergebnis: bei 9,4 Prozent der Teilnehmer wurden verdächtige Pigmentmerkmale entdeckt, bei acht Prozent wurde die Entfernung der Hautveränderungen empfohlen und bei zwei Personen wurde sogar ein „Malignes Melanom“ gefunden, also der besonders bösartige „schwarze Hautkrebs“. Für die Behandlung eines „Malignem Melanoms“ müssen je nach Stadium der Erkrankung zwischen 20.000 DM und 100.000 DM aufgewandt werden.

Maschinenlesbare Standardrezepte mit Pharmazentralnummer auch für PKV

Das sogenannte Fall(Case)management – für Patienten mit Schlaganfall, Hirnblutung und Schädel-Hirn-Trauma gerade bei der Vereinten Krankenversicherung im Test – soll, erklärte Johannßen, den Patienten durch eine individuelle und kontinuierliche Begleitung über alle Versorgungsstufen durch das Versorgungssystem lotsen. Johannßen: „Der Patient soll im Idealfall frühzeitig wissen, wo beispielsweise seine Anschlussheilbehandlung stattfindet, welche pflegerische Betreuung er nachher benötigt und vor allem wo und wie er diese bekommt. Eine gute Organisation spart Zeit, beschleunigt den Gesundungsprozess des Patienten und senkt Ausgaben. Unser Prinzip: Die Versorgung soll zur richtigen Zeit am richtigen Ort in optimaler Qualität vom richtigen Behandler erfolgen.“ Ausdrücklich stellte er jedoch klar, dass in die Therapiefreiheit des Arztes nicht eingegriffen werden soll. Die Vereinte Krankenversicherung hat insgesamt 27 Krankheitsbilder identifiziert, bei denen Steuerungspotenzial für Fallmanagement bestehen.

Mit Blick auf den Arzneimittelkostenanstieg – allein bei der Vereinten Krankenversicherung waren sie im ersten Halbjahr 2001 im Vergleich zum Vorjahr um über zehn Prozent gestiegen – plädierte Johannßen dafür, dass Ärzte Privatrezepte genauso wie Kassenrezepte auf maschinenlesbaren Standardrezepten ausdrucken und appellierte an Apotheker, nicht nur Kassen- sondern auch Privatrezepte mit der Pharmazentralnummer zu versehen. Dies sei eine wesentliche Voraussetzung für ein effektives Arzneimittelmanagement.

Die PKV-Unternehmen verfügten derzeit über keine Möglichkeiten, durch direkte vertragliche Beziehungen mit Leistungserbringern spezielle Honorarvereinbarungen zu treffen, es bestünden keine Anreizsysteme für integrierte Versorgungsformen und für die Stärkung der Patientenrolle – dies sind nach Erfahrungen der Vereinten Krankenversicherung wesentliche Hemmnisse für moderne Formen des Gesundheitsmanagements. Folgerichtig Johannßens Forderungen: „Der Nutzwert unseres Programms würde sich deutlich erhöhen, wenn wir dem Patienten Krankenhäuser oder Ärzte mit hohem Know-how und Qualitätsstandards (Behandlung nach Leitlinien) direkt empfehlen könnten, wenn wir Qualitätsanreize in die Vergütung integrieren könnten und die jetzt von der Politik beschlossene Einführung von Fallpauschalen im Krankenhaus auf sektorenübergreifende Fallpauschalen ausgedehnt würde.“

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Lothar Landgraf ots

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