Big Brother im Büro: Gesamtbilanz ist negativ

Wirtschaftswissenschaftler der Universität Bonn haben in einer spieltheoretischen Studie gezeigt, dass eine gesetzliche Beschränkung von Kontrollmöglichkeiten am Arbeitsplatz aus ökonomischer Sicht durchaus sinnvoll sein kann (Labour Economics 12/2005, S. 727-738): Da auch Überwachung mit Kosten und Arbeitsaufwand verbunden sei, komme es durch ihre Einführung häufig nur zu einer ineffizienten Umverteilung von Ressourcen.

Der Paketdienst UPS weiß über die Leistung seiner Mitarbeiter in den USA genau Bescheid: Jeder Fahrer trägt einen elektronischen Quittungsblock bei sich, der automatisch die Zahl und Dauer der Stopps sowie den augenblicklichen Aufenthaltsort des Paketwagens per Funk an einen der weltweit größten Computer übermittelt.

Gerade in den Vereinigten Staaten ist die Überwachung von Mitarbeitern gang und gäbe: Mehr als 80 Prozent aller US-Firmen kontrollieren ihre Angestellten mit Videokameras, lesen ihre Mails, belauschen ihre Telefonate oder messen die Geschwindigkeit, mit der sie auf die Tasten ihrer Computer hämmern. Befürworter des „Big Brother im Büro“ verweisen darauf, dass Kontrolle die Produktivität steigern könne. Die Gegner verteufeln die so genannten Spionagemethoden dagegen als „elektronische Peitsche“ der Arbeitgeber und argumentieren mit Ethik und Moral. „Es gibt aber auch rein ökonomische Argumente gegen eine überzogene Überwachung am Arbeitsplatz“, erklärt der Bonner Privatdozent Dr. Patrick Schmitz. „Man kann die vorbehaltlosen Befürworter also auf ihrem eigenen Feld schlagen.“

Schmitz hat kürzlich in der angesehenen Fachzeitschrift „Labour Economics“ dargelegt, dass eine gesetzliche Beschränkung der Kontrollmöglichkeiten am Arbeitsplatz ökonomisch durchaus Sinn machen kann. Ein Beispiel kann das verdeutlichen: Ein Unternehmer beschäftigt zehn Mitarbeiter. Irgendwann kommt er auf die Idee, sie mit einem Videosystem zu kontrollieren. Er installiert eine Reihe von Kameras und versetzt einen seiner Angestellten in die Überwachungszentrale, damit er die Aufnahmen auswertet und Alarm schlägt, sobald seine Ex-Kollegen eine ruhige Kugel schieben. Angenommen, unter diesem Druck steigern die übrigen neun Mitarbeiter ihr Arbeitstempo, bis sie wieder dieselbe Menge produzieren wie zuvor zu zehnt.

Diese Umstrukturierung kann sich für den Firmenchef lohnen – zumindest unter bestimmten Bedingungen: Nämlich dann, wenn er zusätzlich noch auf die Idee kommt, seinen überwachten Angestellten den Lohn zu kürzen. Schließlich kann er nun viel besser abschätzen, wie es um deren Belastung wirklich steht. Er muss nur noch den Lohn zahlen, der die Arbeiter gerade noch für ihren Arbeitseinsatz entschädigt. Eventuell kann der Chef in diesem Fall sogar dann von der Überwachung profitieren, wenn die neun verbliebenen Arbeiter den „Verlust“ ihres Kollegen nicht kompensieren können, sondern weniger produzieren als zuvor zu zehnt. Solange sich die Einstellung zusätzlicher Arbeiter für den Chef nicht lohnt, kann das „Plus“ in seiner Bilanz mit einem gesamtwirtschaftlichen „Minus“ einhergehen.

„Das Beispiel zeigt, dass selbst bei rein ökonomischer Argumentation aus gesamtwirtschaftlicher Sicht Einiges dafür sprechen könnte, Überwachung am Arbeitsplatz gesetzlich zu beschränken“, betont Patrick Schmitz. „Und zwar selbst dann, wenn man ethische Aspekte oder die Auswirkung von Kontrolle auf die Motivation der Mitarbeiter außen vor lässt.“ Doch solle es der Gesetzgeber auch mit dem Schutz der Privatsphäre am Arbeitsplatz nicht übertreiben: „Eine überzogene Beschränkung der unternehmerischen Freiheit, zu der man in Deutschland eher als in den USA tendiert, wird letztendlich unvermeidbar zum Verlust von Arbeitsplätzen führen.“

Quelle: „Workplace Surveillance, Privacy Protection, and Efficiency Wages“, Labour Economics, 12 (2005), 727-738; im Internet verfügbar unter: http://ideas.repec.org/a/eee/labeco/v12y2005i6p727-738.html

Kontakt:
PD Dr. Patrick Schmitz
Wirtschaftspolitische Abteilung der Universität Bonn
Telefon: 0228/73-7937
E-Mail: patrick.schmitz@uni-bonn.de

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