Brauchen wir überhaupt einen modernen Staat?

Kanzlerberater und Wissenschaftler skizzieren die elektronische Zukunft eines modernen Deutschlands

Würde man den Staat Bundesrepublik wie ein Unternehmen führen, wäre es in vielen Bereichen nicht geschäftsfähig bzw. konkursanfällig. Haushaltssperren, Erhöhung der Dienstleistungsqualität und fehlendes qualifiziertes Personal sind nur einige der derzeitigen Probleme. Hoffnungen kommen jetzt durch die neuen Internettechnologien bei der Verwaltungsmodernisierung auf: „Electronic Government“, so die Bezeichnung dieser neuen Entwicklung. Electronic Government, d.h. z.B. Virtuelle Rathäuser für bessere und schnellere Dienstleistungen, elektronische Wahlen für eine direktere Demokratie oder auch die elektronische Beschaffung für die Sanierung der Haushalte.
Doch auch bei der Modernisierung ist Deutschland im internationalen Vergleich weit abgeschlagen. Zu dieser Feststellung gelangen die Wissenschaftler der Universität Witten/Herdecke, Stephan A. Jansen und Birger P. Priddat, in ihrem gerade veröffentlichten Buch „Electronic Government – Neue Potentiale für einen modernen Staat“: Länder wie Singapur und Kanada, aber auch unsere europäischen Nachbarn Italien, Dänemark und vor allem England haben bereits einen Vorsprung von gut zwei bis drei Jahren. In der Verwaltung kein nennenswerter Zeitraum – im Internet eine Ewigkeit. Ein weiteres Ergebnis dieser ersten umfassenden Untersuchung: Deutschland ist ein Projekt der Piloten – nahezu ohne Passagiere. Überall entstehen Einzellösungen, die hinterher nicht verwendbar bzw. vernetzbar sind. Schätzungen zu folge, werden in den kommenden Jahren allein in den Kommunen 23 Mrd. DM für Electronic Government-Anwendungen ausgegeben. Im internationalen Vergleich ein unvergleichlich hoher Betrag.
Die beiden Autoren prognostizieren, künftig werde „die Politik vermehrt mit privaten Organisationen kooperieren, weil ihre eigene Verwaltung einzusetzen zu riskant“ sei. Denn wenn politische Entscheidungen erfolgreich umgesetzt werden sollen, würde am „public private partnership“ kein Weg vorbeiführen. Wo der politische Erfolg durch eine behäbige Verwaltungsnormalität gefährdet werde, müssten sich die Staatslenker fragen, ob es nicht sinnvoller sei, ihre Politik durch privatwirtschaftliche Institutionen realisieren zu lassen. „Die gesamte Wertschöpfungskette vom Entstehen eines Bürgerbedürfnisses bis hin zu seiner Befriedigung“ müsse optimiert werden. Das eGovernment kann bei einer intelligenten Kooperation von Privatwirtschaft und Verwaltung eine „ökonomische Dimension“ erfahren, so sind die Autoren überzeugt.
Vor dem Hintergrund stellen der Kanzlerberater Priddat und der Gründungsgesellschafter der ersten spezialisierten Electronic Government-Firma, Cosinex, die provokante Frage: Wollen wir Bürger überhaupt einen modernen und effizienten Staat, wenn die Kosten dafür höher und die Geschwindigkeit niedriger ist als zuvor? Ihr Buch gibt erste Antworten.
Jansen und Priddat nennen konkrete Beispiele für ihre Theorien: Die amerikanische Regierung machte im ersten Quartal des Jahres erstmalig mehr Umsatz als Amazon im Internet. In Deutschland werden jährlich knapp 500 Mrd. DM für Güter und Dienstleistungen ausgegeben, die der Staat einkauft. Allerdings trotz aller Vorteile und Kostensenkungen noch immer nicht elektronisch – im Gegensatz zu England oder Frankreich. Ein anderes Beispiel sind virtuelle Rathäuser: „Wenn anstelle der Bürger Bits zwischen den Ämtern rennen, wäre es uninteressant, ob sich in jeder Kommune eine KfZ-Zulassungsstelle vor Ort befindet“. Aber hier wird eine für die Verhältnisse der öffentlichen Hand ungeheure organisationale Veränderung notwendig – die Technologie ist dabei nicht die Restriktion. Vielmehr der Bürger, der mit durchschnittlich 2,1 Amtsgängen im Jahr kaum motiviert ist komplizierte und teure Technologien und digitale Signaturen einzusetzen.

Das Buch „Electronic Government – Neue Potenziale für einen modernen Staat“ von Stephan A. Jansen und Birger P. Priddat ist im Verlag Klett-Cotta erschienen und kostet 39,50 DM. ISBN 3-608-94026-X

Kontakt:
Stephan A. Jansen und Birger P. Priddat
Forschungsgruppe „Electronic Government“
Universität Witten/Herdecke
Alfred-Herrhausen-Str. 50
58448 Witten
Telefon: 02302-926-521
Telefax: 02302-926-512
E-Mail: sjansen@uni-wh.com

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Christiane Bensch idw

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