Wirtschaft ist auf alternde Belegschaften noch nicht eingestellt

Institut Arbeit und Technik untersuchte die Beschäftigung Älterer in deutschen Betrieben

Die meisten Betriebe in Deutschland sind bislang weder bereit noch in der Lage, sich auf das Altern der Gesellschaft und ihrer Belegschaften einzustellen. Personalpolitische Strategien für Älteren – von Altersteilzeit über die Gestaltung der Arbeitsplätze und -abläufe bis zur Weiterbildung – sind überwiegend nicht existent. „Ursache dafür ist in der Mehrzahl der Betriebe nicht einmal eine Diskriminierung Älterer, sondern einfach Unwissenheit“, stellt der Arbeitsmarktforscher Dr. Martin Brussig vom Institut Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen) fest. Den Betrieben bleibt heute die Wahl, sich an die Alterung des Erwerbspotenzials anzupassen und ältere Arbeitskräfte im Betrieb zu „pflegen“ und neu einzustellen, oder sich vom demographischen Wandel abzukoppeln und künftig verstärkt um knapper werdende junge Arbeitskräfte zu konkurrieren.

Das geht aus dem soeben erschienenen Altersübergangs-Report hervor, der die Beschäftigung Älterer im Lichte des IAB-Betriebspanels 2002 untersucht. Die Online-Publikationsreihe veröffentlicht in unregelmäßiger Folge Ergebnisse des Projektes „Altersübergangsmonitor“, das die Hans-Böckler-Stiftung seit 2003 fördert und das vom IAT durchgeführt wird.

Die Betriebe beurteilen ältere Beschäftigte (ab 50 Jahre) sehr unterschiedlich: Einerseits schätzen die Personalchefs die Leistungsfähigkeit ihrer – schon beschäftigten – älteren Mitarbeiter, insbesondere deren Erfahrungswissen, andererseits ist ca. die Hälfte der Betriebe grundsätzlich nicht oder nur unter Bedingungen bereit, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer neu einzustellen. Über die Hälfte aller Betriebe (54%) gab im IAB-Betriebspanel 2002 an, dass sie bereit seien, Ältere ohne Bedingungen einzustellen. Aber immerhin 15% aller Betriebe erklärten sich „grundsätzlich nicht“ zur Einstellung Älterer bereit (immer noch 10% aller Betriebe ab 20 Mitarbeiter). Ein weiteres knappes Drittel (31% aller Betriebe) knüpfte an die Einstellung Älterer Bedingungen, von denen die wichtigsten waren, dass Beihilfen wie z.B. Eingliederungszuschüsse gezahlt werden (beispielsweise aus Mitteln der Arbeitsmarktpolitik oder von Kranken- bzw. Rentenversicherungen) und dass es keine jüngeren Bewerber gibt.

Das Angebot an personalpolitischen Maßnahmen speziell für Ältere hängt primär von der Betriebsgröße ab. Je größer ein Betrieb, desto mehr derartige Maßnahmen gibt es. Aber auch der Anteil Älterer an der Belegschaft spielt eine Rolle, denn Maßnahmen für Ältere haben wenig Sinn in Betrieben, in denen es wenig Ältere gibt. Rund 860 000 Betriebe bzw. 40,7 Prozent beschäftigen gar keine Älteren, wobei es sich bei diesen allerdings überwiegend um sehr kleine und kleine Betriebe handelt. Ab einer Größe von 50 Mitarbeitern hat die Mehrheit der Betriebe einen Anteil älterer Mitarbeiter, der zwischen 10 und 30 Prozent liegt und damit ihrem Anteil an der erwerbstätigen Bevölkerung von ca. 25% weitgehend entspricht.

Personalwirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Initiativen, die die Beschäftigung Älterer verbessern, sollten in zwei Richtungen zielen: die Erwerbstätigkeit im Betrieb zu verlängern und den Eintritt in ein Beschäftigungsverhältnis auch im höheren Erwerbsalter zu unterstützen. Es kann nicht allein darauf ankommen, die Verbleibsmöglichkeiten im Betrieb für die Älteren zu verbessern – durch betriebliche Gesundheitspolitik, Arbeitsorganisation und Weiterbildung über alle Lebensarbeitsphasen hinweg -, damit sie die zusätzliche Zeit bis zum Erreichen der angehobenen Ruhestandsgrenze erwerbstätig sind. Umstrukturierungen und Betriebsstilllegungen werden immer auch Ältere treffen. Angesichts der schrumpfenden Möglichkeiten des Vorruhestandes, einer maximalen Bezugsdauer von Arbeitslosengeld von 18 Monaten und der stärkeren Anrechnung von Abfindungen kommt es ebenso darauf an, die Barrieren, denen sich Ältere bei Neueinstellungen ausgesetzt sehen, abzusenken. Entsprechende arbeitsmarktpolitische Maßnahmen wie der Beitragsbonus, die Entgeltsicherung oder erleichterte Befristungsregelungen sind erst seit 2003 in Kraft und können derzeit noch nicht eingeschätzt werden.

Wie Betriebe auf die Alterung der Erwerbsbevölkerung reagieren, kann also heute noch nicht mit Sicherheit gesagt werden. Es ist möglich, dass sich Betriebe an veränderte Altersstrukturen in der erwerbstätigen Bevölkerung und insbesondere an die abnehmende Bereitschaft der älteren Mitarbeiter, angesichts von Rentenabschlägen aus dem Betrieb auszuscheiden, anpassen. „Verlassen sollten wir uns darauf nicht. Denn es ist ebenso möglich, dass die Betriebe das Potenzial der älteren Erwerbstätigen ausblenden. Angesichts der Einstellungsprobleme älterer Personen spricht einiges für dieses skeptische Szenario“, vermutet der IAT-Experte Dr. Martin Brussig.

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Claudia Braczko idw

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