Nicht nur der Dienstleister arbeitet – auch der Kunde

Soziologisches Forschungsprojekt ergründet das Phänomen Dienstleistung in den Bereichen Call Center, Zugbegleitdienst und Altenpflege

Man muss heute das Haus nicht mehr verlassen, um beispielsweise ein Konto zu eröffnen, eine Bestellung aufzugeben oder sich beraten zu lassen. Ein Griff zum Telefonhörer genügt, um im Call Center der jeweiligen Institution bestellen oder fragen zu können. Nur vorbereitet sollte man sein: Kundennummer, Bankverbindung oder persönliche Daten werden in der Regel abgefragt. Gerät man dann ins Stocken, Suchen oder Erklären, beginnt für den Mitarbeiter am anderen Ende der Leitung der Wettlauf mit der Zeit. Denn der nächste Kunde hängt bereits in der Warteschleife.

Das Dienstleistungsangebot eines Call Centers ist vielfältig: Es werden Auskünfte erteilt, Beratungen abgewickelt, Bestellungen angenommen oder Reklamationen bearbeitet. Das Spektrum für die Beschäftigten erstreckt sich von einfachen bis hochkomplizierten Aufgaben. Geht es um eine wissenschaftliche Betrachtung der Belastungen für den Call-Center-Mitarbeiter, werden häufig zunächst nur die ungünstige Arbeitsorganisation oder mangelhafte Gestaltung des Arbeitsplatzes kritisiert. Wenig Beachtung finden hingegen Belastungen, die aus dem direkten Umgang mit dem Kunden hervorgehen. Doch gerade die Dienstleistung eines Call Centers stellt hohe emotionale Anforderungen an den Telefonisten. Zu dieser Erkenntnis kommen Soziologen aus München, Innsbruck und Chemnitz in dem Sammelband „Dienstleistung als Interaktion“. Veröffentlicht werden die Ergebnisse eines Forschungsprojektes, das die Interaktion zwischen Dienstleistenden und Kunden in drei unterschiedlichen Bereichen unter die Lupe genommen hat: in der Altenpflege, im Zugbegleitdienst der Deutschen Bahn und im Call Center einer Direktbank.

Zentrale Frage der Forschung war, wie Beschäftigte und Kunden während der Dienstleistung – beispielsweise am Telefon – praktisch kooperieren, damit die Dienstleistung erbracht werden kann. Die Soziologen legten ein völlig neues Verständnis von Dienstleistungsarbeit zugrunde, indem sie auch den Beitrag des Kunden für das Gelingen berücksichtigten. Ruft der Kunde etwa unvorbereitet an und kann dadurch nur unklare, fehlende bzw. vage Informationen liefern, muss der Telefonist den Kunden bei der Entwirrung seiner Informationen unterstützen. Das geschieht unter hohem Zeitdruck, da für die Dauer von Kundengesprächen zumeist zeitliche Restriktionen gelten. Dagegen ist für den Kunden nur sein Anliegen von Bedeutung.

Doch sollte der Kunde ein differenziertes Wissen, kognitive Fähigkeiten und ein gewisses Maß an Kompetenz mitbringen. Denn der Kunde spielt eine aktive Rolle, wie die Wissenschaftler am Beispiel der Call Center, aber auch im Zugbelgeitdienst der Bahn und in der Altenpflege herausfanden. „Eine Dienstleistung ist längst keine einseitige Leistung einer Organisation. Vielmehr spielt der Kunde selbst eine aktive Rolle und kann sowohl zum Gelingen als auch zum Scheitern der Zusammenarbeit beitragen“, so Prof. Dr. Günter Voß, Professor für Industrie- und Techniksoziologie an der TU Chemnitz, der federführend an dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt beteiligt war. Wenn also der Kunde einen Teil der Dienstleistungsarbeit übernehme, sei auch seinen Interaktions- und Sachkompetenzen ein besonderer Stellenwert beizumessen, fordert Prof. Voß.

Das Forschungsteam kam zu der Schlussfolgerung, dass die Dienstleistungsqualität keine einseitige Leistung der Organisation ist, sondern durch eine gelungene Dienstleistungsinteraktion beider Seiten entsteht. Voraussetzung für das Gelingen sind dabei ausreichende organisatorische und technische Spielräume für die Gestaltung der Interaktion auf beiden Seiten. Ist dies nicht gegeben, gefährdet das Dienstleistungsunternehmen die Qualität seiner Arbeit, wie die Wissenschaftler herausfanden. Auch der finanzielle Aspekt wurde einbezogen. Um Kosten zu sparen, würden Dienstleistungsunternehmen zunehmend Funktionen auf die Kunden abwälzen. Dadurch verstärke sich die aktive (arbeitende) Rolle des Konsumenten einer Dienstleistung.

Im Zentrum der Projektarbeit standen neben konzeptionellen Bemühungen vor allem qualitativ ausgerichtete empirische Erhebungen der beforschten Dienstleistungsorganisationen. Anschauliche Berichte aus dem Dienstleistungsalltag lockern der Buch auf. Der Band wendet sich an soziologisch interessierte Leser, an Führungskräfte in Dienstleistungsorganisationen und an Praktiker aus den untersuchten Bereichen Altenpflege, Zugbegleitdienst und Call Center.

Bibliographische Daten: Wolfgang Dunkel/ G. Günter Voß (Hg.): Dienstleistung als Interaktion. Beiträge aus einem Forschungsprojekt: Altenpflege – Deutsche Bahn – Call Center. Band 5 der Schriftenreihe „Arbeit und Leben im Umbruch. Schriftenreihe zur subjektorientierten Soziologie der Arbeit und der Arbeitsgesellschaft (Hg.: G. G. Voß). München/ Mering: Hampp Verlag. Preis: 27, 80 Euro.

Weitere Informationen erteilt Prof. Dr. G. Günter Voß, Professor für Industrie- und Techniksoziologie der TU Chemnitz, per Telefon unter (03 71) 5 31 – 43 88 sowie per E-Mail unter guenter.voss@phil.tu-chemnitz.de . (Autorin: Caroline Pollmer)

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Mario Steinebach idw

Weitere Informationen:

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