EU-Beitritt und Direktinvestitionen verbessern Situation der Kleinbauern in Mittel- und Osteuropa

Armut und Rückständigkeit in vielen mittel- und osteuropäischen Agrarregionen stellen die Politik vor große Herausforderungen. Neue Forschungsergebnisse zeigen jedoch, dass gerade auch für Kleinbetriebe positive Impulse von der EU-Osterweiterung und der Öffnung für ausländische Investoren ausgehen. So haben steigende Preise für landwirtschaftliche Produkte und die beginnende Auszahlung der Direktzahlungen in Polen zu einem Stimmungsumschwung in der ländlichen Bevölkerung geführt. Landwirte sind zunehmend bereit, sich in Verbänden, Vereinen oder Institutionen der lokalen Selbstverwaltung zu engagieren. Ausländische Investoren in der Nahrungsmittelindustrie ermöglichen in mehreren mittel- und osteuropäischen Ländern auch kleineren Betrieben einen verbesserten Zugang zu Krediten und Beratung.


„Es gibt zahlreiche Anzeichen dafür, dass die oft als festgefahren empfundene Situation osteuropäischer Landwirte in Bewegung kommt“, sagt Dr. Martin Petrick vom Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) in Halle (Saale) am Rande einer vom IAMO organisierten Konferenz zur ländlichen Entwicklung in Mittel- und Osteuropa. In vielen Ländern der Region hat der Agrarsektor eine erheblich größere volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung als in der EU-15. So arbeiten in Polen und Litauen knapp 20 Prozent aller Beschäftigten in der Landwirtschaft, in Bulgarien und Rumänien sind es sogar rund 25 bzw. 40 Prozent.

Mehrere Beiträge auf dem von über 160 Experten aus rund 25 Ländern besuchten „IAMO Forum 2004“ zeigen, dass der Agrarsektor in letzter Zeit positive Entwicklungsimpulse erhält. Aus Sicht der Politik ist dabei besonders erfreulich, dass diese auch Kleinbetriebe erreichen, deren Situation oftmals von niedrigen Einkommen, geringer Marktintegration und wenig Veränderungsbereitschaft geprägt ist.

In Polen hat der Beitritt zur Europäischen Union zu deutlich steigenden Preisen für tierische Erzeugnisse geführt, die vielfach auf kleineren Betrieben produziert werden. Entsprechend steigt auch die Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft: nach Angaben des polnischen Instituts CBOS begrüßten im September 67 Prozent der befragten Landwirte die Mitgliedschaft, während es zu Jahresbeginn lediglich 50 Prozent gewesen waren. Es wird erwartet, dass die in diesen Wochen anlaufende Auszahlung der direkten Einkommenstransfers aus Brüssel auch zu erhöhten Investitionen führen wird. Die Zahlungen an Polens Landwirte liegen in diesem Jahr allerdings nur bei 55 Prozent des in der EU-15 geltenden Niveaus. Prof. Dr. Jerzy Wilkin von der Universität Warschau betont, dass Polens Landwirte nach Jahren der Klage über ihre wirtschaftliche Benachteiligung wieder verstärkt bereit sind, sich gesellschaftlich zu engagieren. Bereits die Vorbeitrittshilfe SAPARD habe zur Mobilisierung von Landwirten, Verarbeitern und lokalen Administrationen geführt. „Die Anpassung an EU-Bedingungen schreitet sehr gut voran, besser als ich erwartet habe“, so Wilkin. Für eine zunehmende Bereitschaft zur Kooperation auf lokaler Ebene spricht auch die Tatsache, dass es in Polen bereits mehr als 40 Initiativen gibt, die sich um den Status einer Lokalen Aktionsgruppe (LAG) im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative LEADER plus bewerben. Nach Aussage der Leiterin der nationalen Koordinationsstelle für LEADER in Warschau, Frau Urszula Budzich-Szukala, befinden sich die meisten dieser Initiativen im kleinstrukturierten Südosten des Landes.

Prof. Dr. Johan F.M. Swinnen von der Katholischen Universität Leuven, Belgien, weist darauf hin, dass die Direktinvestitionen großer Nahrungsmittelkonzerne vielfach zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation auch kleinerer Betriebe führen und dazu beitragen, internationale Qualitätsstandards in Mittel- und Osteuropa zu etablieren. Positive Effekte erreichen die Betriebe vor allem über neue Arten der vertraglichen Zusammenarbeit, Finanzierung von Produktionsmitteln und Beratung. Mit Hilfe innovativer Vertragsbeziehungen wird versucht, einerseits hohe Produktqualitäten zu erzielen, aber andererseits das Risiko für die landwirtschaftlichen Erzeuger überschaubar zu halten. Beispiele hierfür kommen aus der Zuckerverarbeitung in der Slowakei sowie von Milchverarbeitern in Polen, Rumänien und Russland. Einer Studie über Armenien, Georgien, Moldau, Ukraine und Russland zufolge nahm der Anteil der Verarbeiter, die Rohware über feste Vertragsbeziehungen einkaufen, von 41 Prozent im Jahr 1997 auf 77 Prozent im Jahr 2003 zu. Swinnen unterstreicht, dass solche Beziehungen nicht zum Ausschluss kleinerer Betriebe führen müssen: „Verarbeitungsunternehmen betonen, dass die Bereitschaft zu lernen und Beratung anzunehmen sowie eine insgesamt professionelle Einstellung für eine fruchtbare Verarbeiter-Zulieferer-Beziehung wichtiger sind als die Größe der Zuliefererbetriebe“.

Petrick räumt ein, dass weitere Probleme die ländliche Entwicklung in Mittel- und Osteuropa behindern. Auf dem IAMO Forum 2004 kommt etwa auch die Gefahr der Entleerung ganzer Landstriche durch fallende Geburtenraten und Abwanderung zur Sprache. Die Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Akteuren muss vielfach noch verbessert werden. Ländliche Räume sollten nicht auf ihre Funktion als Agrarregionen reduziert werden, vielmehr dienen sie auch als Wirtschaftsstandort für außerlandwirtschaftliche Unternehmen und Erholungsraum und bewahren kulturelle und ökologische Werte. Die anwesenden Experten sind sich einig, dass die Absicht der Europäischen Kommission, die Agrarpolitik stärker zu einer ländlichen Entwicklungspolitik zu machen, ein Schritt in die richtige Richtung ist.

Ansprechpartner: Dr. Martin Petrick, Dr. Peter Weingarten, Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO), Theodor-Lieser-Str. 2, 06120 Halle (Saale), Tel.: 0345-29 28 127, petrick@iamo.de

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