Auslandsverlagerungen der Deutschen Industrie

90 Prozent der deutschen Industrieunternehmen planen weitere Auslandsverlagerung in den nächsten fünf Jahren – Zwei Drittel der Unternehmen schätzen Fertigungsqualität im Ausland als gleich gut oder besser ein – Bereits 13 Prozent der Firmen verlagern komplexe technische Systeme – Tendenz steigend – 71 Prozent der kleineren Unternehmen bis 100 Millionen Euro Umsatz werden in fünf Jahren im Ausland produzieren – Vier Globalisierungstypen

Der Trend zur Auslandsverlagerung in der deutschen Industrie beschleunigt sich. 90 Prozent der Unternehmen planen, in den nächsten fünf Jahren Produktionskapazitäten aus Deutschland abzuziehen, bevorzugt nach Osteuropa oder Asien. 67 Prozent der Industrieunternehmen halten die Fertigungsqualität im Ausland inzwischen für gleich gut oder besser als in Deutschland. Bereits 13 Prozent der Firmen verlagern hochkomplexe Systeme und technologisch anspruchsvolle Baugruppen an Auslandsstandorte. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen stehen an der Schwelle zur Internationalisierung: 71 Prozent der Firmen mit einem Jahresumsatz bis 100 Millionen Euro beabsichtigen binnen fünf Jahren auch im Ausland zu produzieren. So lauten die zentralen Ergebnisse einer Gemeinschaftsstudie von Roland Berger Strategy Consultants und dem Laboratorium für Werkzeugmaschinen und Betriebslehre (WZL) der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH), Aachen.

Von Februar bis April 2004 wurden Geschäftsführer und leitende Manager von 70 führenden deutschen Unternehmen aus dem Maschinen- und Anlagenbau sowie der Automobilzuliefer- und Elektroindustrie schriftlich und in Einzelinterviews befragt. Etwa die Hälfte der Firmen gehört dem Mittelstand an, je rund ein Viertel sind kleine Betriebe oder Großunternehmen.

Beschleunigte Internationalisierung

Die meisten befragten Unternehmen sind bereits international aufgestellt. 61 Prozent unterhalten Fertigungsstandorte in Nord- oder Südamerika, 56 Prozent in Asien und 44 Prozent in Osteuropa. Lediglich 17 Prozent betätigen sich noch ausschließlich in Deutschland, darunter vorwiegend Unternehmen mit weniger als 200 Millionen Euro Jahresumsatz.

Der Trend zur Auslandsverlagerung beschleunigt sich. 90 Prozent der Unternehmen planen, in den nächsten fünf Jahren weitere Produktionsstufen ins Ausland zu verlegen. Zum Vergleich: In den letzten zehn Jahren haben 69 Prozent Unternehmensteile aus Deutschland abgezogen. Nur 10 Prozent der Unternehmen verfolgen keine Verlagerungsabsichten. Während der vergangenen zehn Jahre hatten noch 31 Prozent auf Auslagerungen verzichtet.

„Die Verlagerungen haben heute eine andere Qualität als in den neunziger Jahren, als viel nach Spanien und Portugal verlagert wurde“, erläutert Prof. Günther Schuh von der RWTH Aachen. „Heute ist ein nachhaltigerer Effekt nötig.“

Auslandsstandorte immer leistungsfähiger

Ausländische Produktionsstätten machen sich die traditionellen Vorzügen der deutschen Standorte immer stärker zu eigen. So geben 67 Prozent der Unternehmen an, die Fertigungsqualität im Ausland sei gleich gut oder besser als hierzulande. 81 Prozent halten die Lieferzeiten aus dem Ausland für gleich gut oder besser. Bei der Produktivität sehen 31 Prozent die internationalen Standorte im Vorteil. 94 Prozent der deutschen Industrie erachten die Materialkosten im Ausland für günstiger, alle Befragten unterstreichen den Vorteil niedrigerer Löhne und Gehälter.

Da die Auslandsstandorte immer leistungsfähiger werden, verlagern 13 Prozent der deutschen Industrieunternehmen nicht nur einfache Produkte, sondern zunehmend komplexe Systeme und technologisch anspruchsvolle Baugruppen dorthin. Tendenziell steigt der Wertschöpfungsanteil ausländischer Unternehmensteile: Wurden in der Vergangenheit vor allem Fertigung und Montage ausgelagert, siedeln deutsche Firmen nun verstärkt Forschung und Entwicklung, Konstruktion sowie administrative Funktionen im Ausland an.

„Die Spielregeln der Globalisierung haben sich verändert“, sagt Dr. Reinhard Geissbauer, Partner im Competence Center Engineered Products & High Tech bei Roland Berger Strategy Consultants. „Es geht nicht länger darum, lohnkostenintensive Fertigung auszulagern. Um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen deutsche Industrieunternehmen ihre Kernkompetenzen in einem weltweiten Netzwerk organisieren. Die optimalen Standorte bestimmen sich vor allem durch betriebs- und volkswirtschaftliche Kriterien, kaum durch Tradition oder Geografie“.

Mittelstand zieht nach

Attraktive Rahmenbedingungen etwa in Osteuropa oder Asien veranlassen zunehmend auch kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), neue Standorte im Ausland zu errichten. Vor allem osteuropäische Länder wie Polen oder Tschechien bieten sich aus Sicht der KMU für die Verlagerung an. 71 Prozent der befragten Unternehmen bis 100 Millionen Euro Jahresumsatz planen, in den kommenden fünf Jahren in Osteuropa Betriebsstätten zu bauen. Derzeit betätigen sich dort erst 21 Prozent.

Zukunftsmärkte Osteuropa und China

Aus Sicht der Befragten verliert Deutschland nicht nur als Produktionsstandort, sondern auch als Absatzmarkt für Industriegüter an Bedeutung. Zukunftsmärkte liegen vor allem in Osteuropa und China, wo sich die industrielle Produktion von 2004 bis 2008 verdoppeln wird. Osteuropa dient den Unternehmen aufgrund niedriger Lohnkosten bei nur geringem Produktivitäts- und Qualitätsverlust sowie volkswirtschaftlichen Wachstums und politischer Stabilität derzeit noch überwiegend als „verlängerte Werkbank“ in der Produktion.

In Ostasien dagegen nutzt die deutsche Industrie bereits heute nicht nur niedrige Fertigungskosten bei hoher Qualität. Vielfach werden Produkte etwa für den chinesischen Markt vor Ort entwickelt und gefertigt, um den spezifischen Bedürfnissen asiatischer Kunden zu entsprechen.

Vier Globalisierungstypen

In der deutschen Industrie lassen sich vier Globalisierungsstrategien unterscheiden:

1. „Standort-Deutschland-Wertschöpfer“ (17 Prozent) produzieren in Deutschland und bedienen von hier auch globale Kunden. Sie stellen häufig technologieintensive Maschinen her oder betreiben hoch automatisierte, kapitalintensive Anlagen.

2. „Regionale Kostensenker“ (22 Prozent) verlagern lohnkostenintensive Fertigungsschritte in Niedriglohnregionen wie Osteuropa oder Asien. Viele Unternehmen der Elektroindustrie verfolgen diese Strategie.

3. „Globale Markterschließer“ (33 Prozent) bedienen die wichtigsten Weltmärkte von lokalen Fertigungs- und Vertriebsstandorten, vorwiegend in Asien sowie Nord- und Südamerika. Zu dieser Gruppe zählen vor allem Automobilzulieferer sowie Unternehmen aus des Sondermaschinen- und Anlagenbaus.

4. „Global Footprint Champions“ (28 Prozent) wählen für jede Unternehmensfunktion den nach Kosten und Qualität besten Standort und errichten so ein effizientes globales Netzwerk (Global Footprint). Sondermaschinen- und Anlagenbauer nutzen diese Strategie ebenso wie Automobilzulieferer und Elektronikunternehmen.

Am 22.9.2004 veranstalten Roland Berger Strategy Consultants und WZL in Düsseldorf ganztägig das Seminar „Global Footprint Design – Internationale Wertschöpfung beherrschen“.

Media Contact

Susanne Horstmann Roland Berger Strategy Consultan

Weitere Informationen:

http://www.rolandberger.com

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