Der Strompreis und die Finanzmathematik – Gesteuerte Risiken beim Handel mit Energiederivaten

Seit der Liberalisierung des Strommarkts in Deutschland im Jahr 1998 ist elektrischer Strom frei und nahezu unbehindert an Strombörsen handelbar. Kraftwerksbetreiber bieten ihren Strom an, Großkonsumenten wie zum Beispiel die Deutsche Bahn AG kaufen den Strom dort ein, und Energieversorgungsunternehmen, die sowohl Kraftwerke besitzen als auch Konsumenten bedienen, verkaufen ihren eigenen Strom, falls sie günstiger produzieren als der Markt, und kaufen Energie dazu, falls die Konkurrenz preiswerter arbeitet als sie.

Nun hat Strom die besondere Eigenschaft, daß er nur in sehr begrenzten Mengen speicherbar ist. Im allgemeinen muß das Kraftwerk den Strom in dem Moment produzieren, in dem der Endverbraucher ihn benötigt. Hier wird das Problem akut, daß sich viele Konsumenten gleichartig verhalten und tagsüber viel, nachts aber wenig Strom nachfragen. Die tagsüber erhöhte Nachfrage bei gleichbleibender Gesamtkapazität führt zu stark schwankenden Preisen an den Strombörsen. Während eine Megawattstunde Strom über die Mittagszeit zwischen 20 und 30 EUR kostet, ist dieselbe Menge um 3 Uhr morgens für weniger als 10 EUR zu haben. Fällt ein Kraftwerk aus oder geht in die planmäßige Revision, wird also die Kapazität verringert, steigen die Preise manchmal um ein Vielfaches an. Dies war z. B. im vergangenen Sommer der Fall, als durch die anhaltende Windstille viele Windparks keinerlei Beitrag zur Energieversorgung leisten konnten und gleichzeitig aufgrund der großen Hitze die Flüsse so warm wurden, daß sie für die Kraftwerkskühlung kaum noch geeignet waren.

Dies berührt allerdings den Konsumenten wenig, denn er bekommt, vertraglich zugesichert, soviel Strom, wie er benötigt, und zwar zu einem festgelegten Preis, der weder mit der Tageszeit noch mit der allgemeinen Produktionssituation schwankt. Ein Energieversorgungsunternehmen, dessen Kraftwerkspark nicht ausreichend groß ist und das Elektrizität an der Börse gegebenenfalls zu hohen Preisen hinzukaufen muß, hat naturgemäß den Wunsch, sich gegen dieses Risiko abzusichern. So hat sich der Handel mit Optionen etabliert, vergleichbar den Optionen an Aktienmärkten. Der seit der Deregulierung des Strommarktes handelbare Rohstoff Elektrizität wird zusammen mit seinen Preisänderungsrisiken an Finanzmärkten, wie etwa der European Energy Exchange, gehandelt. Neben dem Spotmarkt hat sich insbesondere ein reger Terminmarkt mit Forwards, Futures und Optionen (auf Futures), mithin einem Risikomanagement für Preisänderungsrisiken ausgebildet.

Solche Derivate sichern dem Besitzer das Recht zu, im Laufe eines bestimmten Zeitraumes eine genau festgelegte Menge an Strom zu einem fixen Preis vom Vertragspartner zu beziehen. Damit wälzt der Käufer der Option das Risiko auf den Verkäufer ab, der die Versorgung z. B. durch einen größeren Kraftwerkspark sichern kann. Dennoch läßt sich der Verkäufer für die Übernahme des Risikos vom Käufer entschädigen. Das ist der Wert der Option. Doch welchen Wert hat diese Option genau, bzw. wie groß ist das Risiko tatsächlich? Dies ist die entscheidende Frage im Risikomanagement an den Strombörsen.

Auf klassischen Aktienmärkten ist die Bewertung von Aktienoptionen im Rahmen verschiedener Modelle möglich, die maßgeschneiderte Lösungen für die verschiedensten Bewertungsprobleme liefern. Der bekannteste Vertreter ist vielleicht das nach den Nobelpreisträgern Fisher Black und Myron Scholes benannte Optionspreismodell, das 1973 zeitgleich mit der ersten Börse für Optionen (CBOT, Chicago) veröffentlicht wurde. Klassische Bewertungsverfahren lassen sich jedoch nicht ohne weiteres auf die Strommärkte übertragen. Viele Tages-, Wochen- und Jahresschwankungen komplizieren die Problematik. Hinzu kommen weitaus extremere Preisspitzen, als man sie von Aktienmärkten kennt. Seit Gründung der ersten deutschen Strombörse wird von Praktikern und Akademikern intensiv auf dem Gebiet der Bewertung von Energiederivaten und dem Risikomanagement von Energieunternehmen geforscht. Es gibt vielversprechende Ideen, doch sind die Konzepte bei weitem noch nicht ausgereift. Vor der Finanzmathematik breitet sich hier ein interessantes Forschungs- und Arbeitsgebiet aus.

Eine notwendige Voraussetzung für den Handel mit Energiederivaten ist die Modellierung des zugrunde liegenden Preisprozesses, etwa des Strompreises, durch einen geeigneten stochastischen Prozeß – mit Rücksicht auf die Vielzahl möglicher Einflußfaktoren auf die Stromnachfrage eine komplexe und schwierige Aufgabe. In seiner Diplomarbeit „Modellierung von Strompreisen mit GARCH-Prozessen“ hat Reik H. Börger, Abteilung Finanzmathematik (Leiter Prof. Dr. Rüdiger Kiesel) der Universität Ulm, in Kooperation mit der EnBW AG, einem führenden deutschen Energieproduzenten, eine solche Modellierung entwickelt. Die Arbeit fand große Beachtung bei der Elektrizitätswirtschaft und wurde mit dem Preis der Baden-Württembergischen Elektrizitätswirtschaft ausgezeichnet.

Im Rahmen einer Forschungskooperation mit weiteren Universitäten (u.a. Birkbeck College, University of London) und der EnBW beteiligt sich die Ulmer Abteilung Finanzmathematik weiter aktiv an der wissenschaftlichen Untersuchung von (derivativen) Energiemärkten. Gegenwärtig werden Ansätze zur realistischeren Modellierung von Energiepreisprozessen und der darauf aufbauenden Bewertung von Derivaten untersucht. Insbesondere sollen Hedgingstrategien (Absicherungsstrategien) entwickelt werden, die ein effizientes Risikomanagement ermöglichen. Um das zu erreichen, müssen eine statistische Analyse der preisbeeinflussenden Faktoren und eine Untersuchung der Abhängigkeiten im Verhältnis der verschiedenen Energieprodukte untereinander erfolgen. Ferner sollen für den Energiehandel spezifische Risikomaße definiert und konkrete Richtlinien für ein Risikomanagement als Grundlage einer dynamischen Risikosteuerung erarbeitet werden.

Media Contact

Peter Pietschmann idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-ulm.de

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