Mit 55 Jahren arbeitslos – mit 70 Jahren in Rente?


Institut Arbeit und Technik startet neues Projekt zu Altersarbeit und Altersarbeitslosigkeit

In keinem anderen Land der Europäischen Union (mit Ausnahme von Finnland) ist die Arbeitslosenquote der Älteren ab 55 Jahre so hoch wie in Deutschland. Und das, obwohl andererseits die Beschäftigungsquote dieser Altersgruppe bei uns sogar etwas über dem EU-Durchschnitt liegt. Während die nicht beschäftigten Älteren in anderen Ländern entweder überhaupt nicht am Erwerbsleben teilnehmen (z.B. ältere Frauen) oder schon in Rente sind (teilweise Invaliditätsrenten oder andere Sonderformen), sind sie bei uns weitaus häufiger als bei unseren Nachbarn arbeitslos. Ab 58 Jahre können sie auch Arbeitslosenunterstützung beziehen, ohne Arbeit zu suchen und als Arbeitslose gezählt zu werden. Mit Fragen der Altersarbeitslosigkeit und Altersarbeit befasst sich ein neues Projekt am Institut Arbeit und Technik (IAT/Gelsenkirchen).

In der Rentendebatte werden Forderungen erhoben, das offizielle Rentenalter auf 67 oder gar auf 70 Jahre anzuheben. Aber derzeit arbeiten kaum noch 10% bis zum Rentenalter von 65. Der häufigste Zustand vor der Rente ist der Bezug von Arbeitslosenunterstützung geworden. Die Ursache ist der sogenannte „Vorruhestand“: Arbeitslosigkeit von mindestens einem Jahr Dauer ist – außer der Altersteilzeit – für erwerbsfähige Männer der einzige Weg zu einer Rente schon mit 60. Frauen können sowieso mit 60 in Rente gehen. Aber wenn die Betriebe Männer im Alter von 55 – 59 entlassen, müssen oder wollen auch die Frauen vor dem Rentenalter in Arbeitslosigkeit gehen.

Aus diesen Gründen konzentriert sich die Altersarbeitslosigkeit auf die Altersgruppe 55-59. Der Anteil dieser Gruppe an den Leistungsbeziehern ist doppelt hoch wie ihr Anteil an der Bevölkerung im Erwerbsalter; ihre Arbeitslosenquote ist sogar mehr als doppelt so hoch wie die allgemeine Quote.

Das IAT hat durch Analyse der IAB-Beschäftigtenstichprobe das Ausmaß der durch „Vorruhestand“ bedingten Arbeitslosigkeit geschätzt. Als „Vorruhestand“ betrachten wir hierbei den langzeitigen Bezug von Arbeitslosenunterstützung, der nach dauerhafter Beschäftigung in einem Betrieb in einem Alter ab 55 beginnt und in einem Alter ab 60 endet, ohne dass es zu erneuter Beschäftigung kommt. Diese Form des Bezugs von Arbeitslosengeld oder -hilfe machte – nach Tagen gerechnet – im Jahre 1993 elf Prozent der gesamten Arbeitslosigkeit aus. Bezogen auf den Teil der Arbeitslosigkeit, der nach stabiler Beschäftigung in einem Betrieb auftritt, beträgt der Anteil des „Vorruhestandes“ 27%.

Es wäre schon ein großer Fortschritt, wenn alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer so lange arbeiten könnten, bis sie eine Rente ohne vorherige Arbeitslosigkeit bekommen: bis 60 (Frauen mit genügend Beitragsjahren), bis 63 (langjährig Versicherte) oder bis 65. Das würde die Zahl der Bezieher von Arbeitslosenunterstützung um rund 400.000 senken und den Rentenkassen mehr Beiträge bringen. Der nächste Schritt bestünde darin, dass alle so lange arbeiten können, bis sie mit 65 eine Rente ohne Abschläge bekommen. Erst wenn das erreicht ist, macht die Diskussion über das Rentenalter einen Sinn. Die Rentendebatte könnte an Optionen gewinnen, wenn man sich klar machen würde, dass es mittelfristig außer Beiträgen und Leistungen eine dritte Stellgröße gibt: Die Beschäftigung.

Um zu einer höheren Altersbeschäftigung zu kommen, müssen die Betriebe den demographischen Wandel akzeptieren und sich auf die Beschäftigung von Älteren einstellen. Die „lebenslange“ Weiterbildung muss betriebliche Realität werden, damit auch die Älteren über aktuelle Qualifikationen verfügen. Die Arbeitsbedingungen müssen so gestaltet werden, dass die Arbeit bis zum Rentenalter durchzuhalten ist. Die phasenweise individuelle Reduzierung der Arbeitszeit kann dabei helfen. Wenn Teilzeitarbeit auch für Männer „normal“ ist, dann wird auch die Altersteilzeit mehr Akzeptanz finden.

Das IAT wird sich in seinen Forschungsarbeiten künftig verstärkt dem Thema der Altersarbeit und der altersadäquaten Arbeitszeitgestaltung widmen.

Für weitere Fragen stehen Ihnen zur Verfügung:

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