Ostdeutschland als Vorreiter beim Arbeitsmarktwandel

Die Vorreiter-Rolle gelte im Guten wie im Bösen, sagt Prof. Dr. Christoph Köhler von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Die gute Nachricht: „Wir sind im demografischen Wandel gegenüber dem Westen um zehn Jahre voraus und daraus ergeben sich Chancen für Fachkräfte und Hochschulabsolventen.“ Die schlechte Nachricht: „Der Niedriglohnsektor und die Arbeitsplatzunsicherheit sind im Osten wesentlich größer als im Westen.“

Diese Diagnosen und Prognosen des Jenaer Soziologie-Professors basieren auf dem Projekt „Betriebliche Beschäftigungssysteme im ost-westdeutschen Vergleich“ im Sonderforschungsbereich 580, das von Köhler und seinem Oberassistenten Olaf Struck geleitet wird, und das in diesem Jahr neue, zusammenfassende Publikationen vorlegt.

Wieder bessere Chancen für junge Fachkräfte und Hochschulabsolventen

In Bezug auf den demografischen Wandel wird hervorgehoben, dass starke Altersjahrgänge das Beschäftigungssystem verlassen, während schwache Nachwuchsjahrgänge in den Arbeitsmarkt eintreten. Daraus ergeben sich heute und in Zukunft wieder bessere Chancen für junge Fachkräfte und Hochschulabsolventen. Dies betrifft jedoch nicht Geringqualifizierte. Hier gibt es weniger Jobs und zu viele Bewerber, teilweise wandern die Jobs auch in Billiglohnländer ab. In Westdeutschland läuft die demografische Entwicklung zeitverzögert ab: Gegenwärtig nimmt die Größe der Nachwuchsjahrgänge noch leicht zu und wird erst ab 2015 deutlich zurückgehen.

In Bezug auf den Anteil „schlechter“ Jobs hat Ostdeutschland den Westen längst überholt. Der Niedriglohnsektor macht inzwischen fast ein Fünftel aller Jobs aus. Im Osten Deutschlands lässt sich eine Zunahme von Leiharbeit, Befristung und staatlich subventionierter Tätigkeiten feststellen, deren Anteil zudem deutlich höher als im Westen Deutschlands ist. Dies macht sich u. a. darin bemerkbar, dass der Anteil kurzfristiger Beschäftigungsverhältnisse stärker als im Westen zugenommen hat. Hintergrund für diese Entwicklungen sind die wirtschaftliche Lage, die hohe Arbeitslosigkeit und der schwächere institutionelle Schutz der Beschäftigten durch Arbeitnehmervertretungen.

Instabile Koexistenz interner und externer Arbeitsmärkte kennzeichnet den deutschen Arbeitsmarkt heute

Das Jenaer Projekt zeigt, dass in der Vergangenheit und im internationalen Vergleich das deutsche Beschäftigungsmodell durch eine hohe Beschäftigungssicherheit, einen begrenzten Niedriglohnsektor und starke Institutionen (z. B. Berufsbildung und Flächentarifverträge, soziale Sicherung) gekennzeichnet war. Dieses Modell zeigt nun durch Veränderungen in beiden Landesteilen starke Risse. Festgestellt wurde u. a. ein „Externalisierungsschub“, ein schnellerer Wechsel von Job zu Job. Der deutsche Arbeitsmarkt insgesamt habe sich von einer Hegemonie interner Arbeitsmärkte zu einer spannungsgeladenen und instabilen Koexistenz interner und externer Arbeitsmärkte entwickelt, zeigen die Jenaer Ergebnisse. Als interne Arbeitsmärkte werden Arbeitsmärkte innerhalb von Unternehmen, Konzernen oder Verwaltungen bezeichnet, während extern den „freien Arbeitsmarkt“ meint. Die Zukunft ist – so Köhler – von der wirtschaftlichen Entwicklung, aber auch von dem politischen Umbau der Institutionen abhängig (z. B. Mindestlohn oder Mindesteinkommen).

Im Rahmen des Projektes von Köhler und Struck bildet die Beschäftigungsdauer einen Schwerpunkt der intra- und international vergleichenden Analysen. Während in Deutschland (West) im Durchschnitt zehn bis elf Jahre zu Buche standen, mit leicht abnehmender Tendenz, beträgt sie in Ostdeutschland inzwischen neun Jahre. In den USA sind es aufgrund häufigen freiwilligen und unfreiwilligen Jobwechsels nur sechs bis sieben Jahre.

Erbsenzählerei auf gigantischem Niveau

Als Grundlage für die Analyse des Arbeitsmarktes diente den Wissenschaftlern u. a. die Statistik der Bundesagentur für Arbeit, in der alle versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse registriert sind. Für den Zeitraum von 1975-2001 wurden in einer Stichprobe 1,3 Millionen Personen mit 20 Millionen Status-Meldungen erfasst – Prof. Köhler spricht von einer „Erbsenzählerei auf gigantischem Niveau“. Hinzu kamen Telefon-Umfragen und Interviews mit Personalchefs und Arbeitnehmern in Nord-, Mittel- und Süddeutschland.

Im Sonderforschungsbereich (SFB 580) „Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch“ wollen Köhler und sein Team nun die Auswirkungen des veränderten Arbeitsmarktes auf die Familie untersuchen und haben dafür gerade die notwendigen Mittel beantragt. Zudem sollen vergleichende Studien Russland, Großbritannien und Schweden einbeziehen.

Kontakt:
Prof. Dr. Christoph Köhler, PD Dr. Olaf Struck
Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena
Carl-Zeiß-Straße 2, 07743 Jena
Tel.: 03641 / 945550
E-Mail: christoph.koehler[at]uni-jena.de, olaf.struck[at]uni-jena.de

Media Contact

Stephan Laudien idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-jena.de

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