Autoindustrie stellt sich auf zwei Krisenjahre ein

• Markteinbruch 2009, Wachstum nach 2010 erwartet
• Banken sollen der Automobilwirtschaft helfen
• Konzentration auf verbrauchs- und emissionsarme Fahrzeuge
• Kooperationen mit der Rohstoffindustrie

„Die nächsten zwei Jahre werden schwer“, befand Prof. Dr. Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen auf der 16. Handelsblatt Jahrestagung „Die Automobil-Industrie“, die am 15. und 16. Dezember in Frankfurt stattfand. Der Experte erwartet in den nächsten zwei Jahren einen „großen Absatzeinbruch“ auf den weltweiten Automobilmärkten. Die Zahl der Fahrzeuge werde von rund 56 Millionen im Jahr 2008 auf rund 53 Millionen im Jahr 2010 zurückgehen.

„Der Niedergang ist enorm“, so Dudenhöffer. Nach 2010 folge dann ein „sehr positiver Wachstumspfad“. 2020 werde es rund 74 Millionen Fahrzeuge geben, von denen fast die Hälfte in den aufstrebenden Märkten unterwegs sein werde. In den Triade-Märkten Europa, USA und Japan stehe das Wert-Wachstum im Mittelpunkt, der Fokus liege auf der CO2-Verringerung. In den neuen Märkten China, Indien, Russland und Brasilien stehe Volumen-Wachstum im Mittelpunkt, der Fokus liege auf der Entwicklung von Billigfahrzeugen.

Deutschland: Vertriebsnetz problematisch
Für den deutschen Fahrzeugmarkt sagte der Professor 2009 einen starken Rückgang voraus, unter anderem weil sich das Flottengeschäft reduzieren und das Leasinggeschäft verändern würden. „Die Jahre 2009 und 2010 bringen eine Konsolidierung. Das bedeutet eine verstärkte Konzentration im Autohandel – wir werden 20 bis 25 Prozent weniger Händler haben – sowie einen hohen Wettbewerb auch im Fuhrparkgeschäft. Refinanzierung wird zunehmend wichtig“, analysierte Dudenhöffer. 2009 seien Rabatte von über 18 Prozent möglich, die den Handel in Bedrängnis brächten. Der Druck auf den Neu- und Gebrauchtwagenmarkt setze sich fort. Ab 2010 könnten die „sensiblen Vertriebskanäle“ Hersteller, Händler und Vermieter wieder mit Zuwächsen rechnen. Neue Produkte und Märkte seien wichtig für den Erfolg.

Appell an die Finanzwirtschaft und die öffentliche Hand
Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee appellierte auf der Handelsblatt Jahrestagung an die Bankenwirtschaft, ihre Verantwortung wahrzunehmen und die Kreditklemme zu lösen. Sein Ministerium habe durch Investitionen in Batterie- und Brennstoffzellentechnologie wichtige Impulse gegeben. Jetzt seien die Kreditinstitute gefordert, der Automobilindustrie mit Kapital aus der Krise zu helfen und Innovationen zu ermöglichen, so Tiefensee. Lars Holmqvist, Chef des Europäischen Automobilzulieferer-Verbandes (CLEPA), forderte „großzügige Zuwendungen aus öffentlichen Quellen“ für die Industrie, um die aktuellen Herausforderungen zu bewältigen. „Es ist wahrscheinlich, dass wir dann bei einer Zahl von mehr als 25 Milliarden Euro herauskommen“, bezifferte Holmqvist die notwendigen Kreditgarantien. „Wir müssen unsere Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen trotz der momentanen Krise verstärken, denn sowohl der Gesetzgeber als auch der Verbraucher verlangen nachhaltige Transportlösungen“, erläuterte der Verbandschef. Die Forschungsschwerpunkte lägen auf Hybrid-Technologie, Elektroantrieb, Biokraftstoffen der zweiten Generation sowie Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie. Ivan Hodac, Generalsekretär des Europäischen Automobilhersteller-Verbandes (ACEA), forderte Incentives für Verbraucherkredite, denn das Auto sei „die größte Anschaffung nach dem Haus“. „Wir haben ein bis zwei sehr schwierige Jahre vor uns, in denen wir eine Marktstimulation brauchen”, sagte Hodac. Danach werde man sich weiter auf verbrauchseffiziente Fahrzeuge konzentrieren.

Geschäftsmodelle überdenken – mehr Kultur im Unternehmen
Gerhard Baum, Vice President Automotive Industrie von IBM Deutschland, stellte die Studie „Automotive 2020“ vor, für die 125 Top-Manager von Fahrzeugherstellern und Zulieferern, Regierungsvertreter, Zukunftsforscher und Entscheidungsträger in Schlüsselbranchen wie der Batterieindustrie befragt wurden. Danach würden die „externen Prioritäten“ Technologie, Nachhaltigkeit, Unternehmensverantwortung und Mobilität in den nächsten zehn Jahren an Bedeutung gewinnen. Kundenprioritäten seien nach Ansicht der Befragten die Themen Verbrauchseffizienz und Umweltfreundlichkeit, Personalisierung, Sicherheit, alternative Transportmodelle sowie Lebenszykluskosten. Baum wies darauf hin, dass diese Prioritäten „überhaupt nicht mit der derzeitigen Vertriebsstruktur zusammenpassen“. Seine Schlussfolgerung: „Der Vertrieb wird sich verändern, Mobilität wird neu definiert und alternative Finanzierungsmodelle werden entwickelt werden.“ Als Prioritäten beim Fahrzeug sähen die Befragten die Weiterentwicklung der Elektronik für mehr Information, des Antriebs für mehr Nachhaltigkeit und der Karosserie für weniger Gewicht an. Technologische Trends seien der Studie zufolge die Energiespeicherung und Batterie-Ladung, die Datenanalyse und -weitergabe sowie der Zugriff auf das digitale Umfeld des Fahrers. „Am intelligenten Produkt führt kein Weg vorbei“, konstatierte Baum. Für die Unternehmen seien laut den Befragten Wachstumsstrategien, eine globale Belegschaft, Kernkompetenzen und Flexibilität wichtig. Baum: „Es geht um den Wissenstransfer und eine Kultur des Lernens.“ Dieter Reitmeyer, Managing Director der Redi Group, forderte ebenfalls, die Kultur im Unternehmen zu berücksichtigen. „Die fehlende Identifikation von Mitarbeitern mit ihrem Unternehmen kostet pro Jahr 260 Milliarden Euro“, sagte er. Es gehe um „Leidenschaft und Innovation“ und um die Verantwortung der Wirtschaft: „Die Unternehmer müssen ihre Unternehmen in den Griff bekommen.“ Beispiele für funktionierende Unternehmenskulturen lieferten auf der Handelsblatt-Tagung Reinhard Kretschmer von der Brose Group und Dr. Karl Krause von Kiekert.

Chemie- und Stahlindustrie wollen enger mit Autobauern kooperieren
Hans-Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, und Dr. Uwe Hartwig von der BASF Group betonten beide, wie wichtig die Kooperation mit der Automobilindustrie für ihre Branchen sei. „Die Automobilwirtschaft ist ein 50-Milliarden-Euro-Markt für die Chemieindustrie“, führte Hartwig aus. Die Chemie könne den Autobauern in Forschung und Entwicklung und bei Prozessoptimierungen helfen. Der Einsatz von Kunststoff statt Metall bringe Vorteile bei Gewicht, Kosten und Energieeinsatz. Gleiches gelte für innovative Lacke und Lackierprozesse, berichtete Hartwig und verwies auch auf eine neuartige Karosserie aus Polyurethan. Kostenreduzierung und Energieeffizienz seien in den nächsten Jahren die Hauptpunkte für die chemische Industrie, wie Hartwig darlegte. Er erklärte, Materialrecycling müsse über die gesamte Wertschöpfungskette sinnvoll sein: „Das ist nicht der Fall, wenn das Recycling mehr Energie verbrauchen würde als die Neuherstellung des betreffenden Produkts.“ Kerkhoff hob die Wertschöpfung und die nachhaltige Produktion der Stahlindustrie hervor: „Stahl ist immer auch ein Beitrag zu Ökologie und Klimaschutz, unverzichtbar für den Weg in die Nachhaltigkeit.“ Das Karosseriegewicht könne auch durch den Einsatz von hochfestem Stahl und innovativen Fertigungsverfahren reduziert werden. „Die deutsche Stahlindustrie gehörte zu den Gewinnern der Globalisierung“, urteilte der Verbandspräsident. Von 2003 bis 2008 sei der Markt jährlich um 4,5 Prozent gewachsen. Derzeit kämpfe man jedoch mit einer Nachfrageschwäche und Finanzierungsproblemen. Allein im November sei die Stahlproduktion in Deutschland um 18,5 Prozent gesunken. Die Nachfrage werde aber langfristig weiterhin hoch sein, zeigte sich Kerkhoff überzeugt. „Wir wollen weiter leichtere, aber trotzdem bruchfeste und plastische Stähle entwickeln, und das in enger Zusammenarbeit mit der Automobilwirtschaft.“ Kerkhoff sprach sich dafür aus, „auch in schwierigen Zeiten im Einsatz von F&E-Mitteln nicht nachzulassen“.

Fotos von der 16. Handelsblatt Jahrestagung „Die Automobil-Industrie“ sind im Internet abrufbar unter: www.konferenz.de/fotos-auto08-pr

Die 17. Handelsblatt Jahrestagung „Die Automobil-Industrie“ findet am 9. Juli 2009 im Sofitel Munich Bayerpost in München statt.

Kontakt:

Carsten M. Stammen
Pressereferent
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