Aufschwung ist auch in seiner Spätphase an den meisten Haushalten vorbeigegangen

Der wirtschaftliche Aufschwung der vergangenen drei Jahre ist auch in seiner Spätphase an den meisten Beschäftigten, Rentnern und Beziehern von Sozialleistungen vorbeigegangen.

Das zeigt eine neue Untersuchung, mit der das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung seine Studie „Wer profitierte vom Aufschwung?“ fortschreibt. Die IMK-Forscher Dr. Camille Logeay und Dr. Rudolf Zwiener bezogen in ihre neue Analyse die aktuellsten verfügbaren Daten mit ein, die das erste Quartal 2008 einschließen. Sie erscheint in der neuen Ausgabe der WSI Mitteilungen.

Die aktuelle Untersuchung unterstreicht die Kernergebnisse der IMK-Studie vom März: Der Zuwachs an Wirtschaftsleistung ist in den vergangenen drei Jahren ganz überwiegend den Beziehern von Gewinn- und Vermögenseinkommen zugeflossen. Insbesondere die Unternehmen konnten ihre Gewinne stark steigern. Die realen Nettolöhne je Beschäftigtem sind dagegen im zu Ende gehenden Aufschwung insgesamt um 3,5 Prozent gesunken – ungeachtet der stärkeren Lohnentwicklung in den vergangenen Monaten. Trotz eines Beschäftigungsanstiegs um 3,3 Prozent verringerte sich das reale Nettolohneinkommen aller Beschäftigten zusammengenommen um 0,3 Prozent. Das reale Einkommen eines Vier-Personenhaushalts mit einem Alleinverdiener sank während der 13 Aufschwung-Quartale um 3,5 Prozent, das eines Ein-Personen-Haushalts ging um 2,6 Prozent zurück. Derartige Reallohnverluste in einer Phase wirtschaftlicher Prosperität sind neu: Im vorigen Aufschwung, der elf Quartale zwischen 1998 und 2001 umfasste, stiegen die realen Nettolöhne pro Kopf noch um vier Prozent.

Auch die staatlichen Transfers an die privaten Haushalte, darunter die Renten, haben sich real deutlich reduziert. Preisbereinigt sanken diese Transfers um sieben Prozent. Im vorigen Aufschwung waren sie hingegen um rund vier Prozent gestiegen. Insgesamt stagnierte das preisbereinigte verfügbare Einkommen der privaten Haushalte, während es im letzten Aufschwung noch um sieben Prozent gewachsen war.

„Es ist nicht nur ein mehrheitliches Gefühl der Bevölkerung, dass sie vom Aufschwung nicht profitiert. Es ist Realität. Trotz eines gut dreijährigen Konjunkturaufschwungs ist die reale Einkommenssituation vieler Haushalte heute schlechter als zuvor“, schreiben die Wissenschaftler. Dazu habe neben verhaltener Lohnentwicklung und geringeren Transfers auch die Mehrwertsteuererhöhung beigetragen. Der Steueraufschlag um drei Prozentpunkte habe „deutliche Preiseffekte“ ausgelöst – schon längere Zeit, bevor die Preise für Energie und Lebensmittel anzogen und die Inflation weiter beschleunigten. Der reale private Konsum stagnierte in diesem Aufschwung mit einem Zuwachs von nicht einmal einem Prozent. Im Aufschwung zur Jahrtausendwende stieg er noch um insgesamt 7,5 Prozent.

Zwar kam die gute Wirtschaftsentwicklung auch jenen zuvor arbeitslosen Menschen zu Gute, die eine neue Stelle fanden. Die Beschäftigung wuchs aber in diesem Aufschwung nicht wesentlich stärker als im Aufschwung um die Jahrtausendwende, zeigt die IMK-Untersuchung. Eine außergewöhnliche „Beschäftigungsdividende“ als Folge von Lohnzurückhaltung und Arbeitsmarkreformen sei nicht zu beobachten, resümieren Camille Logeay und Rudolf Zwiener, „der – erzwungene – Verzicht auf angemessene, an Inflationsziel und Produktivitätssteigerung orientierte Lohnsteigerungen hat sich nicht gelohnt.“

Verglichen mit dem letzten Aufschwung habe die Gesamtzahl der Beschäftigten etwas weniger stark zugenommen, die der ungefördert sozialversicherungspflichtig Beschäftigten stärker (+816 000 Personen nach +653 000 im vergleichbaren Zeitraum von elf Quartalen). Die Arbeitslosigkeit sei zwar im Vergleich zum letzten Aufschwung deutlich stärker gesunken. Zu diesem Rückgang trage aber auch ein demographischer Effekt erheblich bei: Das Angebot an Arbeitskräften geht derzeit zurück, während es im vergangenen Aufschwung noch zunahm.

Die Einnahmen von Unternehmern, vielen Selbstständigen, Aktienbesitzern und anderen Kapitaleignern stiegen in den drei Aufschwungjahren deutlich an. Die Gewinne der Unternehmen seien „geradezu explodiert“, so die Forscher: Die nominalen Bruttogewinne der Unternehmen wuchsen in diesem Aufschwung um 25 Prozent – nach fünf Prozent im vorigen Zyklus. Die sehr gute Entwicklung der Gewinne ist nach der IMK-Analyse die Kehrseite der schwachen Entwicklung bei den Arbeitnehmereinkommen: „Letztlich waren die Unternehmen bei guter internationaler und nationaler Konjunktur nicht gezwungen, die geringen Arbeitskostensteigerungen vollständig in den Preisen weiterzugeben und diese – bei Einrechnung der Produktivitätsfortschritte – entsprechend zu senken. Stattdessen konnten sie ihre Gewinnmargen erhöhen“, schreiben die Wissenschaftler. Damit „konnte der Aufschwung von den Unternehmen dieses Mal für eine massive Umverteilung zu ihren Gunsten genutzt werden.“

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