Arbeitszeitkonten: Lücken beim Insolvenzschutz bleiben trotz Gesetzesnovelle

Arbeitszeitkonten ermöglichen Unternehmen einen flexiblen und günstigen Arbeitskräfteeinsatz, den Beschäftigten können sie im Idealfall einen freieren Umgang mit der Arbeitszeit eröffnen. Doch der Schutz von Zeitguthaben gegen eine Firmenpleite ist nach wie vor lückenhaft.

Selbst die oft besonders wertvollen Langzeitkonten sind in rund einem Viertel der Betriebe, die solche Konten haben, unzureichend abgesichert. Das ergibt sich aus der aktuellen Betriebsrätebefragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung. Die kürzlich von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzesnovelle schließt die Lücken beim Insolvenzschutz nicht, warnt der Leiter des WSI, Dr. Hartmut Seifert. „In wesentlichen Punkten fällt der Gesetzentwurf sogar hinter den aktuellen Stand zurück.“

Arbeitszeitkonten sind in Deutschland weit verbreitet. In 72 Prozent aller Betriebe mit Betriebsrat werden sie eingesetzt, um eine flexible Verteilung der Arbeitsstunden zu organisieren. Überwiegend handelt es sich dabei um Kurzzeitkonten, wie die aktuelle WSI-Betriebsrätebefragung belegt. Die Untersuchung, bei der gut 2000 Betriebsräte interviewt werden, ist repräsentativ für alle Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten und Betriebsrat. Diese beschäftigen in Deutschland rund 12 Millionen Menschen.

Jeder zehnte Betrieb mit Betriebsrat hat jedoch auch Langzeitkonten, bei denen das Guthaben nicht innerhalb eines Jahres wieder ausgeglichen werden muss. Das erlaubt den Beschäftigten, Zeit anzusparen für längere Auszeiten – für ein Sabbatical, umfangreiche Weiterbildungen oder den vorzeitigen Ausstieg aus dem Erwerbsleben. Das Guthaben speist sich aus Mehrarbeit, in 42 Prozent der Betriebe können zudem Zeitguthaben von Kurzzeitkonten übertragen werden. In gut jedem fünften Betrieb können auch Sonderzulagen, die sonst in Geld ausgezahlt würden, in Zeitguthaben umgerechnet werden, in gut 15 Prozent der Betriebe gilt das auch für das Urlaubsgeld (Infografiken zu diesen Daten im Böckler Impuls 13/2008; Link am Fuß dieses Textes).

Der überwiegende Teil der Langzeitkonten ist nach Auskunft der befragten Betriebsräte im Insolvenzfall sicher. In einem Viertel der Betriebe mit Langzeitkonten müssen die Beschäftigten jedoch fürchten, dass die angesparten Guthaben verloren gehen, warnt Arbeitszeitforscher Hartmut Seifert. Dabei könne es sich um Beträge von etlichen tausend Euro handeln, auf den die Beschäftigten und im Zuge der nachgelagerten Besteuerung auch Fiskus und Sozialversicherungsträger Ansprüche haben.

Die Gesetzesnovelle, mit der die Bundesregierung die Arbeitszeitkonten besser schützen will, greift nach Seiferts Analyse zu kurz. Zwar schreibe der Gesetzentwurf den Unternehmen erstmals einen Nachweis für den Abschluss einer Insolvenzsicherung vor. Beim Geltungsbereich falle er jedoch weit hinter den Status quo zurück, so Seifert. Denn der Entwurf erfasse nur langfristig angelegte Kontenmodelle und schließe alle Guthaben aus, die vorrangig schwankenden Arbeitsbedarf ausgleichen sollen, erklärt der Wissenschaftler. „Der Gesetzgeber lässt weiter zu, dass Beschäftigte Einkommensverluste riskieren“, sagt Seifert. Dabei müssten Staat und Sozialversicherungsträger schon aus Eigeninteresse auf einer obligatorischen Insolvenzsicherung bestehen. Schließlich entgingen ihnen Steuern und Sozialabgaben, wenn die Arbeitnehmer ihre Guthaben verlieren. Außerdem profitierten die öffentlichen Kassen, wenn Zeitkonten einen schwankenden Arbeitsbedarf ausgleichen und damit Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit verhindern.

„Der verschlechterte Insolvenzschutz wird die weitere Ausbreitung von Arbeitszeitkonten bremsen“, prognostiziert der Arbeitsmarktforscher. Denn für Beschäftigte stünden Risiken und Chancen des Instruments so nach wie vor in einem Missverhältnis. Im Idealfall erhöhten die Konten zwar ihre Zeitsouveränität. Das gelinge aber nur, wenn die Beschäftigten selbst bestimmen können, wann sie mehr arbeiten und wann sie pausieren. Und auch der Anreiz vorzuarbeiten habe eine Kehrseite: „Um Zeitguthaben bilden zu können, muss zunächst länger gearbeitet werden – was höhere Belastungen bedeutet“, sagt Seifert. Werden gleichzeitig Schicht- oder Nachtarbeit geleistet, steige das Risiko gesundheitlicher Beeinträchtigungen. Frauen dürften angesichts der häufigen Doppelbelastung durch Beruf und Familie von Langzeitkonten nur wenig profitieren. Ihnen fehlt in aller Regel die Zeit, um Überstunden zu erarbeiten und Guthaben zu bilden.

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Rainer Jung idw

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