Mit Tempo 300 vom Rhein zum Main

Verkehr: Neubaustrecke Köln – Frankfurt kostete 6 Mrd. €

Eine Jungfernfahrt mit 300?km/h auf neuer Trasse. Am 25. Juli, mehr als drei Jahrzehnte nach den ersten Absichtserklärungen zum Bau einer Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen Köln und dem Rhein/Main-Gebiet, eröffnete die deutsche Bahn feierlich die Neubaustrecke. Am 1. August beginnt der öffentliche Probeverkehr, am 15. Dezember der volle fahrplanmäßige Betrieb.

Mit der Neubaustrecke Köln – Frankfurt/Main nehmen wir eins der größten Infrastrukturprojekte in der Geschichte der deutschen Eisenbahn in Betrieb“, jubelt die Deutsche Bahn. Auf diesen Tag hat sie wahrlich lange warten müssen: Im Oktober 1969 erhob der eben neu gewählte SPD-Bundeskanzler Willy Brandt das Projekt in seiner Regierungserklärung zum Programm. Die Verbindung gilt als die am stärksten belastete in Europa. Mit einer neuen, schnellen Direktverbindung zwischen Köln und Frankfurt sollte die Schiene im Wettbewerb gegenüber der Autobahn aufholen können.

Am 25. Juli gehörte zu den rund 800 Ehrengästen der ICE-Eröffnungsfahrt selbstverständlich auch viel Politikprominenz aus Bund und Ländern. Obwohl die Strecke vor allem gegen landespolitische Widerstände und Befindlichkeiten durchgesetzt werden musste, loben nun die Landesfürsten von Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Hessen einmütig das vollendete Werk. Schließlich ist es ihnen oder ihren Vorgängern zu verdanken, dass zumindest eine der künftigen ICE-Linien auf dem Weg nach Stuttgart eher einer Regionalbahn gleicht: mit Halt im Provinzstädtchen Montabaur, in Limburg Süd, Wiesbaden, Mainz, Worms, Mannheim und Heidelberg.

DB-Chef Hartmut Mehdorn sah einen Grund zum Feiern vor allem darin, dass die Reisenden zwischen Köln und Frankfurt künftig eine volle Stunde Fahrzeit sparen: „Ein wahres Geschenk!“ Was freilich nicht wörtlich zu nehmen ist, denn die „geschenkte“ Stunde lässt sich die Bahn gut bezahlen: mit 12 € Zuschlag und 2,60 d für die obligatorische Platzreservierung.

Ursprünglich sollte die Fahrtdauer unter einer Stunde bleiben. Dafür ist die Strecke als erste in Deutschland für Tempo 300 km/h trassiert. Die genauere Berechnung der Fahrpläne über die 177 km lange „Berg- und Talbahn“ durch Siebengebirge, Westerwald und Taunus ergab indessen, dass dieses Ziel nicht zu erreichen ist. Je nach Zahl der Zwischenstopps muss bis zu einer Viertelstunde mehr kalkuliert werden. Mehdorn mochte dennoch auf die glatte Stunde nicht verzichten und änderte kurzerhand die Bezugsgröße: Von Fahrtdauer in Zeitersparnis. In der Tat ist die neue Strecke zwischen den Hauptbahnhöfen und damit den Zentren beider Städte ziemlich genau eine Stunde schneller als der bisherige Weg über Mainz und am Rhein entlang.

Ab 1. August lässt sich das völlig neue Reiseerlebnis schon mal testen, allerdings zunächst nur alle zwei Stunden und lediglich im Shuttle-Verkehr zwischen Köln und Frankfurt. Ab 1. September will die Bahn zum Stundentakt übergehen, für den derzeit noch die Züge fehlen. Weil die neue Strecke entlang der Autobahn A3 – ebenfalls erstmals auf einer deutschen Hauptstrecke – Steigungen bis zu 40 ‰ aufweist, ist für sie ausschließlich der ICE der 3. Generation geeignet und zugelassen. Und davon gibt es noch zu wenige.

Bisher stehen der Deutschen Bahn lediglich 37 ICE-3-Züge mit dem Stromsystem 15 kV/16,7 Hz zur Verfügung, zu denen noch 13 hinzukommen, die zusätzlich für 25 kV/50 Hz (Frankreich), 1,5 kV Gleichspannung (Niederlande) und 3 kV (Belgien) elektrisch ausgerüstet sind. Für eine großzügige Nutzung der neuen Strecke reichen diese Züge bei weitem nicht aus, zumal der aus acht Wagen bestehende ICE 3 auch nach Verringerung der Sitzabstände in der 2. Klasse, Umwandlung eines 1.-Klasse-Wagens und eines Teils des Restaurants in 2. Klasse nur 454 Sitzplätze bietet.

Um die Kapazität der bisherigen Intercity-Züge mit nahezu doppelt so vielen Plätzen zu erreichen, müssten jeweils zwei ICE-3-Einheiten gekuppelt werden. Doch auch dafür fehlen großenteils die Züge. Immerhin hat die Bahn inzwischen 13 Einheiten nachbestellt, die 2004 einsatzbereit sein sollen.

Die Schnupper-Fahrgäste im Probeverkehr auf der neuen Strecke werden als erste auch des neuen – aus Sicht der DB deutlich besseren – Angebots an Speis´und Trank teilhaftig werden. Schon im Vorfeld gab es darum heftige Dispute. Als in der Öffentlichkeit von „Unzumutbarkeit“ gesprochen wurde, Reisende auf langen Strecken mit belegten Brötchen abzuspeisen, reagierte DB-Chef Mehdorn äußerst ungehalten: „Ich verstehe nicht, wie Leute sich anmaßen, über ein Konzept zu urteilen, das sie gar nicht kennen.“ Die Fahrgäste können auch in der 2. Klasse an ihrem Sitzplatz speisen, statt des Restaurants gibt es ein halb so großes Bistro. Ab 15. Dezember wird die neue Gastronomie in allen ICE 3 und ab 2003 nach und nach auch im übrigen Fernverkehr zum Zuge kommen.

Über zweierlei wird nun, da auf der neuen Strecke der Alltag einkehrt, nicht mehr groß geredet: über die Kosten und über die Bauzeit. Anfang der 70er Jahre waren 1,85 Mrd. € bzw. 3,62 Mrd. DM (Preisstand 1972) kalkuliert, in den drei Jahrzehnten seither wurde daraus rund 6 Mrd. €, einschließlich Teuerung. Und ursprünglich sollte die Strecke, schon damals entlang der Autobahn geplant, 1985 in Betrieb genommen werden. Bei der Einweihung am 25. Juli 2002 dürften sich daran wohl nur einige wenige erinnert haben.

ICE-Neubaustrecke Köln – Rhein/Main Strecke Köln – Frankfurt/Main 177 km
Gesamte Neubaulänge mit Abzweigungen und Anbindung Flughafen Köln/Bonn 219 km
alte Strecke über Mainz und Koblenz 222 km
Tunnel 30
Tunnel-Länge insgesamt 47 km
Tunnel-Anteil 21,5 %
längster Tunnel, „Schulwald-Tunnel“ 4500 m
Talbrücken 18
Talbrücken-Länge insgesamt 6 km
Talbrücken-Anteil 2,9 %
längste Brücke, „Hallerbachtalbrücke“ 992 m
Höchstgeschwindigkeit 300 km/h
Größte Längsneigung 40 ‰
Kleinster Kurvenradius 3350 m
Haltestellen: Köln Hbf Köln-Deutz/Messe, Siegburg/Bonn
Montabaur; Limburg Süd; Frankfurt/M-Flughafen Fernbahnhof, Frankfurt/M Hbf; Wiesbaden;
zusätzliche Anbindung: Flughafen Köln/Bonn ab 2004

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