Winzige Muskeln aus "Ruß"

Carbon-Nanotubes eröffnen der Mikrosystemtechnik neue Chancen

Die beiden Stuttgarter Fraunhofer Einrichtungen TEG (Technologie-Entwicklungsgruppe) und IGB (Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik) können erste Erfolge in der Entwicklung von Aktoren aus nanoskopisch kleinen Kohlenstoffröhrchen (Carbon Nanotubes) vorweisen. Diese winzigen Bewegungselemente können nun auf Basis der geleisteten Grundlagenforschung zur industriellen Anwendungsreife gebracht werden.

Schon heute sind Mikrosysteme, die elektronische, mechanische und optische Funktionen zusammenfassen, beispielsweise aus der Medizintechnik oder der Automobilindustrie nicht mehr weg zu denken. Eine wichtige Rolle spielen dabei so genannte Mikroaktoren. Sie verleihen einem System die Möglichkeit zu reagieren, Kräfte aufzubringen und Bewegungen auszuführen. Dipl.-Ing. Ivica Kolaric, Gruppenleiter der Fraunhofer TEG in der Abteilung Produktentwicklung, erklärt: „Mikroaktoren, die auch als künstliche Muskeln bezeichnet werden, müssen allerdings bestimmte Kriterien erfüllen. Neben dem Verzicht auf komplexe und kostenintensive Mechanik ist z.B. der geringe Energieverbrauch von entscheidender Bedeutung.“

Anwendungsgebiete für neuartige Mikroaktoren aus Carbon Nanotubes gäbe es mehr als genug – sie könnten überall dort eingesetzt werden, wo Aktionen oder Reaktionen auf kleinstem Raum gefordert sind. Ein Paradebeispiel hierfür ist die minimalinvasive Medizintechnik. Weltweit arbeiten Forscher und Entwickler an immer ausgefeilteren Lösungen, angefangen bei der Verbesserung vorhandener medizinischer Instrumente bis hin zu autarken Minirobotern.

Alle Ansätze in der Mikrosystemtechnik haben eines gemeinsam: sie sind auf Miniaturisierung und möglichst schon eingebaute „Intelligenz“ angewiesen. Des öfteren findet man deshalb in der industriellen Anwendung Piezomaterialien als Aktoren im Einsatz. Diese werden beispielsweise zur Mikropositionierung erfolgreich eingesetzt. Beim Anlegen eines elektrischen Feldes tritt dabei der so genannte piezoelektrische Effekt auf, der durch eine Geometrieänderung messbare Aktuation erzeugt. Der große Nachteil dieses Materials besteht in der geringen Längenausdehnung pro angelegter Feldstärke. Kristalline Piezostoffe dehnen sich lediglich um maximal 0,1 Prozent aus. Zum Erreichen der erforderlichen Feldstärken sind jedoch Spannungen bis in den Kilo-Volt-Bereich erforderlich.

Carbon Nanotubes führen mechanische Arbeiten aus

Viel effizienter arbeitet da der neue Aktortyp, der von der Fraunhofer TEG entwickelt wird und auf winzigen Kohlenstoff-Nanoröhrchen, den Carbon Nanotubes, basiert. Wie natürliche Muskeln und Muskelfasern bestehen die Impulsgeber für die neuen Aktoren aus Milliarden von einzelnen, nur Nanometer kleinen röhrchenförmigen Molekülen, die mechanische Arbeit ausführen können. Der Vorteil gegenüber anderen Systemen liegt darin, dass sich CNT in Längsrichtung viel stärker ausdehnen. Der direkte Vergleich mit piezokeramischen Aktoren zeigt: Die Kohlenstoff-Nanoröhrchen schaffen eine Ausdehnung, die etwa um den Faktor 30 größer ist. Dies gelingt ihnen bei einer Versorgungsspannung, die lediglich im einstelligen Volt-Bereich liegt.

Ein wesentlicher Unterschied der CNT-Aktoren zu biologischen Muskeln ist natürlich das Basismaterial der Fasern: Sie bestehen aus reinem Kohlenstoff. Und dieses Material verfügt über faszinierende Eigenschaften. So beeinflusst beispielsweise die molekulare Gitterstruktur die Härte des Werkstoffes drastisch, wie der Vergleich von Diamant und Graphit verdeutlicht. Carbon Nanotubes stellen nun eine weitere Form des Kohlenstoffes mit wiederum völlig neuartigen Materialeigenschaften dar. Für den angestrebten Anwendungsbereich ist der elektrostriktive Effekt besonders hervorzuheben; er ermöglicht erst die Entwicklung von Mikroaktoren.

In der Praxis sieht das so aus: Legt man an die Nanotubes eine elektrische Spannung von wenigen Volt an, so erhält man wie beim natürlichen Muskel eine Änderung der Ausdehnung. Dieser Effekt wird für den Bau der neuartigen Aktoren ausgenutzt. Vorteilhaft ist dabei auch die hohe mechanische Festigkeit der Fasern.

Bucky Paper „bändigen“ – Carbon Nanotubes

Den großen Vorteilen der CNT stehen allerdings auch Schwierigkeiten gegenüber, die gerade in der Winzigkeit der Kohlenstoffröhrchen begründet sind. Denn diese Winzlinge in eine „vernünftige“ Größe zu bringen, um mit ihnen ergebnisorientiert arbeiten zu können, bleibt eine der größten Herausforderungen auf diesem Gebiet. Die Stuttgarter Fraunhofer-Entwickler greifen hier zu einem bewährten „Trick“. Um Carbon Nanotubes in eine handhabbare Größe zu bekommen, werden sie in einem der Papierherstellung vergleichbaren Sedimentationsverfahren abgeschieden. Das Ergebnis sind die sogenannten Carbon Nanotube Sheets, die auch unter dem geläufigeren Namen Bucky Paper bekannt sind: Ein papierähnlicher Bogen, der aus einer zufälligen Anordnung vieler Schichten Nanotubes aufgebaut ist. Die Eigenschaften dieses „Papiers“ wurden nun erstmals untersucht, standardisiert und als Antriebsmaterial für Aktoren eingesetzt.

Als erstes anwendungsreifes Praxisbeispiel haben die Wissenschaftler einen Lichtleitfaserpositionierer entwickelt. Hinter diesem etwas sperrigen Begriff verbirgt sich nichts anderes als ein mikrotechnischer Schalter, der ideal in der optischen Kommunikationstechnik eingesetzt werden kann. Prinzipiell funktioniert der Lichtleitfaserpositionierer folgendermaßen: Das Ende eines Lichtwellenleiters (LWL) wird an ein über Bucky Paper angetriebenes Aktormodul gekoppelt. Legt man an das Bucky Paper, also an die Milliarden von Kohlestoffröhrchen, eine elektrische Spannung an, wird der LWL aus seiner ursprünglichen koaxialen Lage zum gegenüberliegenden LWL-Ende abgelenkt. Auf diese einfache Weise kann ein wirkungsvoller Schalter aufgebaut werden, der in der Übertragungstechnik bald seinen Einsatz finden kann.

Winzige Carbonröhrchen könnten bald „Kommandofunktion“ besitzen

Die Aus-/Ein-Funktion des Lichtleitfaser-Experiments kennen wir aus der Elektrotechnik von jedem Stromschalter und aus elektronischer Sicht von jedem Mikrochip: Ohne diese Digitalisierung wäre unsere heutige Welt nicht denkbar, da durch sie ja erst jegliche hochkomplexe Steuerungstechnik möglich wird. Und ebenso wie die Miniwelt der Elektronik heutzutage riesige Maschinen beherrscht, könnte die Nanowelt der Kohlenstoffröhrchen künftig die Mikro-Systemtechnik steuern. Durch die besonderen Eigenschaften und den kostengünstigen Rohstoff sieht Fraunhofer-Entwicklungsspezialist Kolaric für das neue Aktorprinzip ein weites Anwendungsfeld „zum Beispiel in der Luft- und Raumfahrttechnik, der Feinwerktechnik, der Robotik und Automatisierung sowie der Automobilindustrie und der Medizintechnik.“

Deshalb haben die Stuttgarter Fraunhofer TEG und das Fraunhofer IGB ein Kompetenzzentrum für CNT-Aktoren gegründet. Zur Zeit entwickeln die Fraunhofer-Experten gemeinsam mit Leitkunden industrienahe Applikationen. Sie sind aber jederzeit für weiteren Input oder innovative Produktideen aus der Industrie offen. Denn, so Dipl.-Ing. Ivica Kolaric: „Es wäre schade, wenn Deutschland seine hervorragende Technologiebasis auf diesem Gebiet nicht zu einem Marktvorsprung für die kommenden Jahrzehnte nutzen würde.“

Media Contact

Ivica Kolaric Fraunhofer

Weitere Informationen:

http://www.teg.fraunhofer.de

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