Wissenschaftsforum Chemie 2009: Mit Chemie sicher leben – geht das?

Die GDCh-Fachgruppe Umweltchemie und Ökotoxikologie und ihr Arbeitskreis Atmosphärenchemie interessieren sich für Bildungsprozesse und Wirkungen von Feinstäuben. Der Themen Energie, Nachhaltigkeit und Rohstoffwandel haben sich viele GDCh-Fachgruppen angenommen. Open Access, Open Knowledge, Open Notebook sind wichtige Themen für die Fachgruppe Chemie-Information-Computer, und über die Arbeitswelt in Bewegung diskutieren in Frankfurt der Arbeitskreis Chancengleichheit in der Chemie, die Vereinigung für Chemie und Wirtschaft und das Jungchemikerforum, alles Sektionen der GDCh.

Beim Programmpunkt Feinstaub befassen sich die Vortragenden vor allem mit der chemischen Zusammensetzung von atmosphärischen Aerosolen. Diese können natürlichen Ursprungs sein (z.B. Meersalzaerosole, Saharastaub) oder vom Menschen eingetragen werden (z.B. durch Verbrennungsprozesse). Sie können für andere Stoffe ein Transport- oder Reaktionsmedium darstellen.

Stellt das Einatmen von Feinstäuben und technisch erzeugten Nanopartikeln, die immer größere Verbreitung in Produkten des täglichen Lebens oder in der Medizin finden, ein Gesundheitsrisiko dar? Nanopartikel können offensichtlich durch Körpermembranen gelangen und sich in Körpergeweben anreichern. Das belegen zumindest quantitative biokinetische Studien an Ratten, bei denen sich Nanopartikel aus Kohlenstoff (Ruß), Gold, Titandioxid und Iridium in sehr geringen Mengen im Gehirn, Herzen und sogar in Föten wiederfinden lassen. Bei diesen Vorgängen sind offenbar Partikelgröße und Oberflächenbeschaffenheit bedeutsam. Chronische Wirkungen von Rußpartikeln, die in der öffentlichen Feinstaub- und Umweltdiskussion dominieren, auf das Atmungs- und das Herz-Kreislauf-System sind epidemiologisch nachgewiesen.

Auf molekularer oder nanoskaliger Ebene definierte Strukturen stehen auch im Zentrum der Katalyseforschung, mit der man in der Chemie nachhaltige Entwicklungen voranbringen und so Ressourcen schonen und Energie sparen möchte. Neue Katalysatoren, beispielsweise auf Basis Rhodium oder Palladium, werden auch im Zusammenhang mit der Umwandlung biogener Rohstoffe in Wertstoffe erforscht. Einen wesentlichen Anteil an einem erfolgreichen Reaktionsverlauf hat dabei auch das Lösungsmittel, da es die Katalysatoren und Reaktionswege auf molekularer Ebene direkt beeinflussen kann. Neue Ansätze bieten hier „advanced fluids“, zu denen u.a. überkritisches Kohlendioxid, ionische Flüssigkeiten und flüssige Polymere wie Polyethylenglykol zählen.

Biogene Rohstoffe, also vorwiegend nachwachsende Rohstoffe, haben eine lange Tradition in der Chemie, beispielsweise als Basis für Kosmetika oder Waschmittelinhaltsstoffe. Für den größten Teil der Produkte der chemischen Industrie war bis etwa 1950 die Kohle der Basisrohstoff, danach und bis heute das Erdöl. Ressourcenverknappung, Klimaveränderungen, das Bevölkerungswachstum und der Nachhaltigkeitsgedanke haben das Interesse an nachwachsenden Rohstoffen neu geweckt. Während es zur Lösung der Energiefrage weitere Alternativen als die Biomassenutzung gibt, wird die chemische Industrie weiterhin kohlenstoffhaltige Verbindungen als Grundlage ihrer Wertschöfung verwenden müssen. Doch was wird beim Übergang auf nachwachsende Rohstoffe an neuen Verfahren erforderlich sein? Für die Nutzung nachwachsender Rohstoffe wie Stärke, Zucker, Fette und Öle besteht schon ein gewisses Know-how, das sich durch Forschung ausbauen lässt. Die Chemie mit diesen Rohstoffen lässt sich zudem vielfach mit der Erdöl basierten Chemie verknüpfen. Größere Herausforderungen, sprich neue chemische und biotechnologische Synthesestrategien und Herstellungsprozesse, gilt es zu meistern, will man die Lignocellulose mit ihren Hauptbestandteilen Cellulose, Hemicellulose und Lignin chemisch nutzen. Lignocellulose ist der Grundbestandteil von Holz und dem Stützmaterial der Pflanzen und steht damit nicht in Konkurrenz mit der Verwendung von Feldfrüchten für den Nahrungsmittelsektor.

Auch zur Lösung der Energiefrage arbeiten Chemiker auf dem Gebiet der Biomassenutzung, aber hier spielt ebenso die Materialforschung eine wichtige Rolle, beispielsweise in der Batterie-Forschung, die den Schlüssel zur Elektromobilität bereitstellen soll. Hier werden gegenwärtig die Potenziale der Lithium-Ionen-Technologie ausgelotet. Als Problem hat sich herausgestellt, die Chemie und das Design kleiner Zellen, die in portablen elektronischen Anwendungen gute Ergebnisse zeigen, auf große Zellen zu übertragen, die Zellen also einfach größer zu machen. Es müssen vielmehr auch neue Batteriematerialien gewählt werden.

Elektromobilität braucht Batterien, die länger als zehn Jahre halten, über einen weiten Temperaturbereich und sicher arbeiten. Darüber hinaus müssen hohe Zellspannungen und hohe Energie- und Leistungsdichten erzielt werden. In Frankfurt wird die Frage diskutiert, ob die Lithium-Ionen-Batterie nur eine evolutionäre Zwischenstufe in der Entwicklung von Hochenergie- und Hochleistungsbatterien für die Elektromobilität ist. Die Materialchemie wird hierauf in den nächsten Jahren Antworten finden.

Die Tagungsteilnehmer können sich auch über den schnellen wissenschaftlichen Informationsaustausch, den das Internet ermöglicht, und die Frage, was dieser zur Folge hat, informieren und austauschen. „Science in the open“, dieser Titel eines Vortrags, könnte über dem gesamten Symposium „Open Drug Discovery and Open Netbook Science“ stehen.

Traditionell findet die medizinische, pharmazeutische und chemische Forschung hinter verschlossenen Türen statt. Die dabei gewonnenen Ergebnisse stehen in der Regel nur in Form von Publikationen als aufgearbeiteter Auszug anderen Wissenschaftlern zur Verfügung. In letzter Zeit kann jedoch ein wachsendes Interesse an freien Zugang und schnellen, Internet-basierten Austausch von vollständigen Versuchsdokumentationen und Primärdaten beobachtet werden. Diese Entwicklung hat besonders durch die Aktivitäten innerhalb der Roadmap der amerikanischen National Institutes of Health, bei denen Hunderttausende von Strukturen und biologischen Assaydaten frei verfügbar gemacht werden, eine neue Dimension in dieser als Open Notebook Science bezeichneten Vorgehensweise eröffnet. Die Vorteile: Im Vergleich zu traditionellen Publikationen eröffnet der Zugriff auf experimentelle Rohdaten vollkommen neue Möglichkeiten der Weiterverwendung. So kann beispielsweise die wissenschaftliche Gemeinde auch auf nicht-publizierte und misslungene Experimentalldaten zugreifen, was ein deutlich vollständigeres Bild des Forschungsfeldes erlaubt und zudem auch Kosten senken kann. Der schnelle Austausch von Daten und die damit verbundene bessere weltweite Zusammenarbeit kann somit die Forschung insgesamt schneller voranbringen, was auch im politischen und öffentlichen Interesse ist. Die Nachteile: Nicht immer halten Ergebnisse einer wissenschaftlichen Prüfung stand, und falsche Ergebnisse können auch schnell falsche Reaktionen in der Öffentlichkeit auslösen. Darüber hinaus ist der Open Notebook Science-Ansatz für die industrielle Forschung aus patentrechtlichen und wirtschaftlichen Gründen sehr heikel. Das Für und Wider sowie existierende Lösungsansätze werden in Frankfurt anhand der Wirkstoffforschung mit Sprechern aus England, Schweden und Deutschland diskutiert.

Die Arbeitswelt der Chemiker ist nicht nur wegen Open Access und Open Science in Bewegung geraten. In vielen anderen beruflichen (und privaten) Bereichen ändert sich derzeit einiges. Auf diese Veränderungen müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber reagieren. Speziell stellt sich bei den Chemikern die Frage, ob der Wechsel von Hochschule oder Forschungsinstitut in die Industrie – und vor allem umgekehrt – genügend einfach bewerkstelligt werden kann. Auf der Podiumsdiskussion „Arbeitswelt in Bewegung“ anlässlich des Wissenschaftsforums werden aber auch die nötigen politischen Bemühungen um einen attraktiven Arbeitsmarkt und die persönlichen Bemühungen für eine Karriere, beispielsweise lebenslange Weiterbildung, diskutiert.

Die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) gehört mit über 28.000 Mitgliedern zu den größten chemiewissenschaftlichen Gesellschaften weltweit. Alle zwei Jahre veranstaltet sie an wechselnden Orten in Deutschland das Wissenschaftsforum, in diesem Jahr mit 245 Vorträgen. Zu den Höhepunkten zählen Preisverleihungen und Plenarvorträge. Die finanzielle Unterstützung durch Unternehmen der chemischen Industrie – in diesem Jahr neben dem Hauptsponsor BASF SE auch die Bayer AG, die Merck KGaA, die Sanofi Aventis Deutschland GmbH und die Wacker AG – und durch Verlage wie Thieme und Wiley-VCH trägt wesentlich zum Gelingen der Tagung bei.

Media Contact

Dr. Renate Hoer idw

Weitere Informationen:

http://www.gdch.de

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