Stahl fliegt am 24. Juli in Bremen

Die Nachrichtenlage ist schlecht. Es gibt nur Andeutungen und das, was „aus gut informierten Kreisen“ zu vernehmen ist. Wirklich klar ist nur: Am 24. Juli zwischen 9 und 13 Uhr werden 70 hoffnungsvolle Nachwuchserfinder aus ganz Deutschland 17 nicht näher beschriebene Geräte unter dem Hallendach des AWD-Dome Bremen kreisen lassen – beim „Bundeswettbewerb Stahl fliegt 2009“. Ausgerichtet wird diese mysteriöse Zusammenkunft vom Fachbereich Produktionstechnik der Universität Bremen.

Wie üblich auf UFO-Fotos: Es ist nichts Verwertbares zu erkennen. Doch es sind ein paar Informationen zu den Details der noch unbekannten Flugobjekte durchgesickert. Maximal 400 Gramm wiegen sie und bestehen ausschließlich aus Stahl oder metallischen Werkstoffen mit einem Eisenanteil von mindestens 70 Prozent. Nur zum Fügen der Bauteile wurden Kunststoffe in Form von Klebstoff benutzt. Die Objekte fliegen ohne Treibstoff und sind ohne Fernsteuerung unterwegs. Auch zur Größe gibt es Anhaltspunkte: Jedes der UFOs passt in einen Würfel mit einer Kantenlänge von einem Meter.

Nun geht es hier nicht um die Raumfähren von Besuchern aus fremden Welten, sondern ganz irdisch und praktisch um die Arbeiten von Studierenden aus sechs Hochschulen und einen abschließenden Leichtbau-Wettbewerb. Drei Monate lang haben sie nach festen Vorgaben für Materialien und Maße entwickelt und gebaut, und dabei zumeist Stahlfolien, dünne Bleche, Röhrchen und Drähte verarbeitet. Vollkommen frei hingegen waren die Formen und Funktionsweisen. In der Kreativität waren den Studierenden keine Grenzen gesetzt. Einziges Ziel ist hier: Die Objekte sollen fliegen können, und das möglichst lange.

„Um sich erfolgreich im Wettkampf zu behaupten, zählt nicht nur die Flugdauer. In die Bewertung fließen auch Faktoren wie der innovative Lösungsansatz und die Qualität der Dokumentation ein“, erklärt Dipl.-Ing. Heiko Schulte. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Labor für Mikrozerspanung (LFM) an der Stiftung Institut für Werkstofftechnik (IWT) an der Universität Bremen und organisiert die Veranstaltung. „Die Kreativität bei der Beschaffung und Verarbeitung der Materialien wird ebenso berücksichtigt wie die Projektplanung und die Teamarbeit, die Idee selbst und ihre Umsetzung.“

Auch in der heißen Phase vor der Produkt-Präsentation noch überall Geheimniskrämerei

An dem Wettbewerb beteiligen sich neben dem Initiator Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen auch die Technische Universität Darmstadt sowie die Universitäten Dortmund, Kassel, Bremen und die des Saarlandes. Gefördert wird er von der Forschungsvereinigung Stahlanwendung e. V. (FOSTA). Jede Hochschule hat 40 Minuten Zeit für ihre Wertungsflüge. Eine Siegerehrung gibt es an dem Tag noch nicht, denn die Auswertung der Flüge und Beurteilung der Konstruktionen brauchen Zeit. Dennoch ist die Flugdauer für die künftigen Maschinenbauer, Wirtschaftsingenieure sowie Produktions- und Verfahrenstechniker höchst spannend. In Bremen können sie neue Maßstäbe setzen, denn um Einflüsse wie zum Beispiel durch Wind oder Thermik auszuschließen, findet der seit 2001 durchgeführte Wettbewerb erstmals im Saal statt, also nun unter ganz neuen Rahmenbedingungen. Von der Tribüne im AWD-Dome werden die Flieger von Hand geworfen. „Sie ist rund neun Meter hoch, und hinzu kommt jeweils die Körpergröße – also in knapp 11 Metern Höhe beginnen die Flüge“, rechnet Schulte vor.

Was dort jedoch seine Flugtauglichkeit unter Beweis stellen wird, bleibt weiterhin unklar. Hinter verborgenen Türen wird noch immer gebastelt und getüftelt; man ist in der heißen Endphase vor der Produktpräsentation. Dipl.-Ing. Kai W. Gerhardt kennt zwar alle drei Aachener Flugobjekte, die an dem Wettbewerb teilnehmen, aber des Geheimnisverrates möchte er sich nicht schuldig machen. Der Forscher und „Stahl fliegt“-Betreuer verspricht gute Ideen und empfiehlt, sich einfach überraschen zu lassen. Nicht ganz so verhalten gibt sich Dipl.-Ing. Michaela Müller von der Universität des Saarlandes.

Die Werkstoffwissenschaftlerin kümmert sich um die dortigen zwei „Stahl fliegt“-Projekte mit insgesamt sieben Studierenden. „Sie kommen aus der ganzen Welt, und sie sind die Aufgabe sehr kreativ und hochmotiviert angegangen“, erzählt sie. „Aus reiner Eigeninitiative beteiligen sie sich an dem Wettbewerb, denn für niemanden zählt die Teilnahme an dem Lehrprojekt zum Pflichtprogramm im Studium. Die Gruppen bringen auch kaum oder gar keine Vorkenntnisse im Maschinenbau mit.“ Ein Physiker sei zum Beispiel dabei und die anderen kämen aus der Werkstoffwissenschaft. Das lässt auf spannende Kreationen hoffen. Eine Gruppe gehe mit der „klassischen Variante Saalflieger“ an den Start, die andere habe sich bei ihrem Modell „von der Natur inspirieren lassen“, sagt Müller. Mehr ist von ihr dann auch nicht zu erfahren, aber letztlich plaudert doch noch jemand.

Erk Struwe gehört einem der drei Uni Bremen-Teams an. Offen berichtet der angehende Wirtschaftsingenieur vom Konzept und den Bauteilen, vom Gummibandantrieb sowie den Höhen- und Seitenleitwerken, von Gewicht und Flugzeiten … erstaunlich, wie freimütig er die vielen Interna preisgibt. „Aber das war unser erster Flieger“, klärt er dann auf. Beim letzten Testflug in der Uni-Halle hat es das Objekt dahingerafft: Totalschaden nach Absturz. Dieses tragische Ereignis barg auch eine Chance. Das Team dachte noch einmal ganz neu nach, änderte sein komplettes Konzept und baute sein nächstes Fluggerät. Es komme ohne Propeller und Leitwerke aus, sagt Struwe, und dann hüllt auch er sich in Schweigen. Eigentlich sei damit ja auch schon recht viel verraten, sagt er schmunzelnd. Eine Prognose über eine mögliche Platzierung gebe er nicht ab, meint er noch, aber er rechne mit einem kleinen Wettbewerbsvorteil durch eine optimale Starthöhe: Mit seinen 1,93 Metern sei er der Kleinste in seiner Gruppe.

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