Rückblick Treffpunkt WissensWerte: Denkhilfen – Chancen der Hirnforschung für die Behandlung von Krankheiten

Ein echtes Wunder. Denn nach welchen Regeln das Gehirn arbeitet, verstehen wir nicht mal in Ansätzen. Und doch lassen sich zum Beispiel schon heute mit Kraft der Gedanken Roboterarme steuern. Auf welchem Stand die Hirnforschung ist und was in Zukunft möglich sein wird, darüber diskutierten Forscher und Experten auf dem 39. Treffpunkt WissensWerte. Den Mitschnitt der Veranstaltung sendet Inforadio (rbb) am Sonntag, 05.10.2008, um 09:22 Uhr.

Ein Glas Wasser, das auf einem Tisch steht, mit der Hand greifen, zum Mund führen und daraus trinken – was für einen normalen Menschen alltäglich ist, ist für jemanden mit einer hohen Querschnittslähmung allein unmöglich. Diesen Menschen zu helfen, daran arbeiten derzeit Forscher weltweit. Grundlage ist, dass es allein schon ausreicht, sich eine Handlung vorzustellen, um messbare Hirnimpulse auszulösen, die dann wiederum auf eine Prothese übertragen werden können.

Brain-Computer-Interfaces: Mit Kraft der Gedanken steuern

„Der berühmte Astrophysiker Stephen Hawking leidet an einer Muskelerkrankung, trotzdem ist er ein hervorragender Denker“, führt Prof. Gabriel Curio als Beispiel an. Curio ist Leitender Oberarzt der Klinik für Neurologie und Klinische Neurophysiologie an der Charité und beschäftigt sich mit Brain-Computer-Interfaces (BCI), zu Deutsch: Gehirn-Computer-Schnittstellen. Diese Technik kann Menschen mit schweren motorischen Störungen das Leben erleichtern, sagt Curio.

Dafür wird die Elektroenzephalografie, kurz EEG genutzt, die die elektrische Aktivität von Nervenzellverbänden misst. Probanden ziehen dazu eine Kappe über den Kopf, an der an verschiedenen Stellen kleine Sensoren angebracht sind. „Der Proband muss dann eine bestimmte Bewegung wollen. Allein das Wollen löst eine Aktivierung bestimmter Hirn-Areale aus. Und diese Signale kann man herausfiltern und zur Steuerung eines Cursors oder eines Rollstuhls nutzen“, erklärt Curio. Eine nichtinvasive Technik, d.h. ohne ins Gehirn einzugreifen. Aber: Die Messung auf der Kopfhaut ist nur bedingt genau, denn die Schädeldecke dämpft die Impulse ab.

Haarfeine Elektroden ins Gehirn einpflanzen

Deshalb wird parallel an Neurochips geforscht, die die elektrischen Impulse direkt im Gehirn abgreifen. „Dazu werden Hunderte von Mikroelektroden implantiert, die die Aktivität einzelner Neuronen zum Beispiel an einen Roboterarm weiterleiten“, sagt Curio. „Der Vorteil: Damit lässt sich nicht nur eine Rechts- oder Linksbewegung ausführen, sondern man kann auch dreidimensionale Armbewegungen machen.“

Dass das geht, ist bereits in Tierversuchen bewiesen worden. Der Preis dafür, führt Curio weiter, ist allerdings das Risiko eines invasiven Eingriffs. Infektionen, Blutungen oder Narben an der Hirnrinde könnten auftreten. „Hier muss man Risiko und Nutzen ausbalancieren und vor allem die Patienten aufklären, denn letztendlich müssen sie über die für sie geeignete Technologie entscheiden“, so Curio.

Blick ins Gehirn mit bildgebenden Verfahren

Die Hirnforschung hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen enormen Aufschwung erlebt. Dazu haben auch ganz besonders bildgebende Verfahren beigetragen, die einen Blick ins Gehirn erlauben. Zum Beispiel die Positronen-Emissions-Tomografie (PET), die die Stoffwechselaktivität von Organen, zum Beispiel des Gehirns zeigen. Dazu werden dem Patienten vor der Untersuchung bestimmte Stoffe, so genannte Tracer injiziert, die sich an besonders aktiven Stellen im Gehirn anreichern.

Alzheimer sichtbar machen

Genau dieses Verfahren haben Forscher um Dr. Ludger Dinkelborg genutzt, um Alzheimer frühzeitig sichtbar zu machen. Dinkelborg ist Leiter der Forschung Diagnostische Bildgebung der Bayer Schering Pharma AG in Berlin. Weltweit leiden schätzungsweise 24 Millionen Menschen an einer Demenz-Erkrankung. Alle 20 Jahre verdoppelt sich diese Zahl, so dass 2040 voraussichtlich 80 Millionen Menschen an Demenz leiden werden. Etwa 50 bis 75 Prozent aller Fälle wird durch Alzheimer hervorgerufen. Bislang kann man die Krankheit nur an bestimmten Symptomen erkennen, wie zum Beispiel Gedächtnisverlust. Doch dann sind meist bestimmte Areale im Gehirn schon unwiederbringlich geschädigt.

Dabei beginnt sich das Gehirn schon Jahre vorher zu verändern. Das können Pathologen schon heute beweisen, allerdings nur anhand von Hirnen toter Patienten. Dinkelborg hat zusammen mit seinen Kollegen nun eine Möglichkeit gefunden, Alzheimer bei lebenden Patienten nachzuweisen, noch bevor die ersten Symptome zu erkennen sind. „Und zwar durch molekulare Diagnostik“, sagt Dinkelborg. „Wir haben eine Substanz mit Zuckermolekülen entwickelt, die wir dem Patienten injizieren. Durch die Blutbahn erreicht die Substanz das Gehirn und lagert sich an genau den Eiweißen ab, die zu Alzheimer führen.“

Lila zeigt gesundes Gehirn, gelb Alzheimer

Um diese Regionen auch von außen sichtbar zu machen, wurde die Substanz mit radioaktivem Fluor verknüpft. Das Fluor zerfällt nach kurzer Zeit und genau das kann man mit Hilfe der PET sehen. Zeigt die Aufnahme lila Zonen, ist das Gehirn gesund, sind dagegen gelbe Areale zu sehen, liegt Alzheimer vor.

Das Verfahren ist ein Meilenstein in der Therapie von Alzheimer. Denn damit lässt sich die Krankheit schon in einem sehr frühen Stadium nachweisen. Noch ist der Stoff allerdings in der klinischen Erprobung. „Heilen wird man Alzheimer aber wahrscheinlich nie können“, räumt Prof. Isabella Heuser ein. Heuser ist Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité. „Wahrscheinlich wird sich die Krankheit nur verzögern lassen. Aber die Hoffnung ist, dass man sie gut managen kann, wenn man Alzheimer frühzeitig entdeckt.“

Power-Pillen fürs Gehirn

Doch nicht nur der Therapie von Krankheiten hat die Hirnforschung in den letzten Jahren Vorschub geleistet, sondern auch Gesunde „dopen“ sich mittlerweile mit Medikamenten. „Neuroenhancer heißen diese Substanzen“, erklärt Heuser. Damit sind Substanzen gemeint, die eigentlich für die Behandlung von Kranken gedacht sind, aber die von Gesunden eingenommen werden, um zum Beispiel die Konzentration zu verbessern oder lockerer zu werden.“

Fast jeder von uns nimmt solche Substanzen fast täglich zu sich, führt Heuser weiter aus. „Alkohol, Zigaretten, Kaffee, schwarzer Tee, Schokolade – das alles sind Neuroenhancer, weil wir sie einnehmen, um uns besser zu fühlen.“ Aber in den letzten Jahren ist ein regelrechter außermedizinischer Markt um Psychopharmaka entstanden, die eigentlich für Patienten mit Demenzerkrankungen, Depressionen, Aufmerksamkeitsstörungen oder Narkolepsie gedacht sind. Besonders gefährdete Berufsgruppen sind Journalisten, Ärzte, Berufsmusiker, Schicht-Arbeiter, aber auch Studenten.

Gedächtnisleitung verbessern, Schlafbedürfnis reduzieren

„Es ist bekannt, dass Studenten vor Prüfungen Neuroenhancer, zum Beispiel Ritalin einnehmen. Ein Medikament, das eigentlich zur Bekämpfung des Aufmerksamkeitsdefizit-Syndroms ADS entwickelt wurde. Vor allem Jura- und Medizinstudenten, die in sehr kurzer Zeit sehr viel Stoff lernen müssen, dopen sich damit, weil das tatsächlich dazu führt, dass sie sich länger konzentrieren können“, sagt Heuser. „Auch Modafinil wird gern genommen. Eigentlich ist das Mittel für Narkolepsie-Patienten gedacht, die in monotonen Situationen plötzlich einschlafen. Modafinil wurde aber auch von Profi-Radsportlern dazu benutzt, um die Müdigkeit zu überwinden.“ Heute gehört das Mittel zu den verbotenen Dopingsubstanzen.

Generell sind die meisten Mittel verschreibungspflichtig oder fallen gar unter das Betäubungsmittelgesetz. Doch auch die Militärforschung beschäftigt sich mit dem Einsatz von Neuroenhancern. „Es ist bekannt, dass die Einnahme von Amphetaminen bei Soldaten zu einer Leistungssteigerung führt. Auch eine Untersuchung in einem Flugsimulator hat gezeigt, dass ein Mittel gegen Alzheimer bei Piloten zu einer besseren Reaktionszeit geführt hat“, führt Prof. Isabella Heuser weiter an.

Experten raten von Neuroenhancern ab

Doch sind die Powerpillen gut fürs Gehirn? Experten raten vom Gebrauch ab, denn die Risiken der Neuroenhancer sind nicht unerheblich und noch nicht bis ins Detail bekannt. Auch die Langzeitfolgen bei Dauereinnahme sind noch nicht erforscht. Und: jedes Mittel hat zudem Nebenwirkungen: Manche Substanzen machen depressiv, manche dämpfen die Lust auf Sex, manche machen abhängig. Skepsis und Vorsicht sind also angebracht.

Für Pharmafirmen sind die Neuroenhancer allerdings ein Riesenmarkt. „Es wird weiter geforscht werden, wie wir unsere Denkfähigkeiten verbessern können“, da ist sich Heuser sicher. „Aber so wie es eine Gesundheitsdebatte gegeben hat, muss es auch eine Gehirndebatte geben“, fordert Prof. Curio. „Um Missbrauch von Methoden und Medikamenten zu verhindern.“ Aber auch, um die Kostenfrage zu klären, wann bezahlt die Krankenkasse, wann muss der Patient selber aufkommen, so Heuser. „Und zum Beispiel auch, um bei Demenz zu definieren, was ist altersnormal und was nicht, wann muss man Einfluss nehmen, wann nicht. Hier muss ganz klar bald eine gesellschaftliche Debatte um die Hirnforschung in Gang gebracht werden.“

Kristin Krüger

Podiumsgäste

· Prof. Dr. Isabella Heuser, Direktorin der Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie Campus Benjamin Franklin, Charité – Universitätsmedizin Berlin

http://www.charite-psychiatrie.de/main/home.html

· Prof. Dr. Gabriel Curio, Leiter der Arbeitsgruppe Neurophysik, Leitender Oberarzt der Klinik für Neurologie und Klinische Neurophysiologie Campus Benjamin Franklin, Charité – Universitätsmedizin Berlin

http://neurologie.med-network.de/index.html

· Dr. Ludger Dinkelborg, Leiter der Forschung Diagnostische Bildgebung der Bayer Schering Pharma AG

http://www.bayerscheringpharma.de/scripts/pages/de/index.php

Moderation
Thomas Prinzler, Wissenschaftsredaktion Inforadio (rbb)
http://www.inforadio.de
Der Treffpunkt WissensWerte ist eine Veranstaltung der TSB Technologiestiftung Berlin, Inforadio (rbb) und der Technologie Stiftung Brandenburg in Kooperation mit dem Imaging Netzwerk Berlin. Sie wird mitgeschnitten und im Programm von Inforadio (rbb) 93,1 gesendet.

Links zum Thema

Allgemein

· Wikipedia: Neurowissenschaften
http://de.wikipedia.org/wiki/Neurobiologie
· Zeit Online: Wissen Kompakt. Eine kurze Geschichte der Hirnforschung
http://www.zeit.de/2008/15/OdE24-Gehirn-Stichworte
· Daimler-Benz-Stiftung: Gedankenfoscher. Was unser Gehirn über unsere Gedanken verrät

http://www.daimler-benz-stiftung.de/home/events/berlin/de/center.html

· Gehirn & Geist
http://www.gehirn-und-geist.de/
· Zeit Online: Hirnforschung. Alles so schön bunt hier
http://www.zeit.de/2007/34/M-Seele-Imaging
· Deutschlandfunk: Achtung Gedankenleser! Neurologen erkunden den Inhalt von Hirnströmen

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/624059/

· Scienxx: Neurochip verändert Gehirn. Hirnschrittmacher stärkt die Signale der Bewegungssteuerung

http://www.g-o.de/wissen-aktuell-5543-2006-10-25.html

Brain-Computer Interface

· Berlin Brain-Computer Interface: BBCI – eine Schnittstelle zwischen Gehirn und Computer

http://ida.first.fraunhofer.de/bbci/

· Sueddeutsche.de: Gliedmaßen-Ersatz. Gesteuert mit der Kraft der Gedanken
http://www.sueddeutsche.de/wissen/artikel/121/142806/
· Hamburger Abendblatt: Computer steuern nur mit Gedanken
http://www.abendblatt.de/daten/2007/05/15/740630.html
· Sueddeutsche.de: Hirnforschung. Mit der Kraft der Gedanken
http://www.sueddeutsche.de/panorama/artikel/714/19695/
Alzheimer-Diagnostik
· Bayer Research: Das Vergessen sichtbar machen. Neue Substanz hilft, Alzheimer frühzeitig zu erkennen

http://www.research.bayer.de/ausgabe-19/19_Alzheimer.pdfx

· Focus Online: Demenz. Früherkennung für Alzheimer
http://www.focus.de/gesundheit/ratgeber/gehirn/news/demenz_aid_121667.html
· Netdoktor: Diagnoseschritte bei Alzheimer
http://www.netdoktor.de/Magazin/Diagnoseschritte-bei-Alzheimer-2254.html
Neuroenhancer
· Ärzteblatt: Enhancement. Eingriff in die personale Identität
http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=58903
· Inforadio: Wissenswerte: Doping fürs Gehirn
http://www.inforadio.de/static/dyn2sta_article/596/257596_article.shtml
· SWR2: Pillen für den Geist? Hirndoping in der Diskussion
http://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/-/id=3835926/property=download/nid=660374/3lxun9/swr2-wissen-20080918.rtf
· Business On Von der Verbesserung des Menschen
http://berlin.business-on.de/archiv/2008-04-07-von-der-verbesserung-des-menschen-archiv_kat126_id12998.html
· Pharmazie: Gute schlechte Drogen?
http://www.geo.de/GEO/mensch/medizin/57702.html?q=Neuroenhancer

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Annette Kleffel idw

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