Psychisch krank: Stellen Mediziner diese Diagnose unnötig oft?

Prof. Dr. Dr. Wolfgang Schneider leitet die Veranstaltung zur psychischen Gesundheit, Arbeit und Gesellschaft

Macht Arbeit psychisch krank? Auf einem öffentlichen wissenschaftlichen Symposium der Universitätsmedizin Rostock unter Leitung von Professor Dr. Dr. Wolfgang Schneider, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin, diskutieren am 4. März, 18 Uhr, im Audimax der Uni Rostock auf dem Campus Ulmenstraße Vertreter des Sozialministeriums von MV, Nordmetall, dem DGB, der Rektor der Uni Rostock, Prof. Wolfgang Schareck sowie weitere Experten das Thema: „Psychische Gesundheit, Arbeit und Gesellschaft“. Gemeinsam soll auch nach Rezepten gegen den Stress am Arbeitsplatz gefahndet werden.

Alarmierend: Der Anteil von Frühberentungen im Jahr 2013 wegen psychischer und psychosomatischer Erkrankungen bei Frauen liegt bei 48 Prozent, bei Männern gehen 35 Prozent wegen einer psychischen Erkrankung vorzeitig in den Ruhestand. Interessant: Wegen körperlicher Leiden erfolgen Frühberentungen in der Regel drei Jahre später.

Und wenn dieses Phänomen kritisch reflektiert werden würde, zeige sich doch häufig, so Prof. Schneider, dass es primäre soziale Problemstellungen wie Langzeitarbeitslosigkeit seien, die über Diagnosestellungen und oftmals nicht angezeigten Therapien in die „Sprache“ der Medizin übersetzt werden würden. In diesen Fällen wäre oftmals eine kompetente Beratung zur Unterstützung der Betroffenen angezeigt, konstatiert Prof. Schneider. Aber wie ist es nun mit der immer schneller, komplexer und der globaler werdenden Arbeitswelt?

„Es gibt gesellschaftliche Tendenzen, dass soziale Faktoren wie beispielsweise Stress im Job oder Arbeitslosigkeit bei Diagnosestellungen von Betroffenen oftmals nur medizinisch betrachtet werden würden. 
Der Professor mahnt: „Menschen dürfen nicht unnötig zu Patienten gemacht werden“. Oft sei bereits eine niedrigschwellige Beratung hilfreich. Dann könnten Menschen eigenverantwortlich ihre Probleme lösen.

Insofern sei die Frage interessant, inwieweit wir unsere Befindlichkeit unnötig pathologisieren. Das heißt, nicht jede Erschöpfung oder Niedergedrücktheit ist als Krankheit zu sehen. Aufgrund der wachsenden Sensibilität für diese Themen würden Unternehmen zunehmend Maßnahmen des Gesundheitsmanagements zur Prävention von psychischen Überforderungen ihrer Mitarbeiter implementieren. Dazu gehöre auch die Gefährdungsbeurteilung etwaiger psychischer Risiken im Arbeitsprozess. Auch von der Politik würde diese Thematik inzwischen ernst genommen, so Schneider. Zu diesem Thema spricht Prof. Harald Gündel von der psychosomatischen Universitätsklinik Ulm.

Die öffentliche Aufmerksamkeit, die das Thema „psychische Belastungen in der Arbeitswelt“ erfährt, führt mehr und mehr dazu, dass sich Individuen als psychisch gefährdet und überlastet fühlen. Um dieser Problematik angemessen zu begegnen,“ ist eine sorgfältige Abklärung notwendig, ob und welche Art von professioneller Unterstützung der Einzelne benötigt“, regt Schneider an. 


Was er damit meint? „Überforderungen, Stress, Angst, Arbeitsüberlastung genauso wie Arbeitslosigkeit, berufliche Schwierigkeiten führen sicherlich häufiger zu psychischen und sozialen Problemen, die jedoch nicht notwendig als Ausdruck einer psychischen Erkrankung anzusehen sind, wie es allzu oft geschieht“. Sie in das Reich der psychischen Erkrankungen zu befördern, schütze davor, soziale Missstände und prekäre Arbeitsverhältnisse offen anzusprechen und sich damit auseinanderzusetzen.

„Unsere Gesellschaft schiebt die Schuld daran, dass jemand nicht mehr richtig funktioniert lieber dem Betroffenen zu. Sie behandelt dann lieber kranke Menschen, als ihre sozialen Problem zu lösen“.

Schneider kritisiert auch, dass die Betroffenen oftmals von ihren Ärzten zu widerspruchslos die gewünschte Diagnose Burnout oder Depression gestellt werde, sie zu schnell mit Medikamenten versorgt und auch krankgeschrieben würden.

Damit könnten erst Krankheitsprozesse initiiert und chronische Krankheitsverläufe angestoßen werden, ohne dass man sich den tatsächlichen sozialen Problemen nähere. Vor diesem Hintergrund – so Schneider – würden allerdings auch die Menschen vielfach eine Tendenz aufweisen, Befindlichkeitsstörungen, Erschöpfung, Frustration und Demotivierung zu schnell als Ausdruck einer psychischen Erkrankung wahrzunehmen. Letztlich geht es auch für den Einzelnen darum, aktiv und möglichst selbstbestimmt sein Leben zu gestalten. Text: Wolfgang Thiel

Universität Rostock
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