Krebsdiagnose aus dem Blut – Fakt oder Fiktion?

Einen Bluttest zur Früherkennung aller nur denkbaren Krebsarten bei Gesunden kündigte vor etwa einem Jahr das kalifornische Unternehmen „Grail“ an. Mit der Markteinführung sei voraussichtlich 2019 zu rechnen. „Grail“ ist eine Ausgründung von Illumina, dem weltweit wichtigsten Hersteller von DNA-Sequenziergeräten. Dass Microsoft-Gründer Bill Gates und Amazon-Chef Jeff Bezos zu den Kapitalgebern gehörten, verschaffte der Ankündigung zusätzliche Aufmerksamkeit.

Der biologische Hintergrund des Tests: Erbmaterial aus Krebszellen oder auch ganze Krebszellen gelangen kontinuierlich ins Blut. Deren Nachweis wird als „Liquid Biopsy“ – flüssige Biopsie – bezeichnet. Jeder Tumor hat sein charakteristisches Muster an krebsspezifischen Erbgutveränderungen.

Mit den heute verfügbaren ultrasensitiven Methoden der DNA-Analyse, können Wissenschaftler zum Beispiel die krebstypischen DNA-Schnipsel aufspüren – unter all den anderen Erbmolekülen aus gesunden Zellen, die auch im Blut herumschwimmen.

„In vielen Fällen gelingt es bereits, bei Krebspatienten nach der Behandlung anhand des Nachweises von DNA im Blut zu verfolgen, ob der Tumor wiederkehrt. Daher hat sich die Vision entwickelt, dass man in Zukunft Tests auf Tumor-DNA im Blut auch zur Früherkennung von Krebs einsetzen könnte. Dazu gibt es jedoch bisher keine Daten. Das heißt, die Hypothese, die dieser Vision zugrunde liegt, muss zunächst einmal belegt werden“, sagt Peter Lichter, Leiter der Abteilung Molekulare Genetik im DKFZ.

„Auch wenn sich ein solcher Nachweis einmal als technisch machbar herausstellen sollte: Wie bei anderen Früherkennungsuntersuchungen müsste gezeigt werden, dass sie den Menschen tatsächlich nützt, dass er also die Überlebenszeit verlängert oder die Lebensqualität verbessert“, ergänzt Susanne Weg-Remers, die im DKFZ den Krebsinformationsdienst leitet.

Den Verlauf der Therapie im Blut mitverfolgen

Holger Sültmann, Leiter der Arbeitsgruppe Krebsgenomforschung im DKFZ, hält es nur für eine Frage der Zeit, bis Tests auf Tumor-DNA im Blut in der Krebsmedizin die klinische Zulassung erhalten. Allerdings werde es sich dabei zunächst nicht um Krebs-Früherkennungstests handeln. Deutlich weiter fortgeschritten ist die Entwicklung von Tests zur Beobachtung des Therapieverlaufs von bereits diagnostizierten Krebserkrankungen.

„Anders als Tumor-Gewebeproben lässt sich Blut problemlos mehrmals in kurzen Abständen abnehmen. So können wir verfolgen, ob und wie lange der Krebs auf ein Medikament anspricht. Das ist wichtig, denn Krebszellen entwickeln gegen viele Wirkstoffe rasch Resistenzen.“ Wann tatsächlich ein DNA-Test zu Krebsfrüherkennung zur Verfügung steht, lässt sich Sültmanns Meinung nach heute noch nicht abschätzen.

Holger Sültmann hat mit seinen Mitarbeitern beim nichtkleinzelligen Lungenkrebs untersucht, ob sich durch Bluttests auf Tumor-DNA das Therapieansprechen mitverfolgen lässt. Bei allen Patienten seiner Studie war durch die Untersuchung von Tumorgewebe bereits vorab eine bestimmte krebsfördernde Mutation festgestellt worden. Diese Erbgutveränderung zeigt an, dass der Tumor durch ein bestimmtes Medikament angreifbar ist.

„Wir konnten gut beobachten, wie die Konzentration der Krebs-DNA im Blut nach Beginn der Behandlung mit diesem Medikament abnahm. Und wir sahen, dass sie wieder anstieg, sobald der Tumor zurückkehrte. Dabei haben wir die Beobachtung anderer Studien bestätigt, dass in manchen Patienten nach einer zunächst erfolgreichen Therapie der Wiederanstieg der Tumor-DNA im Blut rund drei Monate früher messbar ist als andere Symptome für die Rückkehr der Erkrankung.“

Bis solche Tests einsatzbereit für die Routineanwendung sind, seien aber noch viele Fragen zu klären: „Wir wissen beispielsweise noch nicht, wie lange die Tumor-DNA im Blut nachweisbar ist und welche Zeitpunkte für die Bluttests geeignet sind.“

Das Fernziel sei, mit einem Bluttest das wirksamste Medikament für den einzelnen Patienten zu identifizieren – auch ohne vorher das Tumorgewebe analysieren zu müssen. Denn viele der krebstypischen Erbgutveränderungen, die mit der Liquid Biopsy nachgewiesen werden können, sind die entscheidenden Treiber des Tumorwachstums. Mit zielgerichteten Medikamenten könnten sie blockiert und damit der Krebs gestoppt werden.

Ob das überhaupt funktioniert und falls ja, für welche Krebsarten, sei zum heutigen Zeitpunkt noch nicht abzusehen, so Sültmann. Sein Fazit: „Ich gehe davon aus, dass die Liquid Biopsy einen Platz in der Krebsmedizin einnehmen wird – für gezielte Fragestellungen bei bestimmten Krebsarten. Einen generellen „Krebstest“ wird es auf absehbare Zeit aber nicht geben.“

Tumorzellen im Blut bestimmen die Prognose

Das Blut eines Krebspatienten enthält nicht nur Tumor-DNA, sondern auch ganze Krebszellen. Welche Informationen über die Krebserkrankung lassen sich durch den Nachweis dieser zirkulierenden Tumorzellen (CTCs) gewinnen? „Bei vielen Krebsarten ist gut belegt, dass die Anzahl der CTCs eng mit der Prognose gekoppelt ist. Jedoch ist das Ergebnis für den einzelnen Patienten bisher noch nicht sehr aussagekräftig, sondern stellt eher eine statistische Aussage dar. Deswegen werden diese Tests außerhalb klinischer Studien noch kaum für die Therapieentscheidung herangezogen“, sagt Andreas Trumpp, der im DKFZ die Abteilung Stammzellen und Krebs leitet und außerdem dem Stammzell-Institut HI-STEM im DKFZ vorsteht.

„Allerdings kann eine lebende Zelle viel mehr Informationen liefern als nur ein DNA-Molekül und man kann durch ihre Analyse viel über den Prozess der Metastasierung lernen. Seit neuestem lassen sich beispielsweise aus dem Blut isolierte CTCs in der Kulturschale vermehren. Gelänge dies auch im größeren Maßstab, könnten wir an diesen Patientenzellen rasch prüfen, auf welche Medikamente die Tumorzellen empfindlich sind“, so Trumpp. Mit seiner eigenen Forschung konnte der Stammzell-Experte vor kurzem bei Brustkrebs zeigen: Nicht die Anzahl der CTCs ist entscheidend. Für die Ausbreitung der Krankheit sind vielmehr spezielle „Metastasen-induzierende“ Zellen verantwortlich.

Trumpp ist allerdings überzeugt: „Die umfassendste Information über den Tumor erhält man durch eine kombinierte Analyse von Tumor-DNA und CTCs.“ Er möchte daher ein Testsystem entwickeln, das diese beiden Nachweise vereinen soll.

„Manche Patienten, die bei uns anrufen, befürchten, dass der Krebs zurückkehrt und hoffen, dies mit einer regelmäßigen Blutkontrolle möglichst frühzeitig zu erkennen. Andere haben die Vorstellung, dass man mit einer Liquid Biopsy einen invasiven Eingriff zur Entnahme von Tumorgewebe vermeiden kann und fragen sich, ob das für sie selbst eine Möglichkeit sein könnte“, sagt Susanne Weg-Remers vom Krebsinformationsdienst. „Leider sind fast alle diese neuen Untersuchungen derzeit noch nicht in der klinischen Routineversorgung angekommen und sollten bei Patienten möglichst nur in Studien eingesetzt werden. Zu Fragen zum aktuellen Stand der Entwicklungen auf diesem Feld gibt der Krebsinformationsdienst jederzeit gern Auskunft – per Telefon oder E-Mail.“
Telefon: 0800 420 30 40
E-Mail: krebsinformationsdienst@dkfz.de
www.krebsinformationsdienst.de

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen im DKFZ, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Sie entwickeln neue Methoden, mit denen Tumoren präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Krebsinformationsdienstes (KID) klären Betroffene, Angehörige und interessierte Bürger über die Volkskrankheit Krebs auf. Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Heidelberg hat das DKFZ das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg eingerichtet, in dem vielversprechende Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik übertragen werden. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), einem der sechs Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung, unterhält das DKFZ Translationszentren an sieben universitären Partnerstandorten. Die Verbindung von exzellenter Hochschulmedizin mit der hochkarätigen Forschung eines Helmholtz-Zentrums ist ein wichtiger Beitrag, um die Chancen von Krebspatienten zu verbessern. Das DKFZ wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Baden-Württemberg finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren.

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