Historisches und Aktuelles aus der Chemie – Deutsche Chemie-Senioren treffen sich in Bitterfeld-Wolfen

Die dreitägige Veranstaltung bietet den Senioren eine einmalige Gelegenheit, alte Kontakte aufzufrischen, mit Gleichgesinnten ins Gespräch zu kommen, interessante industrie- und wissenschaftsgeschichtliche wie auch aktuelle Vorträge zur chemischen Spitzenforschung in Deutschland zu hören.

Die SEC-Arbeitsgruppe Netzwerk und der SEC-Vorstand haben zusammen mit dem Ortskomitee die Programmgestaltung und Tagungsorganisation selbst in die Hand genommen. Den Schwerpunkt der Tagung macht ihre Überschrift deutlich: Die Mitteldeutsche Chemieregion – wie Phönix aus der Asche.

Eröffnet wird die Tagung um 17 Uhr im Städtischen Kulturhaus Bitterfeld-Wolfen vom SEC-Vorsitzenden Professor Dr. Horst Altenburg, ehemals Fachhochschule Münster (Westf.). Grußworte sprechen die Oberbürgermeisterin der Stadt Bitterfeld-Wolfen, Petra Wust, die den langjährigen Forschungschef des Chemiekombinats Bitterfeld, 1990/91 Vorstandsvorsitzender der Chemie AG Bitterfeld-Wolfen, Professor Dr. Werner Kochmann, mit der Ehrennadel der Stadt Bitterfeld-Wolfen auszeichnet, sowie Dipl.-Ing. Kurt Lausch, Geschäftsführer der TGZ Bitterfeld-Wolfen GmbH, Professor Dr. Michael Dröscher, GDCh-Präsident, Dorsten, und Dipl.-Chem. Arne Bernsdorf, stellv. Bundessprecher des GDCh-Jungchemikerforums, Rostock. Vor der Eröffnungsveranstaltung am 3. Juni können die Senioren das Angebot zu einer Exkursion ins Mitteldeutsche Chemiedreieck nutzen. Nach der Eröffnung spricht der Jurist Professor Dr. Heiner Lück von der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg über „Eike von Repgow (ca. 1180 – ca. 1233) und sein Sachsenspiegel – Zukunftsweisende Impulse für eine europäische Rechtskultur aus dem Elbe-Mulde-Gebiet“. Über 600 Jahre lang wurde der Sachsenspiegel in einem großen Teil Europas als geltendes Recht angewendet oder beachtet.

Am zweiten Tagungstag befasst sich der Geschäftsführer der P-D ChemiePark Bitterfeld Wolfen GmbH, der Chemiker Dr. Michael Polk, mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Chemiestandorts Bitterfeld-Wolfen. Professor Dr. Jörg Gloede, der früher am Zentralinstitut für Organische Chemie der Akademie der Wissenschaften in Berlin-Adlershof, aber auch für den VEB Chemisches Kombinat Bitterfeld tätig war, blickt auf die erfolgreiche Entwicklung eines Wachstumsregulators in Bitterfeld zurück, und Dr. Christian H. Schleicher stellt als Geschäftsführer der Bayer Bitterfeld GmbH die Entwicklung eines neuen Werkes in Mitteldeutschland dar.

Billige Braunkohle, reichlich verfügbares Wasser und eine günstige Verkehrsanbindung hatten Ende des 19. Jahrhunderts die Firmen Chemische Fabrik Elektron AG (später Chemische Fabrik Griesheim), Elektrochemische Werke GmbH (später AEG) und Actien-Gesellschaft für Anilin-Fabrikation (später Agfa) bewogen, sich in dieser Region anzusiedeln. Produktionsanlagen für Aluminium, Chloralkalielektrolysen und die Farbenfabrik wurden gebaut, 1910 nahm die Filmfabrik ihren Betrieb auf. Bis 1945 erweiterte sich der Standort fortlaufend zu einem Zentrum der chemischen Forschung und der Großchemie. In drei Werkstrukturen wurde die Produktion nach dem Krieg bis zur Kombinatsbildung 1969 weitergeführt. Bis 1989 stellten zeitweise über 30.000 Beschäftigte etwa 5.000 unterschiedliche Produkte her. Eines der erfolgreichsten war der Wachstumsregulator Ethephon (2-Chlorethanphosphonsäure), der als Halmstabilisator bei Roggen und Gerste eingesetzt wurde. Etwa 80 Prozent der Roggen- und Gersteflächen der DDR wurden mit Ethephon behandelt.

Nach der Wende und im Zuge der Pilotstudie „Modellhafte Sanierung eines hochbelasteten Chemiebetriebes“ wurden bis 1992 30 Prozent der Anlagen geschlossen. Für Bitterfeld-Wolfen wurde das ChemiePark-Modell entwickelt. Einzelne Betriebe und standortübergreifende Dienstleistungen wurden nach und nach privatisiert, neue Unternehmen siedelten sich an. Die Wasserver-, die Abwasserentsorgung, die Betriebsflächen und die Verkehrswege wurden saniert, das Rohrbrückensystem instand gesetzt und die Energieversorgung sowie die Telekommunikation auf den neuesten Stand gebracht. Der Chemiepark Bitterfeld-Wolfen umfasst heute eine Gesamtfläche von 1.200 Hektar mit 360 Firmen (u.a. Bayer, Akzo, Evonik, aber vor allem mittelständische Unternehmen), in denen 11.000 Arbeitskräfte tätig sind. Die Bayer-Großinvestition in Bitterfeld wurde 1991 vom Vorstand der Bayer AG beschlossen und setzte ein Signal für andere Investoren.

Vom Institut für Biochemie der Universität Leipzig reist Professor Dr. Annette G. Beck-Sickinger als Gastvortragende nach Bitterfeld-Wolfen an. Sie berichtet über Peptide in Diagnostik und Therapie, weil sich diese in den letzten Jahren zu interessanten Pharmazeutika entwickelt haben, u.a. als antiviral wirkende Stoffe, als Insulin sensitivierende Substanzen oder als Tumormedikamente. Die synthetisch leicht zugänglichen Peptide sind eigentlich als Pharmazeutika ungeeignet. Chemikern und Biochemikern gelang es aber, ihre enzymatische Stabilität deutlich zu verbessern, ihre Bioverfügbarkeit zu erhöhen und innovative Formulierungen zu entwickeln. Beck-Sickinger stellt u.a. das Neuropeptid Y vor, dem ein großes Potential bei der Therapie der Fettsucht und in der Behandlung von Brusttumoren vorhergesagt wird.

Einer der Geschäftsführer der Evonik Litarion GmbH in Kamenz/Sachsen, der Chemiker Dr. Ernst-Robert Barenschee, spricht auf der SEC-Tagung über „Energiespeicherung und Lithiumionenbatterie-Technologie“, ein hochaktuelles Thema aus der Elektrochemie – nicht erst, seitdem die Bundesregierung im vergangenen Jahr den Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität verabschiedet hat. Marktstudien gehen davon aus, dass Fahrzeuge mit vollelektrischem, batteriegespeistem Antrieb und Hybridfahrzeuge im Jahr 2020 einen Weltmarktanteil von sechs Prozent erreichen. Bei der Speicherung elektrischer Energie weisen derzeit Batterien auf Basis der Lithium-Ionen-Technologie die höchste nutzbare Energiedichte bei hoher Zellspannung, hoher Lebensdauer und geringer Selbstentladung auf. Die Autoindustrie unterstützt daher die Weiterentwicklung dieser Technologie. Eine weitere Herausforderung besteht derzeit darin, die Fertigungstechnologien für großformatige Li-Ionenbatterien von der vorherrschenden Kleinserienproduktion in die industrielle Großserienproduktion zu übertragen.

Die Bundesländer Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben sich in den vergangenen Jahren zur Region mit der höchsten Dichte an Photovoltaikunternehmen in Europa entwickelt. 65 Prozent aller deutschen PV-Unternehmen mit insgesamt etwa 8.500 Beschäftigten haben ihren Sitz in Mitteldeutschland. Die Unternehmen weisen im Schnitt Wachstumsraten von über 30 Prozent auf und liefern derzeit 18 Prozent der weltweit produzierten Solarzellen. Im Spitzencluster „Solarvalley Mitteldeutschland“ kooperieren knapp 30 weltweit agierende Unternehmen, ein gutes Dutzend Universitäten und Hochschulen sowie sieben renommierte Forschungseinrichtungen, darunter das Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik in Halle, dessen Leiter, Professor Dr. Jörg Bagdan, das mitteldeutsche Spitzencluster Photovoltaik auf der SEC-Tagung vorstellt. Das Projekt wird vom Bund und von den Ländern finanziell gefördert, und die Industriepartner bringen mehr als 40 Mio. Euro in die derzeit knapp 100 Forschungsprojekte ein.

Die Tagung der Seniorexperten Chemie der GDCh in Bitterfeld-Wolfen kann mit weiteren sechs Vorträgen aufwarten, bis sie am frühen Nachmittag des 5. Juni mit Schlussworten des GDCh-Altpräsidenten, Professor Dr. Henning Hopf, und des GDCh-Geschäftsführers, Professor Dr. Wolfram Koch, beendet wird.

An die Redaktionen mit Bitte um Beachtung: Am Freitag, 4. Juni, 10:40 Uhr, findet im Städtischen Kulturhaus Bitterfeld-Wolfen eine GDCh-Pressekonferenz zur Tagung statt, u.a. mit dem SEC-Vorsitzenden, Professor Horst Altenburg, dem GDCh-Ortsverbandsvorsitzenden Bitterfeld-Wolfen, Professor Egon Fanghänel, und dem Geschäftsführer des TGZ Bitterfeld-Wolfen, Kurt Lausch, als Mitveranstalter des Treffens.

Die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) ist mit über 29.000 Mitgliedern eine der größten chemiewissenschaftlichen Gesellschaften weltweit. Die Seniorinnen und Senioren der Jahrgänge 1948 und früher sind mit über 6.000 Mitgliedern eine bedeutende Gruppe in der GDCh. Die SEC wurde als Arbeitsgemeinschaft im Oktober 2006 ins Leben gerufen und bietet allen nicht mehr oder nicht mehr voll im Berufsleben stehenden Chemikerinnen und Chemikern ein Netzwerk des gegenseitigen Austausches. Die Seniorexperten Chemie bringen ihre Erfahrungen in verschiedene Projekte ein, etwa internationaler Austausch, Schulpatenschaften zur Stärkung des naturwissenschaftlichen Unterrichts oder Öffentlichkeitsarbeit für eine bessere Wahrnehmung der Chemie.

Kontakt:
Dr. Renate Hoer
Gesellschaft Deutscher Chemiker e.V. (GDCh)
Öffentlichkeitsarbeit
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Tel.: 069/7917-493
Fax: 069/7917-1493
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