Zerlegte Zahlen

„Einen direkten Praxisbezug können Sie von uns nicht erwarten“, lacht Prof. Dr. Peter Schneider vom Sonderforschungsbereich (SFB) 478 „Geometrische Strukturen in der Mathematik“ der WWU Münster: Die Wissenschaftler des SFB, der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird, arbeiten auf dem Gebiet der theoretischen Mathematik.

„Dabei ist das Rechnen nicht zentral. Es geht darum, Strukturen zu verstehen und zu klassifizieren“, so Prof. Schneider. Die Forscher wenden geometrische Methoden an, um abstrakte mathematische Probleme zu veranschaulichen, zum Beispiel durch die räumliche Vorstellung von Gleichungen.

Vier Projektbereiche des SFB arbeiten an der Lösung ganz unterschiedlicher Probleme. Dabei setzen sie aber ähnliche Methoden ein, bei denen die Geometrie eine zentrale Rolle spielt. Im Projektbereich „Topologie und Differentialgeometrie“ beschreiben Wissenschaftler geometrische Strukturen mit Hilfe der Algebra. Im Vordergrund stehen gekrümmte Figuren im Raum – das könnte zum Beispiel eine Kugel sein oder ein komplexeres Gebilde wie ein Pferdesattel. „Wir wollen die räumlichen Strukturen abhängig von deren Eigenschaften mathematisch klassifizieren“, so Prof. Schneider.

In den anderen Projektbereichen dient die Geometrie der Veranschaulichung mathematischer Probleme. In der „arithmetischen Geometrie“ stehen algebraische Fragestellungen im Fordergrund: die Untersuchung von Gleichungen mit ganzen Zahlen, die nach den geläufigen mathematischen Regeln addiert und multipliziert werden können. Allerdings rechnen die Mathematiker kaum mit konkreten Zahlen, vielmehr geht es darum, universelle Lösungen zu finden. Die geometrischen Strukturen veranschaulichen die möglichen Lösungen, die für eine Gleichung in Frage kommen, und helfen so, sie zu verstehen. In der „nichtkommutativen Geometrie“ geht es im Gegensatz zu der arithmetischen darum, eine Mathematik zu beschreiben, für die geläufige Rechenregeln – zum Beispiel, dass es nicht darauf ankommt, in welcher Reihenfolge bestimmte Rechenschritte stattfinden – nicht gelten. Das ist in der Quantenphysik der Fall, für deren Beschreibung die klassische Physik und Mathematik nicht ausreichen.

Die „rigide Geometrie“ misst die Größe von Zahlen auf ganz andere Weise, als wir es gewohnt sind. „Für den Laien ist das merkwürdig“, schmunzelt Prof. Schneider. Dieser Zweig der Mathematik fragt danach, wie häufig eine ganze Zahl durch eine Primzahl – zum Beispiel die Drei – teilbar ist. Je höher sie durch diese Zahl teilbar ist, desto kleiner ist sie. Nach diesem System ist die Neun kleiner als die Drei. Für die Mathematiker werden komplizierte Fragestellungen dadurch einfacher: Das ursprüngliche Problem wird durch die „Zerlegung“ der ganzen Zahlen in Primzahlen in viele leichter lösbare Teilprobleme aufgeteilt. Die Mathematiker sprechen dabei von „p-adischen“ Zahlen. Das bekannteste Beispiel für solch ein System ist das Zweiersystem, das von Computern angewandt wird.

Während beim Dezimalsystem Ziffern von 0 bis 9 eingesetzt werden, verwenden Computer lediglich die 0 und die 1 – also ein „2-adisches“

System.

Zur Lösung abstrakter mathematischer Probleme werden geometrische Gebilde eingesetzt, die Nicht-Mathematikern begrifflich vertraut
vorkommen: so genannte Gebäude, die die Wechselwirkungen innerhalb einer Klasse mathematischer Strukturen geometrisch veranschaulichen.
Im einfachsten Fall sind das „Bäume“, die sich im zweidimensionalen Raum verzweigen und relativ simple Rechenoperationen symbolisieren.

Werden die mathematischen Probleme komplizierter, sind auch die Gebäude komplexer. Sie bilden dann mehrdimensionale „Apartments“ und „Kammern“.

„Der Name ist ein bisschen verrückt, unsere Gebäude haben nichts mit Architektur zu tun“, räumt Prof. Dr. Linus Kramer ein. Er

erklärt: „In der Geometrie interessiert man sich unter anderem für Symmetrien geometrischer Strukturen, wie etwa Spiegelungen oder Verschiebungen. Diese Symmetrien bilden so genannte Lie-Gruppen, benannt nach dem norwegischen Mathematiker Sophus Lie.“ Die elementaren Bausteine der Lie-Gruppen hat Ende des 19. Jahrhunderts der Mathematiker Wilhelm Killing entdeckt, der als Professor in Münster tätig war. Killing fand heraus, wie sich Lie-Gruppen mit Hilfe bestimmter kombinatorischer Daten klassifizieren lassen. Diese Klassifizierung lässt sich wiederum durch die Gebäude visualisieren.

Killing und Lie stehen im Dezember bei den münsterschen Mathematikern im Fokus: Auf der Tagung „Wilhelm Killing, 1847-1923: Lie Theory and Geometry“ werden moderne Fragestellungen der Geometrie vorgestellt, die Bezüge zu Killings Arbeit über die Lie-Gruppen haben. Es haben sich viele prominente Referenten angekündigt, darunter Prof. Dr. Friedrich Ernst Peter Hirzebruch. Die Tagung findet vom 7. bis zum 8. Dezember 2007 am Mathematischen Institut der WWU statt.

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