Experten-Debatte zur Verengung der Halsschlagader: Stent oder Operation?

Jährlich erleiden in Deutschland mehr als 200.000 Menschen einen Schlaganfall, bei rund 30.000 von ihnen ist der Auslöser eine Verengung oder ein Verschluss der vorderen Halsschlagader durch Ablagerungen („Plaques“), die so genannte Carotisstenose. Wie derartige Gefäßverschlüsse am besten therapiert werden sollten, diskutieren heute bei der Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie Prof. Thomas Ischinger, Herzzentrum Bogenhausen in München, und Prof. Hans-Henning Eckstein, Gefäßchirurgie am Klinikum rechts der Isar in München.

Für die Behandlung der Carotisstenose müssen zunächst alle Risikofaktoren ausgeschaltet werden. Das bedeutet den Verzicht auf Zigaretten, eine Umstellung der Ernährung oder die Einnahme von Medikamenten, damit Blutdruck und Cholesterinwerte sinken. Ebenfalls zum Einsatz kommen Thrombozytenfunktionshemmer wie Azetylsalizylsäure, oder Clopidogrel.

Droht trotz derartiger Maßnahmen aufgrund einer fortschreitenden Verengung der Halsschlagader ein Schlaganfall, können Ärzte durch die operative Ausschälung der erkrankten Arterie (Carotis-TEA) das Schlaganfallrisiko senken. Eine neuere Therapie ist die Aufdehnung der Halsschlagader. Dazu werden unter örtlicher Betäubung am Gefäßeingang in der Leiste oder am Arm ein Ballonkatheter und kleine Drahtröhrchen (Stents) an die betroffene Stelle vorgeschoben. Welches der Verfahren bei welchen Patienten am besten eingesetzt werden sollte, um die Engstellen zu beseitigen, ist eine Frage, die unter Radiologen, Kardiologen und Gefäßchirurgen nach wie vor für Diskussionen sorgt.

Operation: Wirksame Schlaganfall-Vermeidung

Die Carotis-TEA wurde in mehreren prospektiv-randomisierten Studien untersucht, in denen eine rein medikamentöse Therapie mit dem chirurgischen Eingriff plus Medikamenten verglichen wurden. „Die Analyse der Daten ergab, dass die Carotis-TEA bei hochgradigen Stenosen mit einer Verengung von 70 bis 99 Prozent zu einer deutlichen Reduktion des Schlaganfallsrisikos im Verlauf der nächsten fünf bis zehn Jahre führt. Auch bei schwächeren Stenosen von 50 bis 69 Prozent zeigte sich ein Vorteil der Operation gegenüber der rein medikamentösen Therapie“, fasst Prof. Eckstein Forschungsergebnisse zu der seit etwa 30 Jahren praktizierten Operationsmethode zusammen, die zunehmend auch in örtlicher Betäubung angewendet wird.

Stent: Schonende Methode mit guten Ergebnissen

Dies gelte heute auch für die weniger invasive Stent-gestützte Carotis-Angioplastie, ist Prof. Ischinger, einer der Pioniere der interventionellen Kardiologie in Deutschland, überzeugt: „Wir können heute sehr gute Erfolge mit der Anwendung von Stents bei der Karotisstenose erzielen. Die Methode ist tausendfach bewährt, schonend und effektiv.“ Der interventionelle Eingriff wird ohne Vollnarkose und ohne Operationsschnitt durchgeführt. Auch sei die Methode kostengünstig, da viele Patienten am nächsten Tag das Krankenhaus wieder verlassen könnten.

Eine eindeutige Antwort auf die Frage, ob beide Verfahren als gleichwertig zu sehen seien, stehe allerdings noch aus. Prof. Eckstein: „Dafür sind die Ergebnisse weiterer Studien mit hohem Aussagewert abzuwarten.“ Der chirurgische Eingriff sei so lange „gültiger Standard“, bis die Sicherheit und Effektivität der Stent-Therapie im direkten Vergleich mit der Operation nachgewiesen sei.

Prof. Ischinger ist davon überzeugt, dass die aktuelle Studienlage die Gleichwertigkeit der Methoden für die Mehrzahl der Patienten bereits untermauere: Die SAPPHIRE-Studie (USA) mit 310 Patienten, die ein Hochrisiko für die Chirurgie aufwiesen, habe gezeigt, dass für die Prävention von Schlaganfall, Tod und Myokardinfarkt die Stent-Behandlung mindestens gleich gut abschneide wie die herkömmliche Operation, wenn nicht besser.

Viel Beachtung in der Fachwelt fand auch von deutschen, österreichischen und Schweizer Kliniken durchgeführte SPACE-Studie. Prof. Ischinger: „Sie liefert den Beleg dafür, dass bei symptomatischer Verengung der Halsschlagader die gering invasive Kathetertherapie der Thrombendarteriektomie in Sicherheit und Erfolg weitgehend vergleichbar ist.“

Sicherheit und Risiken

Was das Risiko von möglichen Komplikationen betrifft, so beurteilen die Experten beide Verfahren als durchaus sicher. Das Eingriffsrisiko besteht insbesondere darin, dass durch die Operation oder Dilatation Plaque-Partikel gelöst werden und an anderer Stelle einen Gefäßverschluss verursachen, der einen Schlaganfall bewirken kann.

Seit dem Jahr 2002 wird eine bundesweite Qualitätssicherung zur Carotis-TEA über die Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung (BQS) durchgeführt. „Für das Jahr 2005 wurden 25.653 Datensätze aus 512 Krankenhäusern ausgewertet, das sind 98 Prozent aller in Deutschland durchgeführten Carotis-Operationen. Die mit der Operation verbundenen Schlaganfalls-Rate betrug für asymptomatische Stenosen 1,6 Prozent und für symptomatische Stenosen 3,4 Prozent“, berichtet Prof. Eckstein. „Das sind bessere Ergebnisse, als wir sie aus internationalen Studien und Empfehlungen kennen.“

Hohe Sicherheit sieht Prof. Ischinger auch für die Stent-Methode: „Sie funktioniert in mehr als 90 Prozent der Fälle, die Komplikationsrate liegt heute zwischen drei und fünf Prozent.“ Die Kritik mancher Experten, dass bei der Stent-Therapie das Risiko von Embolien besonders hoch sei, teilt der interventionelle Kardiologe nicht: Die Anwendung so genannter distaler Embolieprotektionssystemen mache die Anwendung noch sicherer. Diese Schutzsysteme fangen kleine Embolien wie ein Schutzschirm auf, im Anschluss an die Katheterbehandlung kann dann das weggespülte Material aus dem Blutgefäß entfernt werden.

Prof. Ischinger: „Beide Methoden sind einsetzbar, sicher und wirksam. Aber für beide gilt natürlich auch, dass sie in entsprechend ausgebildete und erfahre Hände gehören.“

Individuelle Entscheidung für den individuellen Patienten

„Wann ein invasives Verfahren generell günstiger ist als eine medikamentöse Behandlung, dar-über besteht heute weit gehende Übereinstimmung“, so Prof. Ischinger. Seien diese Voraussetzungen gegeben, müsse im Einzelfall geprüft werden, ob für den jeweiligen Patienten die Operation oder der Stent die bessere Methode sei, keine sei a priori überlegen.

„Wir müssen aus allen Methoden, die zur Verfügung stehen, die optimale für den individuellen Patienten auswählen. Und unsere Entscheidungen werden natürlich patientengerechter, wenn wir mehrere Methoden zur Auswahl haben. Dann können sie optimal komplementär in den jeweils geeigneten Fällen eingesetzt werden.“

Die Stent-Methode sei im Vergleich zur Chirurgie der Carotis eine relativ junge Methode, so Prof. Ischinger: „Sie birgt noch erhebliches Potenzial zur Outcome-Verbesserung in sich, vor allem durch den ständigen Fortschritt in der perkutanen Kathetertechnologie. Dies haben auch die Gefäßchirurgen erkannt, die sich zunehmend der Stentmethode zuwenden.“

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