Der Blick ins Gehirn und auf neurologische Erkrankungen

Die Arbeit des Nervensystems von der molekularen Ebene bis zum Gehirn verstehen, Fehlfunktionen aufspüren und Therapien entwickeln – das ist das Aufgabenfeld der Gesundheitsforschung am Forschungszentrum Jülich. Jülicher Wissenschaftler, darunter zahlreiche junge Forscher, präsentierten ihre Ergebnisse beim Zukunftsforum Gesundheit am 7. September 2006 in Jülich.

„Auf das Forschungszentrum Jülich kann unser Land wirklich stolz sein“, erklärte Prof. Yves von Cramon, Direktor des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, in seinem Gastvortrag. Bei allen Erfolgen der Neurowissenschaften, zu denen nicht zuletzt das Forschungszentrum Jülich beigetragen hat, warnte von Cramon indes vor wissenschaftlichem Hochmut. So verführten die faszinierenden Bilder, wie sie etwa die funktionelle Magnetresonanztomographie von den Aktivitäten des Gehirns liefert, dazu, diese schon für die ganze Wirklichkeit zu halten.

Tatsächlich erlaubten die Bilder nur eine Annäherung an die Realität: „Mentale Prozesse sind ihrer Natur nach nicht separierbar.“ Jedoch zeigten bildgebende Verfahren, dass bestimmte Hirnfunktionen an bestimmte Orte im Gehirn gebunden sind. Die Jülicher Forschung hätte wichtige Grundlagen dafür gelegt, die Zusammenhänge von Struktur und Funktion im Gehirn zu erkennen, hob von Cramon hervor.

Wie weit der Bogen der Neurowissenschaften in Jülich gespannt ist, zeigten die Vorträge der Jülicher Nachwuchsforscher. So stellte Dagmar Harzheim Moleküle vor, die in rhythmisch arbeitenden Nerven- und Herzmuskelzellen den Takt angeben. Oliver Weiergräber analysierte die molekularen Mechanismen im Auge, die beispielsweise die Anpassung an unterschiedliche Lichtverhältnisse möglich machen. Verena Vorhold untersuchte, welche Hirnregionen für die Beurteilung von Risiken verantwortlich sind – Patienten mit Hirnschäden in diesen Bereich gehen oft unkluge Wagnisse ein.

Stark beeindruckt zeigten sich die rund 250 Zuhörer von Videoaufnahmen einer Patientin, die aufgrund einer Hirnerkrankung an starken Bewegungsstörungen litt. Nach Implantation eines Hirnschrittmachers waren die unkontrollierbaren Zuckungen verschwunden. Prof. Peter Tass erläuterte seine Arbeiten an einem schonenderen Schrittmacher: Elektroden, die nur bei Bedarf aktiv werden und durch elektrische Impulse die übermäßig synchrone Aktivität von Hirnzellen stören. Sie sind beispielsweise für das Zittern bei Parkinson-Patienten verantwortlich. „Das Gehirn soll diesen Gleichtakt verlernen“, erläuterte Tass. „Es ist sogar denkbar, dass ein solcher Hirnschrittmacher sich damit wieder überflüssig macht.“

„Die Neurowissenschaften sind ein unglaublich komplexes und spannendes Zukunftsthema. Das Forschungszentrum Jülich ist wie keine andere Forschungseinrichtung in Europa dazu in der Lage, hier entscheidende Schritte im Verständnis voranzukommen“, erklärt Prof. Karl Zilles, Direktor des Jülicher Instituts für Neurowissenschaften und Biophysik. Eine so breite interdisziplinäre Zusammenarbeit – von der Nuklearchemie bis zur Medizin – sei eine Besonderheit. Kaum irgendwo sonst fänden sich so vielfältige Forschungsmöglichkeiten, die von der Beobachtung einzelner Signalmoleküle bis zu Entwicklung von Diagnose- und Behandlungsverfahren auf der Jülicher Forschungsbettenstation reichen. „Sie sind uns Verpflichtung, in der Grundlagenforschung Außergewöhnliches zu leisten, vor allem aber neue, wirksamere Therapien für Patienten zu entwickeln, die an schweren neurologischen Beeinträchtigungen leiden.“

Was Hoffnung für Patienten bedeutet, birgt auch Gefahren des Missbrauchs, zeigte die abschließende Podiumsdiskussion zu „Neurodoping – Chancen und Risiken“. Denn statt Kranken zu helfen, können neuartige Therapien auch dazu eingesetzt werden, das gesunde Gehirn zu manipulieren, etwa um die intellektuellen Fähigkeiten zu steigern oder für gute Laune zu sorgen. Die Diskussion machte deutlich: Problematisch sind hier nicht nur etwaige Nebenwirkungen, sondern auch die gesellschaftlichen Auswirkungen, wenn sich die Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit, zwischen Norm und Abweichung verschieben.

Das Zukunftsforum Gesundheit war das letzte in der Reihe von Foren, mit denen das Forschungszentrum Jülich seine Aktivitäten in den vier großen Forschungsbereichen Umwelt, Information, Gesundheit und Energie im 50. Jahr seines Bestehens vorstellte. Und zwar mit besten Aussichten: „Der Anteil der Neurowissenschaften an der Arbeit des Forschungszentrums Jülich wird weiter stark zunehmen“, ist der Vorstandsvorsitzende Prof. Joachim Treusch überzeugt.

Über die Jülicher Jubiläumsaktivitäten: Im Jahr seines 50-jährigen Bestehens präsentiert das Forschungszentrum Jülich seine vier großen Forschungsbereiche Gesundheit, Information, Umwelt und Energie. Dazu dienen die Jülicher Zukunftsforen, zu denen führende Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft eingeladen werden, sich über den Stand der Forschung zu informieren und gemeinsam über die Schlussfolgerungen zu diskutieren.

Über das Forschungszentrum Jülich Das Forschungszentrum Jülich ist mit rund 4300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das größte multidisziplinäre Forschungszentrum in Europa. Seine Themen spiegeln die großen Herausforderungen der Gesellschaft wider: Erhalt von Gesundheit, Umgang mit Information, Schutz der Umwelt sowie Versorgung mit Energie. Langfristige, grundlagenorientierte und fächerübergreifende Beiträge zu Naturwissenschaft und Technik werden ebenso erarbeitet wie konkrete technologische Anwendungen für die Industrie. Charakteristisch für Jülich ist, dass sich die Forscher zwei zentraler Schlüsselkompetenzen bedienen: der Physik und des wissenschaftlichen Rechnens mit Supercomputern. Das 1956 gegründete Forschungszentrum Jülich ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft, dem Verbund der 15 nationalen Forschungszentren, die jeweils zu 90 % vom Bund und zu 10 % vom Sitzland finanziert werden.

Media Contact

Annette Stettien Forschungszentrum Jülich

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