Fachtagung ORCHEM 2004: Nano-, Pflanzenschutz-, Arzneimittel- und Grundlagenforschung

Moleküle in biologischen Systemen verfügen über komplexe, faszinierende Strukturen und über erstaunliche Funktionen. Sie fordern Chemiker heraus, Substanzen zu synthetisieren, deren Funktionsweisen auf molekularer Ebene regelbar sind. Solche Nanosysteme können beispielsweise durch Lichtimpulse steuerbar sein und über reversible photochemische Reaktionen als optische Schalter in der molekularen Elektronik eingesetzt werden. Sie lassen sich zudem als optische Speicher und für die Entwicklung von molekularen Motoren – die zur Zeit größte Herausforderung der Nanowissenschaften – verwenden. Für derartige lichtgetriebene Motoren können durch Molekülorganisation auf supramolekularer Ebene sogar einfache Gangschaltungen aufgebaut werden. Die Entwicklung in diesem Bereich ist voller Dynamik wie Professor Dr. Ben L. Ferringa von der Universität Groningen auf der ORCHEM 2004 zeigen wird. Die Tagung wird von der Liebig-Vereinigung für Organische Chemie, einer Fachgruppe in der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh), vom 9. bis 11. September in Bad Nauheim organisiert.

Die Nanotechnologie und viele andere zukunftsträchtige Forschungsgebiete werden auf dieser Tagung diskutiert, für deren wissenschaftliches Programm Professor Dr. Lutz F. Tietze von der Universität Göttingen verantwortlich ist. Zur ORCHEM werden über 400 Teilnehmer erwartet. Hervorzuheben ist, dass nahezu 250 junge Wissenschaftler ihre Forschungsergebnisse in Postern und Kurzvorträgen vorstellen werden.

Pflanzenschutzforschung

Erfreulich ist, dass sich die Industrie an der Tagung beteiligt. So wird Dr. Peter Eckes von der BASF schildern, wie sich Forschung und Entwicklung im chemischen Pflanzenschutz in den letzten Jahren gewandelt haben. Das wichtige Ziel ist hierbei nach wie vor die Steigerung der Produktivität der Landwirtschaft, um die wachsende Weltbevölkerung ausreichend und mit hochwertiger Nahrung zu versorgen. Dabei müssen Pflanzenschutzmittel in punkto Toxizität und Ökobelastung unbedenklich sein, eine hohe Wirksamkeit gewährleisten und sich einfach anwenden lassen. Nur durch hohe Produktinnovationen können heute die Hersteller von chemischen Pflanzenschutzmitteln am Markt bestehen. So hat die Pflanzenschutzchemie deutliche Fortschritte hin zu einer nachhaltigen Chemie gemacht.

Um solche Fortschritte zu erzielen zu können, ist viel Grundlagenforschung vonnöten. Organische Synthesechemiker an Universitäten und Forschungsinstituten tüfteln daran, wie sie zu im Pflanzenschutz oder in der Medizin wirksamen Substanzen gelangen können. Professor Dr. William R. Roush von der Universität Michigan wird unter anderem über neue Zugänge zu den Spinosynen berichten. Diese Naturstoffe gelten aufgrund ihrer geringen Toxizität gegenüber Warmblütern und ihrer großen Selektivität als überragende Insektizide, die bisher nur durch Fermentation in ausreichender Menge zugänglich sind.

Arzneimittelforschung

Dass die Synthese gegenüber der Fermentation auch in andern Bereichen eine Zukunft hat, zeigt der Vortrag von Professor Dr. Rainer Metternich von der Schering AG, der über die industrielle Synthese der Epothilone berichten wird, die zu den sehr zukunftsträchtigen Krebsmitteln zählen und einen ähnlichen Wirkmechanismus wie die Taxole aufweisen. Über die Chemie und Biologie anderer neuer Naturstoffe mit dem Potential einmal als Zytostatika in der Krebsbehandlung eingesetzt werden zu können, berichten Professor Dr. Markus Kalesse und Professor Dr. Andreas Kirschning von der Universität Hannover.

Zu einem der Höhepunkte der ORCHEM 2004 zählt der Abendvortrag von Professor Dr. Horst Kessler von der Technischen Universität München mit dem Titel „Integrine als Zielstrukturen der Arzneimittelforschung“. Integrine sind körpereigene Substanzen, die als bidirektionale Rezeptoren bei der Bindung an die Proteine der extrazellulären Matrix (ECM) Informationen in die Zelle geben aber auch aus der Zelle heraus aktiviert werden. Sie dienen der Regulation der Zelladhäsion und der Kommunikation zwischen den Zellen. Pathologische (krankhafte) Veränderungen am Integrin-System sind daher wichtige Ziele moderner Arzneimittelforschung. In einem kombinatorischen Ansatz konnten Cyclopeptide entwickelt werden, die mit unterschiedlicher Selektivität an verschiedene Integrin-Subtypen binden. Eine der Verbindungen befindet sich zur Zeit in der klinischen Phase II zur Behandlung von Glioblastomen (Hirntumoren).

Grundlagenforschung

Da die Bioaktivität eines Moleküls auf molekularer Ebene mit seinem räumlichen Aufbau korreliert, spielt die Stereoselektivität in der chemischen Synthese eine ganz entscheidende Rolle. Von großer Bedeutung sind darüber hinaus die Effizienz und die Umweltverträglichkeit moderner präparativer Verfahren, die auch der Schonung unserer Ressourcen dienen. Hier kommt den Übergangsmetall katalysierten Transformationen eine große Bedeutung zu, wie sie in den Vorträgen von Professor Dr. Gregory C. Fu vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA, Professor Dr. Jean Pierre Genet von der Ecole Nationale Supérieure de Chimie (ENSCP) in Paris, Professor Dr. Oliver Reiser von der Universität Regensburg und Professor Dr. Uli Kazmaier von der Universität Saarbrücken thematisiert wird.

Effiziente Synthesestrategien unter Verwendung stereoselektiv verlaufender molekularer Umlagerungen, mit denen man enantiomerenreine Verbindungen herstellen kann, werden von Professor Dr. Christoph Schneider von der Universität Leipzig beschrieben. Es sei nochmals auf die Bedeutung derartiger Grundlagenforschung auch für die Industrie hingewiesen werden, da heutzutage bei Verwendung chiraler Wirkstoffe nur enantiomerenreine Substanzen zugelassen werden; denn es ist seit langem bekannt ist, dass Enantiomere – sogenannte Spiegelbildisomere – in einem biologischen Umfeld wie dem menschlichen Körper unterschiedliche Eigenschaften aufweisen können. Mit der Entwicklung stereoselektiver präparativer Methoden und ihren Anwendungen in der Synthese enantiomerenreiner Naturstoffe beschäftigen sich auch Professor Dr. Varinder K. Aggarwal von der Universität Bristol und Professor Dr. Peter Metz von der Universität Dresden.

Preisträger

Synthese und biomolekulare Chemie, die beiden Schwerpunkte der ORCHEM 2004, waren auch Auswahlthemen für die diesjährigen ORCHEM-Preise für Nachwuchswissenschaftler, mit denen neue, originelle und richtungsweisende wissenschaftliche Arbeiten ausgezeichnet und die von dem Vorsitzenden der Liebig-Vereinigung Professor Dr. Reinhard Brückner von der Universität Freiburg verliehen werden. Dr. habil. Frank Glorius vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim und Priv.-Doz. Dr. Hans-Achim Wagenknecht von der Technischen Universität München, sind die beiden diesjährigen Preisträger. Ihre Vortragsthemen geben Auskunft über ihre ausgezeichneten Arbeiten: „Neue Katalysekonzepte für C-C-Verknüpfungsreaktionen und für die asymmetrische Pyridinhydrierung“ (Glorius) und „Ladungstransfer in synthetisch modifizierter DNA: Mechanismen und Anwendung in der DNA-Analytik“ (Wagenknecht).

Die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) gehört mit über 26000 Mitgliedern zu den größten chemiewissenschaftlichen Gesellschaften weltweit. Sie hat 24 Fachgruppen, darunter die Liebig-Vereinigung für Organische Chemie mit rund 1500 Mitgliedern. Hauptanliegen der Liebig-Vereinigung für Organische Chemie sind u.a., Forschungsrichtungen und Forschungsvorhaben auf dem Gebiet der Organischen Chemie anzuregen, über wesentliche Aktivitäten auf diesem Gebiet zu informieren und durch intensive Öffentlichkeitsarbeit wichtige und aktuelle Aspekte der Organischen Chemie bekannt zu machen.

Media Contact

Dr. Renate Hoer idw

Weitere Informationen:

http://www.gdch.de

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