Leitende Kunststoffe – kein Widerspruch

Auf dem Weg in die molekulare Elektronik Auftaktveranstaltung zum 5. Internationalen Symposium über funktionelle p-Elektronensysteme

Vom 29. Mai bis 4. Juni 2002 findet in Ulm/Neu-Ulm mit mehr als 500 Teilnehmern aus aller Welt das 5. Internationale Symposium über funktionelle p-Elektronensysteme statt. Tagungsleiter ist Prof. Dr. Peter Bäuerle, Leiter der Abteilung Organische Chemie II der Universität Ulm. Eines der Themen des Symposiums bilden Chips und Displays aus Plastik.

Leitfähige und leuchtende Kunststoffe führen in eine neue Welt der Polymerelektronik. Biegsame Folien-Displays und Plastik-Chips könnten bald alle Bereiche des Alltags durchdringen. Die Idee, elektronische Bauteile komplett auf der Basis von Kunststoffen zu entwickeln, ist noch jung. Voraussetzung dafür war die Entwicklung elektrisch leitfähiger Polymere. Einer der für diese Entdeckung 2000 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichneten Forscher ist Prof. Dr. Alan J. Heeger von der University of California, Santa Barbara. Prof. Heeger wird an der Eröffnungsveranstaltung des Symposiums am

Mittwoch, dem 29. Mai 2002, 18.00 Uhr im Stadthaus am Münsterplatz, Ulm

teilnehmen, die unter dem Thema „Vom Nobelpreis zu High-Tech: Kunststoffe, die leiten und leuchten“ steht.

Ein Paradox, das keines blieb

Kunststoffe sind leicht, beständig, lassen sich einfach verformen und verarbeiten, sind außerdem preiswert herzustellen. Aufgrund ihrer chemischen Struktur sind Polymere gegenüber Elektrizität perfekte Isolatoren, also genau das Gegenteil von Metallen. Unter diesen Voraussetzungen ist es eigentlich paradox, anzunehmen, daß ein Kunststoff elektrischen Strom leiten könnte. Die Amerikaner Alan Heeger und Alan MacDiarmid sowie der Japaner Hideki Shirakawa, die im Oktober 2000 mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet wurden, fanden 1977 mit Hilfe mehrerer Zufälle heraus, wie solche Kettenmoleküle aufgebaut und behandelt werden müssen, damit sie diese Eigenschaft erwerben und sich wie Metalle verhalten. Das war die Geburtsstunde der elektrisch leitfähigen Polymere.

Damit auch in Kunststoffen Elektronen frei beweglich und nicht wie sonst an Atomkerne gekoppelt sind, müssen sie zunächst im Sinne eines allgemeinen Strukturprinzips abwechselnd Einfach- und Doppelbindungen zwischen den Kohlenstoffatomen ausbilden. Der Chemiker spricht hier von konjugierten Doppelbindungen. Diese Strukturelemente sind im sogenannten Polyacetylen, das aus dem Gas Acetylen hergestellt wird, perfekt zu einer »konjugierten« Kette zusammengefügt. Polyacetylen war schon länger als schwarzes Pulver bekannt, als Anfang der siebziger Jahre Shirakawa und ein Mitarbeiter herausfanden, wie man Polyacetylen synthetisieren kann, um schwarze, von der Innenwand des Reaktionsgefäßes abziehbare Filme zu erhalten.

Damit die Kettenmoleküle den elektrischen Strom leiten, müssen sie dotiert werden. Chemisch bedeutet dies, daß durch Oxidation oder Reduktion der Filme entweder einige Elektronen auf den Ketten entfernt oder hinzugefügt werden. Auf diese Weise verbleiben einzelne freie Elektronen, die wie bei den Metallen nicht mehr an die Atomrümpfe gebunden sind, sondern an den Molekülen entlanggleiten und so elektrische Ladung transportieren können. Shirakawa und MacDiarmid erreichten dies, indem sie oxidierenden Joddampf auf

Polyacetylen einwirken ließen. Die Filme wurden dabei tiefschwarz. Der erste metallisch leitfähige Kunststoff war hergestellt. Seine Leitfähigkeit kam der von Kupfer oder Silber (600.000 Siemens pro Zentimeter) schon ziemlich nahe. Bezogen auf das spezifische Gewicht war sie sogar deutlich besser.

Diese Entdeckung galt in der Fachwelt als großer Durchbruch. Damit begann auf diesem neuen Forschungsgebiet, das vielerlei Anwendungen versprach, ein internationaler Wettbewerb. Zehn Jahre später gelang es dann Herbert Naarmann und Nicholas Theophilou bei der BASF, durch weitere Optimierung der Herstellungsbedingungen den heute noch gültigen »Weltrekord« bezüglich der Leitfähigkeit von Polymeren aufzustellen. Ihre Polyacetylenfilme hatten Leitfähigkeiten in der Größenordnung von Kupfer. Allerdings erkannte man schnell, daß Polyacetylen aufgrund seiner strukturbedingten Instabilität gegen Sauerstoff und Luftfeuchtigkeit nicht das ideale Polymer für industrielle Anwendungen ist. In kurzer Folge wurden dann bis Mitte der achtziger Jahre einige weitere konjugierte Kettenmoleküle der ersten Generation entwickelt (Polyanilin, Polypyrrol, Polythiophen), die unter Einwirkung von Oxidations- und Reduktionsmitteln ebenfalls leitfähig werden. Damals hatte man vor allem die Vorstellung, wiederaufladbare Plastikbatterien entwickeln zu können, da die Materialien nicht nur den Strom leiten, sondern auch Ladungen speichern können. Heute werden leitfähige Kunststoffe als antistatische Folien, elektromagnetische Abschirmungen in elektronischen Schaltkreisen und als Schutzschilde auf Bildschirmen, in Durchkontaktierungen von Leiterplatten in der Elektronikindustrie oder im Korrosionsschutz verwendet. Große Fortschritte in dieser Richtung hat ein von der Firma Bayer seit Anfang der neunziger Jahre entwickeltes Polythiophen gebracht. Das aufgrund seiner chemischen Struktur wohl stabilste aller bekannten leitfähigen Polymere wird als dünne antistatische Schicht in fotografischen Filmen der Bayer-Tochter Agfa eingesetzt. Für die jährliche Produktion vieler Hunderttausend Quadratmeter dieser ultradünnen Schichten sind nur einige Tausend Kilogramm an Polymer notwendig.

Gleichwohl war Ende der achtziger Jahre eher Ernüchterung eingetreten. Die ursprünglich erwarteten Perspektiven ließen sich selbst nach mehr als 10 bis 13 Jahren weltweiter Forschung und Entwicklung offensichtlich nicht so einfach realisieren. Aber nicht nur der Zufall kann eine Forschungsrichtung beeinflussen, sondern auch ausdauernde Arbeit. In der Zwischenzeit hatten die Chemiker herausgefunden, wie man die leitfähigen Kunststoffe, die in ihrer ursprünglichen Form völlig unlöslich, unschmelzbar und deshalb auch schwer verarbeitbar sind, über strukturelle Veränderungen löslich machen kann. Damit war die Möglichkeit gegeben, die Polymere zu reinigen und Lösungen dieser leitfähigen Polymere der zweiten Generation in sehr dünne Filme zu gießen und damit leicht zu verarbeiten. Diese Entwicklung nutzte 1990 ein Forscherteam um den Physiker Richard Friend und den Chemiker Andrew Holmes aus dem englischen Cambridge, um aus einem anderen leitfähigen Kunststoff, dem Polyphenylenvinylen – diesmal in seiner halbleitenden Form, organische Leuchtdioden herzustellen. Friend und Holmes konnten zeigen, daß man eine dünne Schicht solcher Polymere zum Leuchten bringen kann, wenn ein Strom durch sie geschickt wird. Dieser Effekt wird Elektrolumineszenz genannt. Faszinierend an dieser Entdeckung ist, daß man sich im Gegensatz zu den punktförmigen anorganischen Leuchtdioden, wie wir sie von unseren CD-Playern kennen, nun sehr großflächige und flache Farbdisplays in allen Farben vorstellen kann, die sogar flexibel sein können. Mit einer relativ geringen Spannung, meist unter 10 Volt, und Lichtausbeuten bis 10 Prozent können sie ein bis zu hundertmal helleres Licht abstrahlen als ein normaler Fernsehbildschirm. Wegen der dünnen Polymerschicht erfordern sie wiederum nur ganz wenig Material. Weitere interessante Anwendungen wie Plastiklaser oder Plastiksolarzellen auf der Basis von LED-Polymerfilmen folgten in den letzten Jahren und sollen ebenfalls mit großen Anstrengungen zur Produktreife geführt werden.

Die Elektroniktechnologie ist derzeit auf teure Siliziumtransistoren angewiesen. Sie könnten durch preiswerte und flexible Polymere, also Plastiktransistoren, ersetzt werden. Diese Idee wurde erstmals von den Franzosen Francis Garnier und Denis Fichou vom CNRS in Paris verwirklicht. Sie präsentierten 1990 den ersten organischen Transistor, dessen halbleitende Schicht aus einem Polymer bestand. Das war die Geburtsstunde der Plastikelektronik. In der Zwischenzeit gelang es vor allem Forschern des niederländischen Elektronikkonzerns Philips in Eindhoven, nicht nur exzellent arbeitende Polymertransistoren herzustellen, sondern diese zu integrierten Schaltkreisen zusammenzubauen. Plastikelektronik wird die Silizium-Chips schon in absehbarer Zeit dort ablösen, wo einfache und massenproduzierte, billige Schaltkreise benötigt werden. Dies wird vermutlich in dem schnell wachsenden Markt der Etikettierung der Fall sein. Auf dieser Basis kann man sich auch elektronische Briefmarken vorstellen.

Organische Leuchtdioden und Plastikelektronik stehen kurz vor der Marktreife. Die weitere Entwicklung dürfte zur molekularen Elektronik führen, etwa zu einzelnen Polyacetylenmolekülen, die als Leiterstücke dienen oder zu molekularen Drähten, die es erlauben, Stromkreise im Molekülformat zu bauen. In der Zukunft werden wir vielleicht Transistoren und andere elektronische Komponenten aus einzelnen oder wenigen Molekülen herstellen können, was in dramatischer Weise die Schnelligkeit unserer Computer erhöhen und ihre Größe verringern wird.

Prof. Dr. Peter Bäuerle Tel. 0731-50-22850

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