Innovationsqualität noch immer Stiefkind: Wirtschaft verschwendet jährlich Milliarden

Deutsche Unternehmen verschenken jährlich Milliarden. Ganz besonders dann, wenn es um neuartige Produkte geht, vernachlässigen sie zu häufig das Qualitätsmanagement. Die Folgen sind unter anderem teure Rückrufaktionen und große Image-Schäden. In diesem Bereich werde noch immer viel zu wenig getan, waren sich die Tagungsteilnehmer einig.

Hier sehen sie nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Forschungsförderung in der Pflicht. Eingeladen von der Gesellschaft für Qualitätswissenschaft“ (GQW) diskutierten gut 60 namhafte Experten im „Bremer Institut für Messtechnik, Automatisierung und Qualitätswissenschaft“ (BIMAQ) der Universität Bremen zwei Tage zu dem Thema „Innovationsqualität: Qualitätsmanagement für Innovationen“.

Das Problem „Innovationsqualität“ war bekannt, aber erst mit dem „Elchtest“ wurde es richtig öffentlich – als sich die „A-Klasse“, der erste Kompaktwagen mit Frontantrieb der Marke Mercedes, im Oktober 1997 bei einem Test in Schweden höchst medienwirksam aufs Dach legte. Diese Panne bezahlte die Daimler-Benz AG mit Milliarden, unbeziffert ist der Image-Verlust. Direkt nach seiner blamablen Vorstellung hieß das damals jüngste Mercedes-Produkt in Schweden bereits „Vält-Klasse“(ausgesprochen wie „Weltklasse“), was soviel wie „Umkippklasse“ bedeutet. Die Bilder gingen um die Welt und Daimler-Benz reagierte mit dem serienmäßigen Einbau des „Elektronischen Stabilitätsprogramms“ (ESP). Ursache des Fiaskos war ein Fehler in der Konstruktionsphase – ein Defizit im Qualitätsmanagement des Unternehmens.

Die Qualitätswissenschaftler hatten schon lange auf wachsende Bedeutung des Qualitätsmanagements hingewiesen, und bereits 1994 hatten Deutschlands führende Qualitätsforscher die GQW gegründet. Der kleine Zirkel angesehener Wissenschaftler wollte damit einen ständigen Dialog zwischen Forschung und Wirtschaft initiieren, Lösungen diskutieren und Lehre sowie Forschungsförderung beeinflussen. Mit ihren Tagungen zu aktuellen Themen will die GQW Diskurse anregen und den Dialog fördern – so wie in diesem Jahr zur Innovationsqualität.

Qualitätsmanagement heißt Verschwendung vermeiden, Zeit und Geld sparen

„Innovation“ steht für „neu Geschaffenes“, für neue Ideen und deren wirtschaftliche Umsetzung. Erst durch ihre Verwertung und Markteinführung wird aus einer Idee eine Innovation – wenn die Resultate aus Forschung und Entwicklung zu neuen und besseren Produkten, Verfahren oder Dienstleistungen führen. Von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Innovationen ist am Ende ihre Qualität. „Wir müssen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Innovationen mehr sind als gute Ideen. Sie müssen vernünftig geplant und umgesetzt werden, um einen wirtschaftlichen Mehrwert zu erbringen“, sagt Professor Tilo Pfeifer. Der GQW-Vorsitzende war der erste Inhaber eines Lehrstuhls für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagement in Deutschland und gilt als das Aushängeschild der deutschen Qualitätswissenschaften schlechthin. „Verschwendung vermeiden“ ist seine Devise. „Qualitätsmanagement ist dann richtig angewandt, wenn die Ressourcen Geld, Zeit und Umwelt geschont werden“, sagt der hoch dekorierte Emeritus von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen.

Wenn Unternehmen künftig nicht mehr für die Qualität ihrer Produkte tun, gehen sie unter

„Es gibt keine Alternative. Wenn Unternehmen nichts für ihr Qualitätsmanagement tun, gehen sie unter am globalen Markt“, sagt Professor Albert Weckenmann, GQW-Mitglied und Inhaber des Lehrstuhls für Qualitätsmanagement und Fertigungsmesstechnik an der Universität Erlangen-Nürnberg. „Wir bewegen uns nun nicht mehr in geschützten Märkten“, erklärt er und nennt als Beispiele den „Trabbi“ und den „Wartburg“. „Besonders in der Technik-Branche und bei Produkten, die weltweit vertrieben werden, müssen Innovationen sehr schnell umgesetzt werden“, sagt er. Schnell sei jemand anders da, der es besser mache. Durch die Öffnung der Märkte entfalle jeglicher Schutz, und die Gefahren seien enorm gestiegen. Deutlich wird das auch am Fall des „Brilliance BS6“, ein Produkt aus Fernost, das auf dem deutschen Markt etabliert werden soll.

Mit dem Slogan „Viel Auto für wenig Geld“ hatte das chinesische Unternehmen Brilliance seine Limousine auf dem deutschen Markt beworben, doch eher bekannt wurde sie im vergangenen Jahr dann durch Schlagzeilen wie „Schrott aus China“. Grund waren die verheerenden Ergebnisse beim ADAC-Crashtest. Den ersten 350 deutschen Käufern wurde der Umtausch angeboten, und der Hersteller begann mit Nachbesserungen an seinem „Premiumprodukt“. Es gebe auch Beispiele für schlechte Qualität aus der deutschen Automobilproduktion, sagt Weckenmann. Rückrufaktionen mit Kosten in dreistelliger Millionenhöhe seien auch hier keine Seltenheit mehr. Würden kleine Defekte bereits während der Konzeption und Entwicklung entdeckt und behoben, gäbe es weniger Rückrufaktion, Gewährleistungsfälle oder Schadenersatzklagen.

„Wir tun zu wenig für die Qualität. 'Made in Germany' gilt zwar immer noch als Inbegriff hervorragender Qualität, doch angesichts der Globalisierung der Märkte müssen wir uns intensiver anstrengen als je zuvor, um die Ansprüche an das Siegel zu erfüllen“, sagt Weckenmann. 'Made in Germany' müsse auch mit neuen Inhalten gefüllt werden. Es gehe es nicht mehr nur um die Qualität der Produkte, sondern auch um die der Fertigungsprozesse. Im deutschen Know-how zur Beherrschung von Fertigungsprozessen sieht er auch eine Chance, sich gegen Plagiate zu schützen – “ wenn man es dem Produkt nicht ansieht, wie es hergestellt wurde. Wir müssen dahin kommen, dass man ein Produkt nicht mehr kopieren kann, wenn man nicht auch den zugehörigen Produktionsprozess beherrscht.“

Defizite im Qualitätsmanagement haben zum Beispiel auch zu den großen Verzögerungen bei der Fertigstellung des deutschen Mautsystems geführt. Die technischen Probleme an der Basis wurden nicht rechtzeitig bekannt, es habe erhebliche Kommunikationsprobleme gegeben, hieß es. Auch die Lieferverzögerungen beim Großraumflieger A380 wurden vielfach auf Defizite in der Kommunikation zurückgeführt. Informationen über technische Probleme seien nicht in die Vorstandsetagen aufgestiegen. „Es gibt kein Qualitätsmanagement ohne Kommunikation“, wissen die Fachleute. Und die beginnt bereits mit dem Prüfen der Tauglichkeit einer Idee. „Wir müssen früher an die potenziellen, künftigen Käufer herantreten“, sagt Nadine Schlüter von der Dortmunder Initiative zur rechnerintegrierten Fertigung (RIF). So bedürfe es auch neuer Verfahren zur Prüfung der Kundenanforderungen.

Nur mit Qualitätsbeauftragen und Zertifizierungen ist es nicht getan – Defizite auch in der Lehre

„Besonders die Unternehmen in den führenden Industriestaaten müssen ihre Marktanteile durch Innovationen absichern“, sagt GQW-Mitglied, Tagungsleiter und BIMAQ-Leiter Professor Gert Goch. „Dabei werden die Produktlebenszyklen stetig kürzer, und entsprechend wenig Zeit bleibt für Testphasen oder einführende Kleinserien, also für die Sicherung der Innovationsqualität.“ Der schnelle Weg in die Massenproduktion berge hohe Risiken und stelle höchste Ansprüche an die Planung der Prüf- und Produktionsverfahren. „Wir müssen die Prozesse besser beherrschen“, sagt Goch. Und es lasse sich nur verbessern, was man messen könne.

„Es gibt keinen beherrschten Prozess ohne Messtechnik. Ohne sie kann man den Prozess nicht hinsichtlich der Qualitätsmerkmale regeln“, erklärt der Messtechnik- und Qualitätsregelungsexperte. Die Qualitätsfähigkeit in der Serienproduktion lasse sich immer weniger durch Stichprobenprüfungen gewährleisten. „Um eine prozessübergreifende Qualitätsregelung zu realisieren, genügt es nicht mehr, die Fertigungsschritte einzeln zu betrachten, sondern es gilt, die gesamte Kette des Produktionsprozesses zu analysieren und zu modellieren“, sagt Goch. Als Beispiel nennt er die Integration von Messungen in die laufenden Fertigungsprozesse: Die Qualitätsmerkmale der Werkstücke werden während der Produktion im Arbeitsraum der Maschine gemessen. Dieses In-Prozess-Verfahren und ein qualitätsgeregelter Produktionsprozess ermöglichen einen schnellen und gezielten Eingriff in den Fertigungsablauf.

„Nur mit Qualitätsbeauftragen und Zertifizierungen ist es also nicht getan“, meint der Bremer Wissenschaftler. Rechtfertigungsversuche wie die der chinesischen Jiangling Motors Company vor drei Jahren nach den katastrophalen Crashtest-Ergebnissen ihres neuen Geländewagens „Landwind“, man habe doch die Norm ISO 9001-2000 für Qualitätsmanagement und die chinesische CCC-Produktzertifizierung erfüllt, lässt er nicht gelten. Noch nie habe ein Fahrzeug derart schlecht abgeschnitten, hatte der ADAC berichtet.

Die Sicherung der Innovationsqualität sei eine sehr umfassende, viele Disziplinen betreffende Aufgabe, sagt Goch, und leider werde sie noch immer vernachlässigt. Das beginne schon bei der Ausbildung: „In der Lehre gibt es gravierende Defizite“, beklagt er. Zum Teil würden den Studierenden nicht einmal die elementaren Kenntnisse des Qualitätsmanagements vermittelt. So fehle es in den Unternehmen einfach häufig auch an dem erforderlichen Wissen zur Lösung von Qualitätsproblemen. Er verweist auf die Komplexität mechatronischer Systeme. Hier kommen Elemente der Elektrotechnik, des Maschinenbaus und der Informatik zusammen, was ganz neue Fragen aufwirft.

Spezialisten auf diesem Gebiet sind Professorin Dr.-Ing. Petra Winzer und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der Bergischen Universität Wuppertal. „Es müssen nicht immer neue Methoden zur Qualitäts- und Zuverlässigkeitssicherung entwickelt werden“, meint Dipl.-Ing. Gerd Gößel, einer der Wissenschaftler in Winzers Team. Bereits die sinnvolle Verknüpfung bekannter Qualitätsmanagementmethoden entlang des gesamten Produktlebenszyklus könnte die Zuverlässigkeit der Produkte erhöhen.

Am Beispiel der Entwicklung mechatronischer Systeme erforschen sie andere Wege zur Verbesserung der Innovationsqualität. Ihr Lösungsansatz: Alle sich im Prozesslebenszyklus ändernden Produktdaten werden in einem Datenmodell abgelegt, logisch verknüpft und die Rückverfolgung der Daten ermöglicht. Das erlaube, so GQW-Mitglied Winzer, problembezogene Sichten auf die Gesamtheit unterschiedlicher Produktdaten und das Erkennen von Abhängigkeiten und deren Auswirkungen. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen in den Produktentwicklungsprozess zurück und sichern damit die Qualität der Produkte.

Gesellschaft für Qualitätswissenschaft (GQW)

1994 gegründet, umfasst die Gesellschaft für Qualitätswissenschaft e. V. (GQW) heute knapp 20 Mitglieder. Anders als die Deutsche Gesellschaft für Qualität (DGQ), die sich an eine große Öffentlichkeit wendet, arbeitet die GQW eher im Hintergrund. Das Forum dient dem Austausch von Informationen auf höchstem wissenschaftlichem Niveau. Mit ihrer Arbeit wollen die Forscherinnen und Forscher Trendmarken in der wissenschaftliche Forschung setzen, Forschungsprogramme initiieren und gestalten sowie die Lehre, den internationalen Austausch und den Wissenschaftstransfer in die industrielle Anwendung unterstützen. Das geschieht unter anderem durch die Pflege des wissenschaftlichen Erfahrungsaustausches, die Verbreitung von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen (F&E) oder die Abgabe von Empfehlungen für Ausbildungsinhalte (Studienpläne) sowie die Erarbeitung von Vorschlägen für neue F&E-Programme. Zu diesem Zweck auch veranstaltet die GQW jährlich Tagungen an wechselnden Orten zu aktuellen Schwerpunktthemen.

Sabine Nollmann

Achtung Redaktionen:
Der Tagungsband kann unter Telefon 0421 218-646-01 angefordert werden. Fotos stehen unter http://www.bimaq.de/index.php?id=87 zur Verfügung.
Weitere Informationen und Ansprechpartner:
http://www.bimaq.de
http://www.gqw.de
Prof. Dr.-Ing. Gert Goch
Telefon: 0421 218 646-01, E-Mail: gg@bibmaq.de
Prof. em. Dr.-Ing. Dr. h. c. Prof. h. c. Tilo Pfeifer
Telefon: 0241 802 74 12, E-Mail: t.pfeifer@wzl.rwth-aachen.de

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