Wasserzirkulation: Großes Feldexperiment auf dem Bodensee

Herr Professor Peeters, Sie wollen die Wasserzirkulation erfassen. Können Sie mit Hilfe Ihrer Ergebnisse darstellen, was zum Beispiel bei einem Unfall mit Schadstoffen passiert?

Unser eigentliches Vorhaben ist es, die Zirkulation im Bodensee zu unterschiedlichen Jahreszeiten und Wetterbedingungen zu erfassen, und wir hoffen auch, dass wir ein paar typische Wetterlagen mitkriegen.

Die besten Informationen über die großskaligen Strömungsverhältnisse im Bodensee stammen aus den 20er-Jahren, als man Daten aus der Abdrift der Fischernetze gewonnen hat. Zusätzlich zu den eigentlichen Forschungsergebnissen des Vorhabens werden durch die im Projekt beschafften Driftkörper Instrumente bereitgestellt, die bei Unfällen unmittelbar eingesetzt werden können, um den advektiven Transport eines eingetragenen Schadstoffs direkt verfolgen zu können.

Wer wird über derlei Instrumente verfügen?

Beispielsweise das Institut für Seenforschung in Langenargen (ISF), das Kooperationspartner in unserem Projekt ist. Dem ISF werden am Ende des Projekts mehrere Driftkörper zur Verfügung stehen, die bei Unfällen vor Ort eingesetzt werden können. Im Fall eines Schadstoffeintrags kann man zum Unfallort hinfahren und Driftkörper einsetzen, um zu sehen, wohin die Schadstoffe treiben. Die Strömungen sind ja entscheidend für den Transport von Schadstofffahnen, und bisher gibt es keine einfache Möglichkeit festzustellen, wie groß die Strömungsgeschwindigkeiten im Bereich eines Schadstoffeintrags tatsächlich sind.

Warum setzen Sie und Ihre Mitarbeiter die Driftkörper jetzt im November aus?

Wir haben die Driftkörper schon einmal im Sommer ausgesetzt, allerdings war das eine Testphase: Wir wollten sicher gehen, dass wir auch tatsächlich im gesamten Obersee mit den in der Werkstatt der Universität gebauten Driftkörpern kommunizieren können. Die Driftkörper bestehen aus einem Unterwassersegel, das einen Meter Durchmesser hat und zweieinhalb Meter lang ist, und einer Oberflächenboje. Letztere hat einen Durchmesser von 20 Zentimetern, ragt relativ wenig aus dem Wasser, damit sie nicht durch den Wind abgetrieben wird. Diese Oberflächenboje misst selbständig ihre Position mit GPS und sendet ihre Koordinaten mit SMS an das Limnologische Institut. In der Testphase gab es damit noch Probleme.

Inwiefern?

Wir hatten nicht bedacht, dass unsere Bojen in bestimmten Bereichen des Sees versuchen, sich ins Schweizer Netz einzuwählen. Dabei gab's Verzögerungen mit dem Anschluss und die Datenübermittlung war unterbrochen. Wir mussten die Drifter dann suchen gehen. Das Problem ist mittlerweile gelöst und die Drifter schalten sich nicht mehr ab, wenn sich das Netz ändert. Wir werden die Driftkörper nicht nur jetzt, sondern auch zu anderen Zeiten während unseres dreijährigen Projekts aussetzen. Ein wichtiges Ziel unserer Messungen ist, Daten bereit zu stellen, anhand derer wir Simulationen mit numerischen Modellen überprüfen können. Uns stehen zwei Modelle zur Verfügung, die die dreidimensionalen Strömungsmuster im Bodensee simulieren können: eines wurde in Australien entwickelt und liefert bereits im Dauerbetrieb on-line die Strömungen im Bodensee, das andere stammt aus Holland und wird am ISF in Langenargen betrieben.

Sollen die Modelle zu einem zusammengeführt werden?

Nein, das ist auch gar nicht möglich. Wir wollen beide Modelle vergleichen und die Voraussagen überprüfen. Es geht uns darum, die physikalischen Modelle gut zu validieren um festzustellen, welches Modell unter welchen Umweltbedingungen besser zutrifft. Später kommt dann ein biologisches Modell hinzu, um weitere Fragen angehen zu können, zum Beispiel: Wie verteilen sich Nährstoffe und Plankton im Bodensee?

Welche Wege werden die Driftkörper zurücklegen?

Das können – abhängig von den Wind- und Schichtungsverhältnissen – schon einige Kilometer pro Tag sein. Schön ist, dass wir ja jederzeit wissen, wo die Driftkörper sind; sie übermitteln mit Hilfe des GSM-Moduls ihre Position an eine PC-Zentrale. Der direkte Zugriff auf die Driftkörperdaten ist über das GSM-Modul jederzeit möglich und die aktuell gemessenen Transportpfade der Bojen können auf geographischen Karten des Bodensees dargestellt werden. Die Stromversorgung der Driftkörper ermöglicht einen autonomen Einsatz von maximal vier Tagen.

Senden die Bojen rund um die Uhr? Und in welchem zeitlichen Rhythmus?

Die Bojen messen und speichern im Fünf-Sekunden-Takt ihre Position. Die Datenübertragung findet alle sechs Stunden rund um die Uhr statt. Es können aber auch kürzere Zeitintervalle eingestellt werden. Außerdem können wir zu jedem Zeitpunkt die Driftkörper anrufen und erhalten dann sofort deren aktuelle Position.

Das Projekt läuft seit Ende 2007. Welches finanzielle Volumen hat das Projekt und viele Mitarbeiter haben Sie?

Wir haben 166000 Euro zur Verfügung, und die sind hauptsächlich für die Löhne. Das Projekt wird gefördert über das Programm „BWPLUS: Baden-Württemberg Programm Lebensgrundlage Umwelt und ihre Sicherung“. Von der Universität Konstanz arbeiten wir zu viert an dem Projekt: Bei mir liegt die Federführung, Joachim Bartsch organisiert die Feldexperimente und ist für die Modellierung und wissenschaftliche Auswertung zuständig, Josef Halder ist unser Techniker, und Jennifer Baur hilft bei den Feldarbeiten und Programmierarbeiten. Froh sind wir auch über die Zusammenarbeit mit dem ISF der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) in Langenargen, das uns mit Schiffen und Man-Power unterstützt. Thomas Wolf vom ISF ist Ko-Projektleiter und rechnet Strömungsfelder mit einem der Modelle.

Was konkret ist weiter geplant?

Kommendes Jahr wird es weitere Experimente geben, parallel dazu läuft die aufwändige Modellierung, in der die Strömungen im See simuliert werden. Im letzten halben Jahr werden wir hauptsächlich mit Computerauswertungen beschäftigt sein, die Modelle und die von uns gewonnenen Daten vergleichen und zusammenführen.

Können Ihre Erkenntnisse auf andere Seen übertragen werden?

Das Strömungsfeld ist sicherlich spezifisch für den Bodensee. Die Erkenntnisse über die Modelle sind aber übertragbar. Und auch die Methodik wird man weiter nutzen können – die Instrumente bleiben erhalten und können auch mit ihrer Technik in anderen Systemen eingesetzt werden.

Sie hoffen, dass die Driftkörper auf keinen Fall geborgen oder angefahren werden…

Ja, denn sonst wird das wissenschaftliche Experiment gestört. Nur wenn unsere Driftkörper in Häfen oder ans Ufer driften, dann wäre es schön, wir würden unter der Telefonnummer 07531 / 88-3333 benachricht werden. Denn klar ist: Nur auf dem See können die Driftkörper ihren Dienst tun und uns die benötigten Daten übermitteln.

Zur Person:

Frank Peeters ist seit 2003 Professor für Umweltphysik an der Fakultät für Biologie an der Universität Konstanz. Er hat Physik in Siegen, Freiburg und Peterborough (Kanada) studiert und seinen Abschluss im Rahmen des „Freshwater Science Graduate Studies Program“ (Thema: Oberflächenphysik) M.Sc. Physics (FWS) gemacht. Von 1989 bis 1994 hat er seine Promotion an der Eidgenössisch Technischen Hochschule / EAWAG bei Professor D.M. Imboden zum Thema „Horizontale Mischung in Seen“ geschrieben. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ETH/EAWAG war Frank Peeters von 1994 bis 2003, von 1997 bis 1998 mit einem Forschungsstipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Seine Forschungsschwerpunkte sind: Mischungsprozesse in großen Seen; Oberfächenwellen und interne Wellen: Eigenschaften und ökologische Bedeutung; Interpretation von Umwelttracern in Seen und Grundwasser im Hinblick auf Wasseraustausch, Datierung und Paleoklima; Modellierung von Transportprozessen in Seen und Grundwasser (Temperaturverteilung im See und die Auswirkung steigender Lufttemperaturen, Gasaustausch und Transport im Grundwasser, Transport im Sediment); Ökologische Modellierung (Phytoplanktonblooms, altersstrukturierte Daphnienmodelle, Auswirkung von Klimaveränderung auf ökosystemare Interaktionen).

Media Contact

Claudia Leitenstorfer idw

Weitere Informationen:

http://www.uni-konstanz.de

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