Der Tannenhäher, auch „gefiederter Förster“ genannt, vergräbt die Samen der Zirbelkiefer im Boden und trägt somit zur Ausbreitung der Bäume bei. Dabei geht der Vogel aber nicht so uneigennützig vor, wie bisher angenommen. Er versteckt die Samen zumeist an Stellen, die für die Keimung der Baumsamen eher ungünstig, für ihn selbst jedoch günstig sind, wie ein Autorenteam des LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrums (BiK-F) und der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) im „Journal of Animal Ecology“ berichtet. Dies zeigt, dass zielgerichtete Samenausbreitung durch Tiere auch negative Effekte auf die Pflanzenart haben kann.
Die Zirbelkiefer (Pinus cembra) hat ein Problem mit der Fortpflanzung. Ihre Samen stecken in einem Zapfen, der sich – anders als bei den meisten anderen Nadelbäumen – nicht von allein öffnet. Glücklicherweise hat ihr die Natur den Tannenhäher (Nucifraga caryocatactes) zur Seite gestellt.
Der Vogel ernährt sich fast ausschließlich von Zirbelkiefersamen und zieht sogar seine Jungen damit auf. Mit seinem Schnabel hackt er die Zapfen auf, um an die Samen zu gelangen. Als Vorrat für den Winter vergräbt er im Herbst zusätzlich Samen im Boden und trägt somit zur Ausbreitung der Pflanze bei.
„Aber er versteckt die Samen gerade da, wo sie nicht besonders gut keimen können. Während Zirbelkiefersamen feuchten Boden und viel Licht brauchen, um aufzugehen, vergräbt der Tannenhäher sie dort, wo der Boden trocken und das Kronendach relativ dicht ist“, so Dr. Eike Lena Neuschulz, Biologin am LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F) und Hauptautorin der Studie. Sie hat mit Kollegen der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) das faszinierende Verhalten des Vogels monatelang studiert.
Der Eichelhäher und der Tannenhäher sind die einzigen Vögel in Europa, die Samen in der Erde verstecken, um sie später zu fressen. Sonst ist dieses Verhalten eher von Nagetieren wie dem Eichhörnchen bekannt. Studien haben gezeigt, dass Nagetiere Samen zumeist dort vergraben, wo es eher unwahrscheinlich ist, dass sie von Räubern gefunden werden. Für den Tannenhäher scheint dies, so die aktuelle Studie, jedoch nicht entscheidend für die Standortwahl seiner Depots zu sein.
Aus der Sicht des Tannenhähers macht sein Verhalten durchaus Sinn, denn wenn der Samen nicht keimt, ist er länger haltbar und dadurch auch später noch als Futter verfügbar. „Weil zudem die Samenproduktion der Zirbelkiefer von Jahr zu Jahr unterschiedlich ausfallen kann, müssen Tannenhäher dabei möglicherweise auf Verstecke zurückgreifen, die sie vor langem angelegt haben“, erklärt Neuschulz. Auch darum dürfte Haltbarkeit Trumpf sein.
Der Tannenhäher war im Alpenraum stark gefährdet, weil Förster vermuteten, dass der Vogel zu viele Samen der Zirbelkiefer frisst und ihn deshalb jagten. Gerettet haben ihn unter anderem aufmerksam beobachtende Förster und umfangreiche Forschungsarbeiten aus den 1970er und 1980er Jahren. Diese stellten fest, dass der Vogel den Samen der Zirbelkiefer verbreitet und dieser Baumart durchaus nützt.
Dank seines exzellenten räumlichen Erinnerungsvermögens nimmt man an, dass der Tannenhäher 80 % der von ihm versteckten Samen wiederfindet. „Wenn die übrigen 20 % dann aber an Standorten vergraben sind, wo sie schlecht keimen können, dürfte der Beitrag des Tannenhähers an der Verjüngung der Bestände der Zirbelkiefer deutlich geringer sein als bisher angenommen“, resümiert Neuschulz.
Sie ergänzt: „Depots anzulegen ist eine bekannte Strategie von Tieren, Zeiten geringer Futterverfügbarkeit zu überbrücken. Diese Depots werden meist gezielt an bestimmten Orten angelegt. Die Ausbreitung der Pflanzen ist für diese ein erfreulicher Nebeneffekt. Der Tannenhäher ist jedoch eines der wenigen Beispiele, bei denen tierische Samenausbreitung nicht so erfolgt, wie es für die Pflanze optimal wäre.“
Publikation:
Neuschulz, Eike Lena et al.: Seed perishability determines the caching behavior of a food-hoarding bird – Journal of Animal Ecology, DOI: 10.1111/1365-2656.12283
Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte:
Dr. Eike Lena Neuschulz
LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F)
Tel. +49 (0)69 7542 1872
elneuschulz@senckenberg.de
oder
Sabine Wendler
LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK-F),
Pressereferentin
Tel. +49 (0)69 7542 1838
Sabine.wendler@senckenberg.de
LOEWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Frankfurt am Main
Mit dem Ziel, anhand eines breit angelegten Methodenspektrums die komplexen Wech-selwirkungen von Biodiversität und Klima zu entschlüsseln, wird das Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK‐F) seit 2008 im Rahmen der hessischen Landes‐Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz (LOEWE) gefördert. Die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und die Goethe Universität Frankfurt sowie weitere direkt eingebundene Partner kooperieren eng mit regionalen, nationalen und internationalen Akteuren aus Wissenschaft, Ressourcen‐ und Umweltmanagement, um Projektionen für die Zukunft zu entwickeln und wissenschaftlich gesicherte Empfehlungen für ein nachhaltiges Handeln zu geben. Mehr unter www.bik‐f.de
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Sabine Wendler | Senckenberg
Weitere Informationen:
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