Sind die Schildkröten der Welt am Rand des Aussterbens?

Die Dickhalsschildkröte (Siebenrockiella crassicollis), von der International Union for Conservation of Nature (IUCN) als „gefährdet” kategorisiert, wird durch den Klimawandel maßgeblich in ihrem heutigen Verbreitungsgebiet beeinträchtigt. In mehr als ¾ des als geeignet eingestuften Habitats werden Klimabedingungen auftreten denen sie heute nicht ausgesetzt ist.<br>Foto: F. Ihlow<br>

Acht Wissenschaftler der herpetologischen Arbeitsgruppe des Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig Bonn (ZFMK), Deutschland, präsentierten in der Fachzeitschrift Global Change Biology die Ergebnisse einer umfangreichen Studie, wie die globale Verbreitung und die Artenvielfalt der Schildkröten in naher Zukunft durch den Klimawandel beeinflusst werden könnten. Das Team nutzte modernste geostatistische Verfahren um auf Basis von über 20.000 Einzelnachweisen von 199 Schildkrötenarten (78% aller rezenten Taxa) die aktuellen Verbreitungsgebiete mathematisch zu beschreiben.

Die Forscher nutzten moderne Verfahren der Habitatmodellierung um zu analysieren, wie der anthropogene Klimawandel die Verbreitung der Tiere beeinflussen könnte und in welchen Regionen der Klimawandel einen besonderen Stressor für die lokale Schildkrötendiversität darstellt. Dabei erstellten sie für jede Art ein detailliertes Assessment, welches, basierend auf der aktuellen Verbreitung sowie heutiger Umweltansprüche der Arten, ermöglicht Zukunftsszenarien zu entwickeln. Hierzu projizierte das Team die derzeitigen Verbreitungsmuster unter Berücksichtigung ausgewählter bioklimatisch relevanter Variablen auf verschiedene vom Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) entwickelten Klimawandelszenarien für das Jahr 2080.

Die Verbreitungsmuster der meisten Schildkröten zeigten bereits unter heutigen klimatischen Bedingungen eine starke Abhängigkeit von jahreszeitlichen Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen, die gut mit bekannten physiologischen Eigenschaften der Tiere übereinstimmen. Insbesondere die zur erfolgreichen Entwicklung der Eier notwendigen Umweltbedingungen stellen eine kritische Phase im Lebenszyklus dar, zumal bei der Mehrzahl der Taxa das Geschlecht über die Inkubationstemperatur bestimmt wird. Die Zukunftsszenarien lassen befürchten, dass sich die heutige Größe, sowie räumliche Verbreitung der aktuell realisierten, klimatischen Nischen der meisten Schildkröten Arten in bemerkenswerter Weise verändern wird. Inwiefern die Tiere mit den zukünftigen, veränderten Umweltbedingungen zurechtkommen können, bleibt abzuwarten. Jedoch ist zu befürchten, dass das Zusammenspiel von zunehmender Fragmentierung der Habitate und klimatischem Stress eine ernsthafte Bedrohung für viele Arten darstellen könnte.

„Diese innovative Studie zeigt, wie wichtig biologische Sammlungen für die Biodiversitäts- und Klimafolgenforschung sind. Sie stellen Archive dar, die für solch groß angelegten Analysen potentieller Bedrohungen für die weltweite Biodiversität unentbehrlich sind.“ sagt Prof. Dr. Wolfgang Wägele, Direktor des ZFMK.

„Die heutige Schildkrötendiversität wird von zukünftigen Änderungen des Klimas betroffen sein, wobei die Auswirkungen regional sehr unterschiedlich ausfallen können.“ erklärt Flora Ihlow, korrespondierende Autorin. „Unsere Prognosen zeigen, dass innerhalb der nächsten Jahrzehnte 86% aller Schildkrötenarten in ihren heutigen Arealen deutlich veränderte Klimabedingungen vorfinden werden.“

„Nicht nur, dass sie wechselwarm und daher besonders anfällig für jegliche klimatische Veränderung sind, auch die erfolgreiche Inkubation und Geschlechterfixierung der Nachkommen ist bei Schildkröten temperaturabhängig“, erläutert Dr. Dennis Rödder, Kurator der Herpetologischen Sektion des ZFMK und Leiter der Studie. „Es war bereits vor unseren Analysen zu vermuten, dass der Klimawandel ernsthafte Konsequenzen für die globale Schildkrötenbiodiversität haben könnte. Nun haben wir starke Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Annahmen.“

“Unsere Ergebnisse sind äußerst besorgniserregend, da die Schildkröten bereits heutzutage eine der meistbedrohten Gruppen innerhalb der Wirbeltiere darstellen. Mehr als die Hälfte aller Schildkröten Arten sind durch anthropogene Einflüsse wie Habitatzerstörung und illegalen Tierhandel vom Aussterben bedroht“, warnt Ihlow. „Zunehmende Habitatfragmentierung und klimatischer Stress werden hier verstärkend wirken“

In ihrer Studie fassen die Bonner Forscher zudem den aktuellen Stand des Wissens über die globale Schildkrötendiversität zusammen. Wichtigste Grundlage bildeten hier die weltweit zur Verfügung stehenden musealen Sammlungen sowie deren Metadaten die in Online Datenbanken verfügbar sind. „Wir hatten für 199 der 256 rezenten Schildkrötenarten eine ausreichend große Datenmenge“, sagt Rödder. „Insgesamt verwendeten wir einen recht eindrucksvollen Datensatz basierend auf 27.349 einzelnen Artnachweisen.“

“Durch die Verbreitungsmodellierung war es uns möglich das Muster der aktuellen Verbreitung und Diversität für 199 Schildkröten Arten sehr genau einzuschätzen, und „Diversitäts-hot-spots“ zu identifizieren“, erläutert Ihlow. „Indem wir diese potentiellen Verbreitungsdaten auf elf verschiedene Klimawandelszenarien des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) projizierten, sind wir zum Einen in der Lage mögliche Änderungen der realisierten Nischen detailliert zu diskutieren, zum Anderen erlauben unsere Daten die Beurteilung zukünftiger regionaler Ab- und Zunahmen der globalen Schildkröten Artenvielfalt.“

Ihlow et al. (2012): On the brink of extinction? How climate change may affect global chelonian species richness and distribution. Global Change Biology. DOI: 10.1111/j.1365-2486.2011.02623.x

Die wissenschaftlichen Untersuchungen des zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig (Leibniz Institut für Biodiversität der Tiere) dienen dem Erhalt der Biodiversität. Insbesondere weil nur ein Bruchteil der existierenden Arten heute bekannt ist, drängt die Zeit, Methoden zu entwickeln, mit denen schnell und effizient Arten im Gelände bestimmt werden können. Näheres unter www.zfmk.de

Zur Leibniz-Gemeinschaft gehören zurzeit 86 Forschungsinstitute und wissenschaftliche Infrastruktureinrichtungen für die Forschung sowie drei assoziierte Mitglieder. Die Ausrichtung der Leibniz-Institute reicht von den Natur-, Ingenieur- und Umweltwissenschaften über die Wirtschafts-, Sozial- und Raumwissenschaften bis hin zu den Geisteswissenschaften. Leibniz-Institute arbeiten strategisch und themenorientiert an Fragestellungen von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung Bund und Länder fördern die Institute der Leibniz-Gemeinschaft daher gemeinsam.

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