Die Geheimnisse der Riffbaumeister – Korallen als Lebensraum und als Forschungsobjekt

Die Wissenschaftler konnten beweisen, dass auch diese Riffe – wie die tropischen Warmwasserkorallen – große Mengen organischen Materials absondern, wodurch die Aktivität der Mikroorganismen in diesem Ökosystem entscheidend beeinflusst werden kann.

Weitere Wissenslücken könnten nun mit Hilfe einer anderen Studie geschlossen werden, die unter der Leitung von Dr. Christian Laforsch durchgeführt wurde: Er und sein Team haben eine Methode zur Vermessung der Oberfläche von Korallen entwickelt, bei der – anders als bei den sonst üblichen Verfahren – das empfindliche Gewebe nicht geschädigt wird. Die Korallenoberfläche ist für die Forschung und Aufklärung biophysikalischer Prozesse eine zentrale Größe. Nun hat die Wissenschaft ein wichtiges Instrument an der Hand, um Nährstoffkreisläufe, Wachstumsraten und andere Prozesse am Riff zu untersuchen. (Coral Reefs, Dezember-Ausgabe, und Marine Ecology Progress Series, 9. Dezember 2008)

Durch die Benennung des Jahres 2008 als 2. Internationales Jahr des Riffs sollte die öffentliche Aufmerksamkeit verstärkt auf die Korallenriffe als außerordentlich wichtige Ökosysteme gelenkt werden. Die zum Teil gigantischen Riffe werden von Nesseltieren gebildet und bieten selbst wieder einer ganzen Reihe verschiedener Arten einen Lebensraum. Tropische Korallenriffe etwa werden häufig als „Regenwälder der Meere“ bezeichnet, weil sie unter anderem Seesternen, Schwämmen, Krebstieren, Fischen und Muscheln Lebensraum bieten. Daneben beherbergen sie auch eine Reihe von Mikroorganismen, zum Beispiel Bakterien, Viren und Einzeller. Doch Korallenriffe sind stark gefährdet, unter anderem durch die Klimaerwärmung und bestimmte Techniken der Fischerei, die die empfindlichen Nesseltiere beschädigen können. An der LMU beschäftigen sich mehrere Arbeitsgruppen mit diesen wichtigen Ökosystemen, die als Lebensraum bei weitem noch nicht verstanden sind.

Vor allem die Kaltwasserkorallen, die bis vor zehn Jahren nahezu unbekannt waren, sind vergleichsweise wenig erforscht. Kaltwasserkorallen leben bei Wassertemperaturen von vier bis zehn Grad Celsius und sind in Wassertiefen von hundert bis zu mehreren tausend Metern zuhause. Nur wenige Labore weltweit sind in der Lage, die Tiefseetiere im Aquarium zu halten, so dass ihre Erforschung entsprechend aufwendig ist. Einem Forscherteam um Dr. Christian Wild, Leiter der Coral Reef Ecology Work Group (CORE) am GeoBio-Center der LMU, ist nun erstmals gelungen, die Wechselwirkung zwischen Kaltwasserkorallen und den Lebensformen ihrer Umgebung genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Wissenschaftler untersuchten die Abgabe organischer Stoffe bei Kaltwasserkorallen in einem Aquarium der norwegischen Universität Bergen. Dabei konnten sie zeigen, dass die Nesseltiere kontinuierlich organisches Material in Form von Schleimen und Zuckern ins Wasser abgeben, und zwar in ähnlicher Menge wie ihre Verwandten in tropischen Gewässern.

Diese Substanzen sind nährstoffreich und dienen einer Reihe von Mikroorganismen als Nahrungsgrundlage. So wiesen Wild und sein Team durch Analysen vor Ort im norwegischen Røst Riff nach, dass die Aktivität der Mikroorganismen in direkter Nähe zum Korallenriff zehn Mal so hoch ist wie in der Wassersäule oberhalb des Riffs. Dadurch werden wiederum Stoffwechselkreisläufe in Gang gesetzt, die beeinflussen könnten, an welchen Stellen des Riffs sich welche Lebewesen ansiedeln. „Man kann die Kaltwasserkorallen als Riffarchitekten bezeichnen“, erläutert Wild. „Denn sie bestimmen eine ganze Reihe von Eigenschaften und Prozessen der tiefen Riffe. Dadurch tragen sie wesentlich zum Funktionieren des gesamten Riffökosystems bei.“

Durch den Klimawandel und die Einwirkungen des Menschen sind die sensiblen Ökosysteme jedoch stark gefährdet. So trägt die Übersäuerung der Meere dazu bei, das empfindliche Kalkgerüst der Korallen zu zerstören, durch die Fischerei mit Schleppnetzen oder das Verlegen von Ölleitungen werden immer wieder Teile der Riffe zertrümmert. „Das genaue Verständnis der ökologischen Prozesse in den Kaltwasserkorallenriffen ist daher ein entscheidender Faktor, um diese Ökosysteme schnell und wirksam unter Schutz zu stellen“, betont Wild.

Ein wichtiger Parameter für die Aufklärung der biophysikalischen Prozesse in den Riffen ist die Oberfläche der Korallen. Diese dient als Bezugsgröße, um die Photosyntheserate, Nährstoffkreisläufe oder die Wachstumsrate der Korallen zu bestimmen. Bislang konnte sie oft nur mit Hilfe aufwendiger Methoden bestimmt werden, bei denen die Korallenarme in Wachs getaucht oder mit Alufolie umwickelt wurden, was meist zum Absterben der Korallen führte. Nicht-invasive Methoden, bei denen geometrische Modelle zur Bestimmung der Oberfläche eingesetzt werden, vermeiden zwar eine Beschädigung der Korallen, sind dafür jedoch relativ ungenau. Nun hat eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Biologen Dr. Christian Laforsch am Department Biologie II ein Verfahren entwickelt, mit dem sich die Oberfläche der Korallen sehr genau bestimmen lässt, ohne sie zu beschädigen.

Bei der neuen Methode, die in Zusammenarbeit mit der CORE-Arbeitsgruppe um Christian Wild und Wissenschaftlern am Institut für klinische Radiologie der Medizinischen Fakultät der LMU entwickelt wurde, werden mit Hilfe der Computertomographie (CT) Querschnittsbilder des Korallenskeletts erstellt. Auf diese Weise gelang es den Forschern, auch lebende Korallen zu untersuchen. Diese wurden in einem Aquarium aus Akryl in den CT-Scanner gefahren, wodurch eine Verfälschung des Messergebnisses durch den Wasserbehälter vermieden werden konnte. Dank der modernen Computertechnik erstellten die Forscher anschließend ein 3D-Modell der Korallenstruktur. „Das Skelett der Korallen ist nur von einer dünnen Gewebeschicht umgeben“, erklärt Laforsch. „Deshalb kann die Oberfläche des Kalkskeletts im Wesentlichen mit der Korallenoberfläche gleichgesetzt werden.“

Mit der neuen Technik lassen sich selbst feinste Strukturen der Korallen dreidimensional darstellen. „Die Methode ist mit Abstand die genaueste, die im Moment existiert“, sagt Laforsch. „Sie bietet uns in Zukunft die Möglichkeit, die Oberfäche jeglicher Korallenart und -wuchsform zu berechnen.“ Somit könnte das Verfahren auch bei der zukünftigen Erforschung der Kaltwasserkorallen wie auch ihrer Verwandten in tropischen Gewässern genutzt werden. Weitere Studien der CORE-Arbeitsgruppe sind bereits in Planung. So wollen Wild und sein Team in einem von der „European Science Foundation (ESF)“ und der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG geförderten Projekt die biologischen und geochemischen Prozesse in den Kaltwasserkorallenriffs nun detaillierter untersuchen. (ca/suwe)

Publikationen:
„A precise and non-destructive method to calculate the surface area in living scleractinian corals using X-ray computed tomography and 3D modeling“
Christian Laforsch, Eva Christoph, Christian Glaser, Malik Naumann, Christian Wild und Wolfgang Niggl
Coral Reefs, Bd. 27, S. 811-820, 2008
doi: 10.1007/s00338-008-0405-4
„Organic matter release by cold water corals and its implication for fauna-microbe interaction“
Christian Wild, Christoph Mayr, Laura Wehrmann, Sandra Schöttner, Malik Naumann, Friederike Hoffmann und Hans Tore Rapp
Marine Ecology Progress Series, Bd. 372, S. 67-75, 9.12.2008
doi: 10.3354/meps07724
Ansprechpartner:
Dr. Christian Wild
Coral Reef Ecology Work Group (CORE)
GeoBio-Center und Department für Geo- und Umweltwissenschaften
Tel.: 0049-(0)89 / 2180 – 6706
Fax: 0049-(0)89 / 2180 – 6601
E-mail: c.wild@lrz.uni-muenchen.de
Dr. Christian Laforsch
Department Biologie II und GeoBio-Center
Evolutionsökologie
Tel.: 0049-(0)89 / 2180 – 74252
E-Mail: laforsch@biologie.uni-muenchen.de

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Luise Dirscherl idw

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