Das Geheimnis der Flüsse

Oderlandschaft bei Reitwein<br>Foto: IGB<br>

Auf ihnen fahren Schiffe, man kann in ihnen Angeln oder baden und zunehmend sollen sie auch saubere Energie liefern: Flüsse in Industrienationen sind vom Menschen gemachte, vernetzte Ökosysteme. Sie liegen nicht mehr in ihrer ursprünglichen natürlichen Form vor – mit Kurven, Flussauen und vielen Tier- und Pflanzenarten. Sie werden gestaut und begradigt, ausgebaggert und künstlich verbunden. Trotzdem bergen sie viele Geheimnisse.

„Für große Flüsse, so wie wir sie kennen, gibt es keine Vorbilder in der Natur“, sagt Dr. Christian Wolter vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). Daher gibt es noch großen Forschungsbedarf im Bereich der Fließgewässer. Diese sind komplexe Systeme, die den vielfältigsten Wechselwirkungen unterliegen. Auf der Tagung kommen deshalb Experten unterschiedlichster Fachrichtungen zusammen wie Hydrologen, Hydrodynamiker, Auenökologen, Fischökologen, Limnologen, Mikrobiologen, Biochemiker und Genetiker.

Ziel der Gewässerforscher ist es dabei nicht, die Flüsse wieder in ihren natürlichen Zustand zu überführen. Sie untersuchen vielmehr, wie der Mensch die Flüsse möglichst verträglich nutzen kann. So haben die Forscher beispielsweise heraus gefunden, dass die zehn-prozentige Verringerung der Geschwindigkeit von Schiffen zu 50 Prozent weniger Wellen führt. Wellen schädigen die Uferbereiche und insbesondere die dort lebenden Fischlarven und Kleinstlebewesen, letztere dienen wiederum als Nahrung für Fische.

Auch Staustufen und Wehre können für Fische zum Problem werden, da sie in Fließgewässern zu ihren Laichplätzen wandern müssen. „Wenn solche Anlagen gebaut werden, wird darauf meist wenig Rücksicht genommen, die Fischtreppen sind in der Regel zu klein“, sagt Wolter. Ein Umdenken hat hier ein Projekt zur Wiederansiedlung des Störs in Elbe und Oder gebracht. Der Stör kann bis zu drei Meter lang werden und zieht oft in großen Schwärmen, da braucht er viel Platz, wenn er Höhenunterschiede im Flussbett überwinden will. „Der Stör fasziniert auch die Wasserbauingenieure. Jetzt werden für ihn viel größere Fischtreppen gebaut, wovon natürlich auch die anderen Fische profitieren.“

Insbesondere in Deutschlands größter Wasserstraße, dem Rhein, gibt es noch ein anders Phänomen. Hier fühlen sich seit einiger Zeit aus der unteren Donau eingewanderte Fische, die Grundeln, zuhause. Als Grund für die starke Zunahme vermuten die Forscher eine Besonderheit: Die Flossen der Grundel sind zu einer Saugscheibe zusammengewachsen, mit der sie sich am Flussgestein festhält. Im Rhein findet sie beste Bedingungen vor, denn seine Uferbefestigung besteht überwiegend aus großen Steinblöcken. „Wir wissen aber noch nicht, wie sich das auf die anderen Fischpopulationen auswirkt“, so Wolter. Denn Fische, die sich stark vermehren, fressen ihren Konkurrenten die Nahrung weg und manchmal sogar deren Eier. Überhaupt seien im Rhein 90 Prozent der Wirbelosen – also Muscheln, Krebse und Schnecken – eingewanderte Arten. Dies könne man nicht mehr rückgängig machen, ist Wolter überzeugt. „Aber wir müssen das beobachten und die ökologischen Wirkungen erfassen.“

Auch den Ausbau erneuerbarer Energien, wie etwa Wasserkraftanlagen im Miniformat, sieht der Flussexperte skeptisch. Solche Anlagen werden jetzt in vielen Flüssen genehmigt. Damit sie wirtschaftlich arbeiten, benötigen sie einen hohen Durchsatz an Wasser – eine tödliche Falle für wandernde Fische. „Das sind die reinsten Aalhäckselmaschinen“, sagt Wolter.

Die Wasserqualität dagegen hat sich in den meisten einheimischen Flüssen erfreulich entwickelt. In der Berliner Spree geht Wolter baden und auch die Fische, die hier leben, vor allem Barsche und Plötzen, empfiehlt er ohne Bedenken zum Verzehr.

ISRS 2011
2nd Biennial Symposium of the International Society for River Science ISRS
Vom 8. bis 12. August 2011, Berlin
Abacus Tierpark Hotel, Franz-Mett-Str. 3-9, D-10319 Berlin
Kontakt:
Dr. Christian Wolter, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB), Tel.: 030 641 81 633, wolter@igb-berlin.de

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Christine Vollgraf Forschungsverbund Berlin e.V.

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